Du arbeitest in einer kirchlichen Einrichtung und hast grundsätzliche Fragen rund um das Thema Gewerkschaft? Dann bist du hier richtig: ver.di gibt dir auf die häufigsten Fragen hier Antworten. Es geht um deine Rechte als Beschäftigte*r, Spielräume kirchlicher Arbeitgeber, Unterschiede von Arbeitsvertragsrichtlinien und Tarifverträgen sowie die Haltung von ver.di.
Ja. Gewerkschaftsmitglied zu werden, zu sein und sich aktiv als Mitglied im Betrieb zu betätigen, ist ein Grundrecht. Die in Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz festgeschriebene Koalitionsfreiheit gilt für alle Beschäftigten – selbstverständlich auch für Beschäftigte in kirchlichen Einrichtungen.
ver.di ist die maßgebliche Gewerkschaft für alle Beschäftigten im Dienstleistungssektor Deutschlands. Dazu zählen das Gesundheits-, Sozial- und das Bildungswesen, in denen öffentliche, kommerzielle sowie gemeinnützige inklusive konfessioneller Träger ihre Leistungen erbringen. Unabhängig von deren Trägerschaft und ihrer Rechtsform ist ver.di die Gewerkschaft für alle Beschäftigten in diesen Branchen – auch in kirchlichen Einrichtungen.
Ziel von ver.di ist es, für gute Löhne, gesunde Arbeitsbedingungen, die Stärkung der Rechte von Arbeitnehmer*innen sowie eine starke Teilhabe im Arbeitsleben zu sorgen. Dafür gibt es in vielen Betrieben Handlungsbedarf, auch in kirchlichen. Besonders ist allerdings, dass kirchliche Sonderrechte und Ausnahmen im Arbeitsrecht die dort Beschäftigten schlechter stellen, sie teilweise diskriminieren und es ihnen erschweren, für ihre eigenen Interessen einzutreten. Deshalb setzt sich ver.di mit den Beschäftigten und ihren betrieblichen Interessenvertretungen gegenüber der Politik dafür ein, dass die kirchlichen Privilegien im Arbeitsrecht abgebaut und die Rechte der Arbeitnehmer*innen gestärkt werden. Die Koalition aus SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP will die Sonderregelungen prüfen. ver.di bringt sich in diese Debatte ein und fordert die Beteiligung der Beschäftigten und ihrer Interessenvertretungen.
Gewerkschaften sind seit mehr als 100 Jahren Selbsthilfeorganisationen der abhängig Beschäftigten. Diese taten sich zusammen, um gemeinsam gegenüber Arbeitgebern bessere Löhne, das Recht auf Pausen, eine geringere Arbeitszeit und anderes mehr durchsetzen zu können. Das Prinzip ist bis heute das gleiche: Arbeitnehmer*innen sind am stärksten, wenn sie sich in einer Gewerkschaft zusammenschließen und gemeinsam für ihre Interessen eintreten.
Manche Arbeitgeber werfen ver.di vor, sie sei darauf aus, Mitglieder zu gewinnen. Das ist in etwa so, als würden sie einen Marathonläufer dafür kritisieren, dass er für einen Langstreckenlauf trainiert. Erst die Beiträge der freiwilligen Mitglieder machen Gewerkschaften handlungsfähig. Sie ermöglichen es zum Beispiel, juristische Beratung, Rechtsbeistand vor Gericht, Unterstützung aktiver Kolleg*innen in den Betrieben, öffentliche Aktionen oder Streikunterstützung in Tarifauseinandersetzungen zu gewährleisten. Je mehr Beschäftigte Mitglied der gewerkschaftlichen Solidargemeinschaft sind und sich aktiv einbringen, desto stärker ist sie.
Das legt die ver.di-Satzung fest. Der Mitgliedsbeitrag beträgt pro Monat 1,0 Prozent des regelmäßigen monatlichen Bruttoverdienstes bzw. der regelmäßigen monatlichen Ausbildungsvergütung.
Für Bezieher*innen von Renten, Pensionen, Krankengeld, Elterngeld, Arbeitslosengeld (ALG I) und anderen Leistungen nach SGB II beträgt der Monatsbeitrag 0,5 Prozent des regelmäßigen Bruttoeinkommens aus dem Teil des Gesamteinkommens, das seinen Ursprung in einem Arbeits-, Dienst- oder Amtsverhältnis hat. Der Mindestbeitrag beträgt 2,50 Euro monatlich.
Bezieher*innen von Grundsicherungsleistungen nach SGB II und SGB XII, Hausfrauen/Hausmänner, Schüler*innen, Studierende, Personen in Freiwilligendiensten, Bezieher*innen von Mindestelterngeld zahlen jeweils den Mindestbeitrag von 2,50 Euro monatlich.
Jedem Mitglied steht es frei, höhere Beiträge zu zahlen.
