In Baden begleiten der Gesamtausschuss und die Gewerkschaft ver.di Interessensvertretungen dabei, konkrete Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen zu erreichen. Das geschieht im Rahmen des Projekts »Wir wollen’s wissen« mit den Mitarbeitervertretungen, die betriebliche Themen unter konkreter Beteiligung bzw. Einbindung der Kolleg*innen in den Einrichtungen angehen und Verbesserungen erreichen wollen. Das systematische Vorgehen zur Beteiligung der Kolleg*innen bei der Lösung ihrer Probleme ist in Zusammenarbeit zwischen Gesamtausschuss Baden und ver.di ausgearbeitet und in 2022 auf der Delegiertenversammlung des Gesamtausschusses im Herbst vorgestellt worden. Ausgangspunkt des Projektes ist wiederkehrend die Erfahrung, dass Interessenvertretungen in der Regel aus ihrer Stellvertreterrolle heraus handeln und versuchen, allein Lösungen beim Arbeitgeber durchzusetzen. Doch es gilt: Wenn viele Beschäftigte von einem Thema betroffen sind, den Druck von ungünstigen Bedingungen spüren, kommt es auf die Beteiligung der Kolleg*innen an, um die Situation zu verbessern. Das reicht von der gemeinsamen Identifikation der Themen, über die Priorisierung des Themas mit der größten Bedeutung, der gemeinsamen Erarbeitung von möglichen Lösungen bis hin zur Rückkopplung von Aushandlungsständen mit dem Arbeitgeber und der gemeinsamen Entscheidung über die Annahme von Ergebnissen.
Um die Themen der Beschäftigten herauszufinden, haben die MAV-Aktiven in den elf teilnehmenden Betrieben insgesamt 1516 Kolleginnen und Kollegen befragt, was im Betrieb gut läuft, und was verbessert werden muss (siehe unten). »Das Ergebnis der Umfrage hat unsere Einschätzung weitgehend bestätigt. Eines unserer zwei betrieblich ausgewählten Themen – Umgang mit unverschuldeten Minusstunden, z.B. bei Krankheit der Klient*innen – wurde in der Gruppe der Schul-begleiter*innen mit 40,9 Prozent als wichtiges Thema zur Verbesserung genannt«, sagt Maira Unzueta, Mitarbeitervertreterin vom Luise-Scheppler-Heim in Heidelberg. »Mit dem Votum der Beschäftigten haben wir nun allerdings ein viel besseres Argument, um die notwendigen Verbesserungen durchzusetzen. Wir erhoffen uns mit Verbesserungen für neue Mitarbeitende attraktiver zu sein und unsere Mitarbeitenden zu halten«, blickt die Sozialarbeiterin in die Zukunft.
Im nächsten Schritt erfolgt in Mitarbeitendenversammlungen gemeinsam mit den Beschäftigten eine Betrachtung der Befragungsergebnisse und eine Diskussion über das anzugehende Thema und Lösungsideen. »Die Befragung haben wir wie empfohlen im persönlichen Gespräch mit den Mitarbeitenden durchgeführt. Wir kamen dadurch mit Beschäftigten aus Bereichen in Kontakt, die wir sonst nicht so erreicht haben«, beschreibt Gabi Link, Mitarbeitervertreterin aus der Diakoniestation Pfinztal ihre Erfahrungen bei der Befragung. »Wir haben vom Gesamtausschuss Baden und der Gewerkschaft ver.di auf den Fachtagen zum Projekt viele Anregungen zur Durchführung der Mitarbeitendenversammlung mitgenommen. Auf dieser Grundlage haben wir in unseren Versammlungen einen lebhaften Austausch mit unseren Kolleg*innen erlebt. Es ist klasse, was für eine positive Resonanz von den Beschäftigten kam. Unter dem wichtigsten Thema kamen ganz viele der betrieblichen Probleme zur Sprache. Da sind auch harte Nüsse dabei – es ist spannend, aber mit dem wachsenden Methodenkoffer und dem gemeinsamen Vorgehen bin ich zuversichtlich, dass wir vorwärtskommen«, schätzt die gelernte Krankenschwester ein.
