Arbeitnehmer*innen müssen berufliche Anforderungen erfüllen. Pflegekräfte, Erzieher*innen, Verwaltungsangestellte, Sozialpädagog*innen o.a. haben für ihre Tätigkeit eine Ausbildung oder ein Studium absolviert, sie wissen, was sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben zu tun haben und können professionell Patient*innen, Pflegebedürftige, Kinder bzw. Klient*innen versorgen, unterstützen und begleiten. Aus ihrem Arbeitsvertrag ergibt sich zudem die sogenannte Nebenpflicht, ihrem Arbeitgeber gegenüber loyal zu sein. Ein Arbeitgeber darf demnach erwarten, dass die bei ihm Beschäftigten sich ihm gegenüber nicht schädlich äußern, verhalten oder betätigen. Das gilt für alle, unabhängig davon, ob ein Arbeitgeber privat, öffentlich oder freigemeinnützig bzw. kirchlich ist. Doch die Kirchen nehmen für sich darüber hinaus in Anspruch, besondere Loyalitätspflichten zu verlangen. Eine Tatsache, die Beschäftigte immer wieder zu rechtlichen Auseinandersetzungen mit ihren Arbeitgebern zwingt, weil sie in diesen Fällen oft vom Verlust des Arbeitsplatzes bedroht sind. Der Gesetzgeber hat es in der Hand den Schutz für Arbeitnehmer*innen zu stärken.
Die Kirchen haben festgelegt, dass Beschäftigte sich z.B. „kirchenfeindlich“ betätigen, wenn sie aus der Kirche austreten. Sowohl im Bereich der evangelischen, wie auch katholischen Kirche kann das zur Kündigung und dem Verlust des Arbeitsplatzes führen. Das ist ein Umstand, von dem diejenigen Beschäftigten betroffen sind, die Mitglied in der Kirche sind. Jede*r konfessionsfreie Beschäftigte ist von diesem Szenario zunächst nicht bedroht. Allerdings können alle Beschäftigten unter anderen Umständen bei „kirchenfeindlichem“ Verhalten ebenfalls arbeitsrechtliche Konsequenzen erfahren. Denn relevant ist nicht nur ihr Verhalten bzw. ihre Betätigung während der Arbeit, sondern auch außerhalb. Die katholische Kirche macht es beispielsweise konkret: Wer „Abtreibungen propagiert“, verhält sich demnach genauso „kirchenfeindlich“ wie bei einem Kirchenaustritt mit den gleichen Konsequenzen.
In Bezug auf ein Bewerbungsverfahren kann es ebenfalls bereits von erheblicher Relevanz sein, wie der oder die Bewerber*in zur Kirche steht oder sich einmal verhalten hat. Die katholische Kirche hat für sich festgelegt, wer bereits einmal aus der Kirche ausgetreten sei, würde nicht eingestellt. Einerseits muss die Frage offenbleiben, wie das für katholische Einrichtungen vor dem Hintergrund des Fachkräfte- bzw. Arbeitskräftemangels durchhaltbar sein soll. Andererseits ist fraglich, ob diese pauschale Diskriminierung einer gerichtlichen Überprüfung Stand halten würde. Doch ungeachtet der aktuellen Rechtsprechung, die die Kirchen regelmäßig in dieser Hinsicht in die Schranken weist, erlassen sie weiterhin solche Regeln. Es ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Kirchen nicht willens sind, sich zu öffnen und das für alle geltende Recht schlicht anzuerkennen, ohne Kirchenzugehörigkeit oder das kirchliche Ethos zu überhöhen und z.B. zur Voraussetzung für den Beginn oder Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses zu machen. Entscheidend für Patient*innen, Pflegebedürftige, Kinder bzw. Klient*innen ist, dass die Tätigkeit qualifiziert und professionell ausgeführt wird.
Die kirchlichen Anforderungen an Beschäftigte lassen sich in zwei Bestandteile aufgliedern: Die Anforderung einer ggf. bestimmten Konfession angehören zu müssen und sich gemäß dem jeweiligen kirchlichen Ethos zu verhalten bzw. ihn nicht zu „verletzen“. Die beiden großen christlichen Kirchen haben das jeweils in eigenen Regelwerken festgehalten. Die katholische Kirche beschreibt diese Loyalitätspflichten in ihrer sogenannten Grundordnung für den kirchlichen Dienst und die Evangelische Kirche bislang in ihrer Loyalitätsrichtlinie (künftig Mitarbeits-Richtlinie). Anders als nicht konfessionelle Arbeitgeber können sie das tun, weil sie als Religionsgemeinschaften das Recht haben, ihre eigenen Angelegenheiten selbst ordnen und verwalten zu dürfen – allerdings in den Schranken des für alle geltenden Rechts (vgl. Art. 140 i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV).
Die bisherige Legitimation im staatlichen Recht für deren Umsetzung bot das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in § 9 (AGG). Als das AGG im Jahr 2006 vom Gesetzgeber verabschiedet worden ist, ist es den Kirchen gelungen, für sich eine Sonderregelung zu erreichen. Das AGG hat den Zweck Benachteiligungen aus unterschiedlichen Gründen zu verhindern und zu beseitigen. Dazu zählt u.a. die Diskriminierung wegen der Religion. Dieses Verbot ungerechtfertigter Diskriminierung gilt allerdings nicht für kirchliche Träger. Für sie ist in § 9 die Ausnahme geregelt worden, nach der sie – sofern es das kirchliche Ethos erfordert – Bewerber*innen oder Beschäftigte entgegen der Diskriminierungsverbote im AGG unterschiedlich behandeln durften. Wann also z.B. eine bestimmte Konfession als Anstellungsvoraussetzung gefordert wurde, durften allein die Kirchen festlegen. Staatliche Gerichte konnten das nicht überprüfen.