Auch die Löhne und Arbeitsbedingungen im sogenannten Dritten Weg hängen maßgeblich davon ab, was Gewerkschaften und Arbeitgeber miteinander in Tarifverträgen vereinbaren. Was ver.di zum Beispiel im öffentlichen Dienst erreicht, wird in vielen Bereichen der verfassten Kirchen direkt umgesetzt oder nahezu unverändert nachvollzogen. Das gleiche gilt für die Caritas. Die zahlreichen diakonischen Arbeitsvertragsrichtlinien liegen teilweise deutlich unter dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). Doch selbst dort ist der TVöD der Leittarif, an dem sich die Bedingungen letztlich orientieren.
Verbesserungen bei Löhnen und Arbeitsbedingungen im TVöD müssen oft mit Hilfe von Aktionen und Streiks durchgesetzt werden, denn auch die Arbeitgeber im öffentlichen Dienst verschenken nichts. Es ist deshalb solidarisch und wichtig, dass Kirchenbeschäftigte ebenfalls Mitglied der Gewerkschaft sind. Sie unterstützen damit ihre Kolleg*innen im öffentlichen Dienst, die das erkämpfen, was später auch in kirchlichen Einrichtungen zur Anwendung kommt. Mit ihrer ver.di-Mitgliedschaft leisten sie mittelbar einen wichtigen Beitrag, um bessere Arbeitsbedingungen zu erreichen (siehe auch »Warum will ver.di Mitglieder gewinnen?«).
ver.di meint: Beschäftigte müssen sich für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen selbst einbringen können und ihre Grundrechte ausüben dürfen. Beides sieht der sogenannte Dritte Weg kircheninterner Festlegung von Löhnen und Arbeitsbedingungen nicht vor. Deshalb wirkt ver.di darin nicht mit.
Im sogenannten Dritten Weg haben Beschäftigte keine Möglichkeiten, selbst Forderungen einzubringen, sich kollektiv für sie einzusetzen oder über ein Verhandlungsergebnis mitzubestimmen. Die Verhandlungen werden zwischen Vertreter*innen von Beschäftigten und Arbeitgebern in Arbeitsrechtlichen Kommissionen geführt. Sie gelangen nicht per Konsens zu einer Einigung, sondern per Mehrheitsentscheid. Im Streitfall entscheidet eine Zwangsschlichtung verbindlich über ein Ergebnis. Dieses gilt dennoch nicht verbindlich wie ein Tarifvertrag (siehe auch »AVR sind Tarifverträge, oder?«). Die Regeln für die Bildung und die Arbeit der Kommissionen werden kirchenseitig festgelegt. Das Streikrecht wird per Kirchenrecht auf diesem Weg ausgeschlossen. Diese kirchlich verordneten Regeln lehnt ver.di als freie Gewerkschaft ab.
Tarifverträge werden stattdessen in freien Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern ausgehandelt. Diese Tarifautonomie ist Ausdruck demokratischer Teilhabe, denn die gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten diskutieren und beschließen die Forderungen. Blockieren Arbeitgeber und es gelingt keine Einigung, setzen sich Beschäftigte mit Aktionen und wenn nicht anders möglich auch mit Streiks für ihre Forderungen ein. Sie bestimmen über die Annahme oder Ablehnung eines Verhandlungsergebnisses mit. Ein Ergebnis hängt auch und vor allem davon ab, wie durchsetzungsstark die Beschäftigten sind.
Ja, und es gab sie auch schon vor mehr als 100 Jahren. Einen kirchlichen Sonderweg nach heutigem Modell gibt es verstetigt hingegen erst seit den 1970er Jahren. Die Kirchen bzw. Diakonie und Caritas konnten ihn bislang weitgehend erhalten. Daneben gibt es allerdings auch Tarifverträge, die zwischen ver.di und kirchlichen Arbeitgebern abgeschlossen werden – zum Beispiel für die Diakonie in Hamburg und Schleswig-Holstein, für große Teile der evangelischen Kirche im Norden, die Diakonie Niedersachsen, die verfasste Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische-Oberlausitz, die Stadtmission Heidelberg oder für Teile der Altenhilfe in der Diakonie Hessen.
Nein. Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) sind keine Tarifverträge. Es gibt für Beschäftigte wesentliche Unterschiede. Einer der wichtigsten: AVR gelten nur insoweit, wie ihre Anwendung im einzelnen Arbeitsvertrag vereinbart wird. Tarifverträge gelten hingegen unmittelbar und zwingend.
