»Für sichere Arbeitsplätze! Für Transparenz! Für einen Tarifvertrag!« Das sind die Botschaften von mehr als 100 Beschäftigten der Coburg Inklusiv gGmbH an ihren Arbeitgeber. Am Donnerstag (3. März 2022) wurden sie in Form eines großen Banners – dicht bedruckt mit den Fotos der Kolleginnen und Kollegen – an die Geschäftsführung des diakonischen Trägers übergeben, der Einrichtungen zur Unterstützung behinderter Kinder betreibt.
»Es fehlt die Anerkennung – sowohl auf dem Lohnzettel als auch von der Geschäftsführung«, sagt Gisela Friedrich. Sie ist ausgebildete Sport- und Gymnastiklehrerin, doch bezahlt wird sie als Heilpädagogische Unterrichtshilfe, was hunderte Euro weniger im Monat bedeutet. Warum sie dennoch bleibt? »Es macht mir so viel Spaß, mit behinderten Kindern zu arbeiten, mit ihnen kreativ zu sein, sie über den Sport zu fördern. Das möchte ich nicht aufgeben.« Doch die Rahmenbedingungen müssten sich verbessern. »Es braucht viel mehr Personal. Und die Voraussetzung dafür ist eine bessere Bezahlung«, betont die 64-Jährige. »Die Aushänge mit Stellenausschreibungen sind bei uns übervoll. In den letzten zwei Jahren sind viele Super-Leute gegangen.«
Es waren turbulente Jahre, nicht nur wegen der Corona-Pandemie, die die Arbeit wie bei allen sozialen Trägern erschwerte. Im Februar 2020 hatten Beschäftigte mit einem Flashmob auf dem Coburger Markt Aufsehen erregt und einen Tarifvertrag gefordert. Doch dann kam die Pandemie und verhinderte weitere Proteste. Immer noch arbeiten die gut 300 Kolleg*innen zu ganz unterschiedlichen Bedingungen: Für langjährige Beschäftigte wird der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) dynamisch angewendet. Bei anderen, nach 2007 eingestellten Kolleg*innen nehmen die Arbeitsverträge hingegen nur statisch Bezug auf die Entgelttabellen des TVöD, wobei derzeit die Tabellenentgelte aus dem Jahr 2014 angewendet werden. Wiederum andere werden nach den Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) der bayerischen Diakonie oder in Anlehnung an den Länder-Tarifvertrag bezahlt. Nicht nur die Entlohnung, auch Arbeitszeiten und andere Bedingungen unterscheiden sich innerhalb der Belegschaft deutlich.
»Das führt zu Unfrieden und vielen Problemen im Betrieb«, berichtet die Kinderpflegerin Susanne Schmehle, die sich früher im Betriebsrat engagierte. Nachdem der Träger Anfang 2020 »in einer Nacht- und Nebelaktion« dem Diakonischen Werk beitrat, wurde sie Vorsitzende der Mitarbeitervertretung (MAV). »Wir wollen einen einheitlichen Tarifvertrag, der für alle eine Verbesserung bringt«, stellt sie klar und verweist auf andere Bundesländer wie Niedersachsen und Hessen, wo diakonische Träger kein Problem damit haben, Tarifverträge zu unterschreiben.
Doch statt Tarifverhandlungen mit den Gewerkschaften aufzunehmen, setzte das Management den Beschäftigten Ende vergangenen Jahres die Pistole auf die Brust und forderte sie ultimativ dazu auf, neue Arbeitsverträge mit Bezug auf die kirchlichen AVR zu unterschreiben. »Das habe ich natürlich nicht gemacht«, sagt die Sportlehrerin Gisela Friedrich. Ihr jetziger Arbeitsvertrag bringt den TVöD dynamisch zur Anwendung. Doch auch für andere wären die AVR nicht unbedingt eine Verbesserung. »Für Berufseinsteiger sind die AVR etwas besser als der TVöD, aber auf lange Sicht stellt man sich damit deutlich schlechter«, gibt sie zu bedenken.
Hinzu kommt: Im Rahmen der AVR können die Löhne bei wirtschaftlichen Notlagen leichter gekürzt werden. Gut möglich, dass dieser Fall bei der Coburg Inklusiv gGmbH eintritt. Schon im vergangenen Herbst hat die Geschäftsführung die Beschäftigten aufgefordert, vorübergehend auf die Auszahlung ihrer Jahressonderzahlung zu verzichten. »Seit Jahren fehlt den wechselnden Managern nichts anderes ein, als wirtschaftliche Probleme auf die Beschäftigten abzuwälzen«, kritisiert Susanne Schmehle. »Die aktuelle Geschäftsleitung macht da leider auch keine Ausnahme. Dabei werden Tariflöhne eigentlich voll refinanziert. Wo bleibt das Geld?« Wenn das Unternehmen Zugeständnisse der Belegschaft wolle, müsse es sich mit den Gewerkschaften über eventuelle Notlagentarifverträge verständigen, so die Mitarbeitervertreterin.
»Für uns ist ganz klar: Eine Sanierungsvereinbarung gibt es nur bei voller Transparenz und mit einem tragfähigen Konzept zur Sicherung aller Arbeitsplätze«, betont der ver.di-Sekretär Moritz Faude. Doch belastbare Zahlen über die tatsächliche wirtschaftliche Situation der Coburg Inklusiv gGmbH haben bislang weder die Mitarbeitervertretung noch die Gewerkschaften zu Gesicht bekommen. »Auf Grundlage verlässlicher Informationen sind wir bereit, über einen zeitlich befristeten Zukunftsvertrag zu verhandeln. Am Ende muss dabei der unmittelbare Einstieg in den TVöD stehen«, stellt Faude klar.
Dass die Beschäftigten hinter den Forderungen nach sicheren Arbeitsplätzen, Transparenz und einem Tarifvertrag stehen, haben sie mit der Foto-Petition gezeigt, die der Geschäftsführung am Donnerstag in Form eines bedruckten Plakats übergeben wurde. Endlich auf die Beschäftigten zuzugehen, sei auch im Interesse der Einrichtungen und der Versorgungsqualität, meint eine Erzieherin am Rande der Aktion. »Einen solchen Umgang mit den Leuten kann sich angesichts des Fachkräftemangels heutzutage doch kein Unternehmen mehr leisten«, sagt die 28-Jährige, die einen befristeten Vertrag hat und ihren Namen deshalb nicht nennen möchte. Sie selbst werde trotz ihrer Ausbildung teilweise als »qualifizierte Hilfskraft« eingesetzt und verdiene deshalb mehrere hundert Euro monatlich weniger als ihr eigentlich zustünden. »Die finden immer wieder Schlupflöcher, um die Gehälter zu drücken. Das geht vielen Kolleginnen so«, berichtet sie. Trotz ihrer Befristung hat sie sich deshalb an der Aktion beteiligt. »Die Wertschätzung fehlt, dagegen zeigen wir Gesicht. Wenn keiner etwas tut, dann wird sich auch nichts ändern.«