Sofern die wichtigsten Themen und Lösungsideen gemeinsam entwickelt worden sind, werden die die ersten Gespräche mit den Dienststellenleitungen stattfinden. Auch hier ist eine starke Einbindung der Beschäftigten vorgesehen. Ideen zur Lösung werden gegebenenfalls schon in der ersten Mitarbeitendenversammlung gesammelt und in die Verhandlung mit dem Arbeitgeber eingebracht. Zwischenstände werden mit den Betroffenen rückgekoppelt und überlegt, ob diese Lösungen in die richtige Richtung gehen. Insbesondere diese Vorgehensweise ist für viele MAV-Gremien ungewohnt. Genau das lohnt sich aber allemal, da einerseits die Betroffenheit der Beschäftigten gegenüber dem Arbeitgeber deutlich wird und Lösungen vermieden werden, die an dem vorbeigehen, was den Beschäftigten wirklich Verbesserungen bringt.
Je nach Problemstellung, über die eine MAV mit dem Arbeitgeber verhandeln wird, ist nicht immer sofort eine schnelle Einigung möglich. Geraten die Verhandlungen ins Stocken, können betriebliche Aktionen die Verhandlungsbereitschaft des Arbeitgebers erhöhen. »Hier kann besonders die gewerkschaftliche Seite des Projekts zum Tragen kommen. Als zweite Säule der betrieblichen Interessenvertretung kann mit Aktionen der ver.di-Aktiven viel deutlicher auf Probleme aufmerksam gemacht werden, als dies die MAV als gesetzliche Interessenvertretung darf«, hebt Mario Gembus hervor,
ver.di-Gewerkschaftssekretär. »Die Rolle der Gewerkschaft findet im Mitarbeitervertretungsgesetz zwar keine Erwähnung. Trotzdem ist es zulässig und wichtig, in kirchlichen Betrieben gewerkschaftlich aktiv zu sein. Will man die gemeinsame Kraft der Solidarität entfalten, um Dinge zu verbessern, dann ist gewerkschaftliches Handeln notwendig. Mit dem Ziel betriebliche Themen mit Unterstützung durch gewerkschaftliche Mittel zu verbessern, haben wir dieses Projekt ins Leben gerufen.« Im Juli haben die teilnehmenden Mitarbeitervertretungen die Möglichkeit, an einer Schulung teilzunehmen. Der Fokus der Schulung liegt darauf, die Kolleg*innen für diese Verhandlungsstrategie zu quali-fizieren. Wir sind gespannt, wie die weiteren Erfahrungen der Beschäftigten und der teilnehmenden Mitarbeitervertretungen sind und werden weiter berichten.
Daniel Wenk
Fast die Hälfte der Befragten (47,9 Prozent) haben die »Urlaubsplanung (gerecht und verlässlich)« als im Betrieb gut gelöst bewertet. Dem schließen sich mit 44,7 Prozent »Wünsche für die Dienstplanung« an. Fast so gut wurden auch die Themen »Fortbildungsmöglichkeiten« und »Kommunikation im Team« bewertet. Es wa-ren Mehrfachantworten möglich, wobei im Schnitt fünf Themen von den Befragten ausgewählt worden sind.
Bei den notwendigen Verbesserungsbedarfen haben die Befragten in zehn von elf teilnehmenden Betrieben das Thema »Regelung zu Personalausfall, ohne belastendes Einspringen« überdurchschnittlich oft genannt. Im Durchschnitt wurde dieses Problem mit 31,7 Prozent benannt. In drei der teilnehmenden Betriebe haben die Beschäftigten dieses Thema zu über 40 Prozent ausgewählt. Auch bei den Auswahlmöglichkeiten für notwendige Verbesserungen waren Mehrfachnennungen möglich. In diesem Rahmen haben die Befragten als weitere wichtige Verbesserungsthemen »Kommunikation des Arbeitgebers« mit 21 Prozent und »Einbeziehung der Mitarbeitenden bei Entscheidungen« mit 16,6 Prozent ausgewählt. Die Auswirkungen dieser ungelösten Themen sind beträchtlich, denn als seelisch belastend empfindet dies fast jeder zweite der befragten Kolleg*innen. Wenn jede*r fünfte Beschäftigte (20,4 Prozent) als Konsequenz die innerliche Kündigung benennt, ist das ein Alarmsignal. Für fast dreiviertel der Befragten ist eine Lösung dringend bis sehr dringend notwendig. Hoffnung gibt das Potential an Lösungsideen, welche die Mitarbeitenden anzeigen.
Dieser Artikel ist im Kirchen.info Nr. 41 erschienen.