Im Jahr 2018 kam es im Fall Egenberger allerdings zu einer Rechtsprechung, die zu einer gravierenden Veränderung geführt hat. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat festgestellt, dass § 9 AGG teilweise nicht mehr angewendet werden darf, da er gegen europäischen Gleichbehandlungsrecht verstößt (RL 2000/78/EG). Zwar dürfen auch nach europäischem Recht die Kirchen besondere Anforderungen an Beschäftigte definieren. Allerdings geht das nicht mehr pauschal, sondern es muss in Bezug auf die konkret ausgeübte bzw. auszuübende Tätigkeit wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt sein. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann durch staatliche Gerichte überprüft werden. Diese europarechtlichen Grundsätze sind national verbindlich.
Der EuGH hat diese Grundsätze sowohl in der Sache Vera Egenberger 2018 angewendet (konfessionslose Bewerberin wurde nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen) als auch 2019 bei der sogenannten Chefarzt-Entscheidung (Kündigung wegen Wiederheirat). Das Bundesarbeitsgericht (BAG) folgte jeweils der Auffassung des EuGH und die Kirchen verloren die Verfahren. Auch aktuell liegt ein neuer Fall beim EuGH. Eine Hebamme ist vor Beginn ihrer Tätigkeit in einem katholischen Krankenhaus aus der Kirche ausgetreten und wurde dann später mit der Begründung des Kirchenaustritts gekündigt. Die Entscheidungen des EuGH und in der Folge des BAG stehen noch aus. Ausgehend von den Rechtsprechungen 2018 und 2019 fanden weitere Arbeitsgerichtsverfahren statt, in denen es u.a. um den Kirchenaustritt als Kündigungsgrund ging. Die Gerichte wendeten die o.g. Prüfgrundsätze des EuGH bzw. des BAG an – jeweils zu Ungunsten der kirchlichen Arbeitgeber.
Diese Entwicklungen zeigen zwei Dinge: Die Kirchen sind nicht gewillt, sich von allein zu liberalisieren. Sie wollen weiterhin zwingend besondere Anforderungen an möglichst viele Beschäftigte stellen, wie die katholische Kirche mit der Reform ihrer Grundordnung 2022 bewiesen hat und die Evangelische Kirche ebenfalls mit der aktuellen Erarbeitung ihrer Mitarbeits-Richtlinie belegen wird. Allerdings ist das so pauschal wie in der Vergangenheit rechtlich nicht mehr möglich und wird richtigerweise von staatlichen Gerichten vor dem Hintergrund europäischem Schutzrechts überprüft und per Rechtsprechung korrigiert. Außerdem hätte die Bundesrepublik Deutschland nach europäischem Recht längst handeln müssen und den § 9 AGG europarechtskonform ausgestalten oder am besten streichen müssen. Das hat der Gesetzgeber bislang versäumt. Zwar muss § 9 AGG gemäß der Rechtsprechung bereits jetzt teilweise unangewendet bleiben, da die gesetzliche Regelung (§ 9 Abs. 1 Alt 1 AGG – Anknüpfungspunkt kirchliches Ethos, nicht die konkrete Tätigkeit) gegen das europäische Gleichbehandlungsrecht verstößt. Dennoch führen die kirchlichen Sonderregeln immer wieder dazu, dass betroffene Beschäftigte wegen privater Entscheidungen arbeitsrechtlich belangt werden. Sie sind also gezwungen, ihre Rechte erst einklagen zu müssen bzw. unzulässige Diskriminierung durch ihre Arbeitgeber abwehren zu müssen. Der Gesetzgeber muss an dieser Stelle endlich die Rechte der Arbeitnehmer*innen stärken und die Diskriminierungsprivilegien der Kirchen abschaffen.
Sofern besondere Anforderungen an die berufliche Tätigkeit zu stellen sein sollten, stellt sich die Frage, warum § 8 AGG, der regelt, wann eine unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen zulässig ist, nicht auch für kirchliche Arbeitsverhältnisse ausreichend und interessengerecht sein sollte. Er gilt für die so genannten verpönten Differenzierungsmerkmale des § 1 AGG (z.B. Ungleichbehandlung wegen Herkunft, Behinderung, Geschlecht u.a.). Die Regelung ermöglicht eine unterschiedliche Behandlung, wenn der Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. In Bezug auf verkündigungsnahe Bereiche kann das in Bezug auf kirchliche Bedürfnisse zutreffen. Eine Sonderstellung für Religionsgemeinschaften im § 9 AGG braucht es daher nicht.
Die Ampelregierung aus SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP hat sich in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, das kirchliche Arbeitsrecht hinsichtlich einer Angleichung an das staatliche Arbeitsrecht prüfen zu wollen. Der Gesetzgeber ist gefordert, einerseits deutsches Antidiskriminierungsrecht entsprechend geltendem EU-Recht auszugestalten. Andererseits stärkt er damit Arbeitnehmerrechte in kirchlichen Einrichtungen. Die kirchliche Praxis, abhängig Beschäftigte wegen privater Entscheidungen arbeitsrechtlich sanktionieren zu können und es auch regelmäßig zu tun, ist zu beenden.
Jetzt unterzeichnen und weiterleiten: Petition „Gleiches Recht für kirchlich Beschäftigte“