Beschäftigten eine Stimme geben

Künftig soll es im Aufsichtsrat des Agaplesion-Konzerns zwei Sitze für Arbeitnehmervertretungen geben. Die beiden Nominierten erklären, was sie von der Mitarbeit erwarten.
24.05.2023
Torsten Rathje vom Diakonieklinikum Rotenburg ist Vorsitzender der konzernweiten Mitarbeitervertretung (Konzern-MAV) bei Agaplesion.

Erstmals gibt es im evangelischen Agaplesion-Konzern die Möglichkeit, zwei Aufsichtsratssitze mit Arbeitnehmervertreter* innen zu besetzen. Der Konzern hat dafür sogar die Satzung ändern lassen. Wie kam es dazu? 

Torsten Rathje: Bereits seit 2017 gibt es eine Verbandsempfehlung der Diakonie Deutschland, die Mitwirkung für die Mitarbeitenden in Aufsichtsorganen zu regeln. Bisher hatte das allerdings kaum Wirkung. Die allermeisten diakonischen Einrichtungen verwehren ihren Beschäftigten bis heute eine Mitwirkung in den Aufsichtsgremien. In den letzten Jahren ist eine politische Diskussion entstanden, in der das kirchliche Arbeitsrecht generell in Frage gestellt wird. Dass diakonische Einrichtungen sich nicht an ihre eigenen Verbandsempfehlungen halten, befeuert diese Diskussion zusätzlich. Die Agaplesion gAG wird dieser Empfehlung jetzt nachkommen, ohne das uns gegenüber zu begründen.

 
Karsten Stille von der Agaplesion Bethanien Diakonie in Berlin ist stellvertretender Vorsitzender der Konzern-MAV bei Agaplesion.

Ihr seid von der Konzern-Mitarbeitervertretung zur Wahl vorgeschlagen worden. Was versprecht Ihr Euch von der Mitwirkung im Aufsichtsrat?

Karsten Stille: Wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tragen wesentlich zum Erfolg des Unternehmens bei. Es ist erwiesen, dass mitbestimmte Unternehmen innovativer und wirtschaftlich erfolgreicher sind und besser Krisen bewältigen können. Unsere Mitarbeit wird zu einem qualitativ besser aufgestellten Aufsichtsrat führen, weil wir als Beschäftigtenvertreter interne Vorgänge besser kennen und bewerten können als externe  Aufsichtsratsmitglieder. Das ist für uns als Interessenvertretung unserer Kolleginnen und Kollegen sehr wichtig, denn in Zeiten der maximalen  Veränderungen wollen wir ihnen eine Stimme im Aufsichtsrat geben.

 

 

Ihr werdet die ersten Arbeitnehmervertreter*innen im Aufsichtsrat seit Bestehen des Konzerns sein. Welche Themen sind Euch wichtig?

Karsten Stille: Die Digitalisierung in den Einrichtungen hat eine immense Geschwindigkeit aufgenommen. Hier dürfen wir die Kolleginnen und Kollegen nicht vergessen. Es findet in der Arbeitswelt zurzeit eine Transformation statt, die es zu begleiten gilt. Unter diesem Gesichtspunkt sind mir die Ausrichtung und Planung der Veränderungen in den einzelnen Einrichtungen wichtig, sowohl in den Krankenhäusern als auch in den Wohn- und Pflegeeinrichtungen. 

Es darf nicht nur darum gehen, wie sich der Konzern wirtschaftlich aufstellt, sondern auch um den Gesundheitsschutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sie möglichst lange bei Agaplesion bleiben. Der Arbeitskräftemangel wird für den Konzern die größte Herausforderung in den nächsten Jahren sein. Schon heute arbeiten viele Beschäftigte unterschiedlicher Nationalitäten in den Einrichtungen. Und wir werden weitere Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland benötigen. Allerdings muss der Konzern noch viel dafür tun, dass sie gut ankommen, integriert werden und auch bleiben wollen. Ähnliches gilt in Bezug auf die Ausbildung. In vielen Bereichen bildet der Konzern seine Arbeitskräfte selbst aus. Doch hier besteht noch viel Potenzial, besser zu werden. Zum Beispiel sollte die bundesweite Konzernstruktur genutzt werden, um die Ausbildungen qualitativ besser und attraktiver zu gestalten. 

Wie hat die Konzern-MAV auf das Angebot reagiert, dass künftig auch Beschäftigte Sitze im Aufsichtsrat erhalten könnten?

Torsten Rathje: Die Überlegung des Konzerns kam für uns überraschend. Es gab zuvor keinerlei Signale in Richtung Konzern-MAV. Wir haben intensiv über das Für und Wider einer Beteiligung diskutiert und uns letztlich dafür entschieden, die Sitze zu besetzen. Wichtig war uns, den Nutzen einer möglichen Mitarbeit im Aufsichtsrat im Vorfeld bewerten zu können. Dabei hat uns ver.di kurzfristig unterstützt. ver.di hat bei der Unternehmensmitbestimmung in nichtkirchlichen Konzernen eine enorme Erfahrung. Das hat uns sehr geholfen, einen Überblick zu bekommen und unsere Entscheidung gemeinsam treffen zu können.

 

Das staatliche Mitbestimmungsgesetz gilt nicht für den diakonischen Agaplesion-Konzern. In einem vergleichbaren privaten Klinikkonzern müsste der Aufsichtsrat paritätisch aus Arbeitgebern und Vertreter*innen der Beschäftigten bzw. der Gewerkschaften besetzt werden. Ihr werdet 2 von 15 Sitzen haben. Ist das wirkliche Unternehmensmitbestimmung?

Torsten Rathje: Nein, das ist es natürlich nicht! Es ist unser fester Wille, perspektivisch die gleichen Standards zu erreichen, wie sie für die paritätische Besetzung in privaten Konzernen gelten. Das war der größte Kritikpunkt, den wir diskutiert haben. Allerdings haben wir auch die Erfahrung gemacht, dass wir mit unserer Arbeit überzeugen und damit auch Türen öffnen können. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, die Arbeit im Aufsichtsrat mitzugestalten. Natürlich wäre es besser, nicht auf den guten Willen des Konzerns angewiesen zu sein, sondern gesetzlich verbriefte Rechte zu haben, auf deren Grundlage wir Vertreterinnen und Vertreter in den Aufsichtsrat wählen können. Doch jetzt machen wir einen wichtigen ersten Schritt in der Unternehmensmitbestimmung im Agaplesion-Konzern und blicken zuversichtlich nach vorn.

Wir haben 2019 die Konzern-MAV in der Agaplesion gAG gegründet, ohne große Zugeständnisse des Arbeitgebers. Doch durch unsere kritische wie auch konstruktive Arbeit konnten wir offenbar überzeugen. Jetzt sind wir entschlossen, die Vorteile eines von den Beschäftigten mitbestimmten  Unternehmens ebenso im Aufsichtsrat deutlich zu machen.

Wird es künftig auch Gewerkschaftssitze im Aufsichtsrat geben?

Karsten Stille: Durch Torsten und mich sind natürlich zwei Gewerkschaftsmitglieder im Aufsichtsrat vertreten, das ist aber mit Deiner Frage nicht  gemeint. Hier kommen wir wieder zu der grundsätzlichen Diskussion um den kirchlichen Sonderstatus im Arbeitsrecht. Der Arbeitgeberverband VdDD hält die Unternehmensmitbestimmung für entbehrlich, weil anders als im weltlichen Bereich angeblich der Gegensatz von Kapital und Arbeit fehlt. Wenn man auf diesem Niveau diskutiert, ist der Weg noch lang. Ich denke aber, dass hier der Agaplesion Konzern schon fortschrittlicher aufgestellt ist. Das zeigen uns die internen Diskussionen. Zurzeit sind allerdings keine Gewerkschaftssitze vorgesehen und damit mindestens für die  nächsten fünf Jahre nicht.

Karitative Gesundheits- oder Sozialkonzerne schließen Beschäftigte bislang aus der Unternehmensmitbestimmung aus. Diakonische Konzerne könnten zwar einer Empfehlung der Diakonie Deutschland folgen, tun es aber bislang ganz überwiegend nicht. Woran liegt das?

Torsten Rathje: Mein subjektives Gefühl ist, dass viele diakonische Einrichtungen die Interessensvertretung immer noch als Gegner sehen. Das mache ich zum Beispiel an diversen Kirchengerichtsverfahren fest. Sie erkennen nicht, welchen Wert das Wissen und die Erfahrung der Beschäftigten haben. Wenn die diakonischen Arbeitgeber Parität, Partnerschaft und Gleichberechtigung ernst nehmen würden, wären wir auf dem Weg zu einer arbeitsrechtlichen »Normalität« ein großes Stück vorangekommen. Vielleicht sind wir bei Agaplesion hier schon etwas weiter als anderswo.

Laut Koalitionsvertrag der Bundesregierung soll das kirchliche Arbeitsrecht überprüft werden. Was muss sich in Sachen  Unternehmensmitbestimmung in kirchlichen Konzernen tun?

Torsten Rathje: Das Betriebsverfassungsgesetz muss künftig auch für konfessionelle Einrichtungen gelten. Das besondere Arbeitsrecht bei kirchlichen Trägern enthält deutliche Beschränkungen der Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Auch das Mitbestimmungsgesetz muss volle Anwendung in kirchlichen Einrichtungen finden. Wir verdienen die gleichen Rechte wie alle anderen Beschäftigten in Deutschland. Hier nehmen wir die Bundesregierung in die Pflicht! Wir werden unsere Kontakte zu Bundestagsabgeordneten der Regierungsfraktionen nutzen, um sie an ihr  Koalitionsversprechen zu erinnern.

 

Dieser Artikel ist im Kirchen.info Nr. 41 erschienen.

 

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