Arbeitsverträge mit kirchlichen Arbeitgebern können zwar die Anwendung der entsprechenden Arbeitsvertragsrichtlinien festschreiben. Allerdings ist es auch möglich, dass einzelne AVR-Regelungen ausgeschlossen oder verändert werden (zum Beispiel die Kürzung der Jahressonderzahlung, die Reduzierung der Urlaubstage oder von Zuschlägen etc.). In diesem Fall haben Beschäftigte ausschließlich einen Anspruch auf das, was im Arbeitsvertrag vereinbart wurde, nicht darauf, was in den AVR festgelegt ist. Das ist individualrechtlich zulässig, denn AVR haben lediglich den Charakter Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Tarifverträge hingegen setzen Normen, vergleichbar mit Gesetzen. Der Arbeitgeber hat keinen Spielraum, sondern muss das anwenden, was der Tarifvertrag regelt.
Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen Tarifverträgen und Arbeitsvertragsrichtlinien wird im Abschnitt »Warum arbeitet ver.di nicht im Dritten Weg mit?« erläutert.
Ja. Jede*r Beschäftigte hat grundsätzlich ein Streikrecht. Es leitet sich aus der Koalitionsfreiheit ab, die in Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz garantiert ist. Eine wichtige Voraussetzung ist, dass die zuständige Gewerkschaft zum Streik aufruft. Für kirchliche Betriebe ist ver.di die zuständige Gewerkschaft. Es gilt also: Ruft ver.di in einem kirchlichen Betrieb zum Streik auf, dürfen die Beschäftigten streiken. ver.di-Mitglieder erhalten in diesem Fall Streikunterstützung, da die/der Arbeitgeber*in nicht verpflichtet ist, das Entgelt während der Streikbeteiligung weiterzuzahlen (siehe auch "Warum will ver.di Mitglieder gewinnen?").
Kirchliche Arbeitgeber*innen sind vielerorts der Ansicht, dass die Beschäftigten bei ihnen kein Streikrecht hätten. Man befände sich im so genannten Dritten Weg, dort gäbe es das nicht. Die evangelische als auch die katholische Arbeitsrechtssetzung versuchen bislang über den Dritten Weg das Grundrecht auf Streik leer laufen zu lassen. Das ist einer der Gründe, weshalb ver.di den kirchlichen Weg ablehnt und darin nicht mitarbeitet (siehe auch "Warum arbeitet ver.di nicht im "Dritten Weg" mit?"). ver.di setzt sich für Verhandlungen auf Augenhöhe zwischen Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen ein und hat Tarifverhandlungen zum Ziel. Dieser Verhandlungsweg schließt Streik nicht aus, sollte er notwendig werden. Wenn ver.di dazu aufruft, unterliegen Beschäftigte keinem Streikverbot.
Ja, leider ist das unter Umständen möglich. Allerdings wird, wenn es wirklich zu einer Kündigung kommt, deren Rechtmäßigkeit im Einzelfall zu prüfen sein. Zuletzt hat sich die Rechtsprechung eher zugunsten von Beschäftigten entwickelt. Kirchliche Arbeitgeber dürfen zum Beispiel nicht mehr pauschal die Anforderung an Beschäftigte stellen, einer bestimmten Konfession anzugehören oder wie sie sich innerhalb und außerhalb ihres Arbeitsverhältnisses gemessen am jeweiligen kirchlichen Ethos verhalten dürfen. Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts können diese Anforderungen zwar gestellt werden. Aber sie müssen wesentlich, gerechtfertigt und rechtmäßig in Bezug auf die konkret ausgeübte Tätigkeit sein. Außerdem sind sie durch staatliche Gerichte überprüfbar. Es ist demnach fraglich, ob eine Kündigung zulässig wäre, wenn im konkreten Fall schon die Anforderung gar nicht gestellt werden dürfte, weiterhin Mitglied der Kirche zu sein.
Dennoch ist zu beachten, dass nach wie vor sogenannte besondere Loyalitätspflichten gelten, die jede*r Beschäftigte mit dem Arbeitsvertrag unterzeichnet hat. Demnach kann ein Kirchenaustritt als »kirchenfeindlich« gelten und eine außerordentliche Kündigung nach sich ziehen. Jede*r, der oder die einen Kirchenaustritt in Erwägung zieht, sollte sich deshalb zuvor beraten lassen. Mitglieder können sich in diesem Fall an ver.di wenden.
Kirchliche Arbeitgeber dürfen bei der Einstellung nicht mehr pauschal die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konfession verlangen. Wenn sie es dennoch tun, muss diese Anforderung wesentlich, gerechtfertigt und rechtmäßig sein, und zwar in Bezug auf die konkrete auszuübende Tätigkeit. Das haben der Europäische Gerichtshof und das Bundesarbeitsgericht vor wenigen Jahren entschieden.
Das heißt, es wird im Einzelfall bzw. in Bezug auf die jeweilige Stelle zu prüfen sein, ob der kirchliche Arbeitgeber eine bestimmte Konfession verlangen darf oder nicht. Er darf es jedenfalls nicht mehr pauschal verlangen, sondern muss es für jede einzelne Stelle im Streitfall auch gegenüber einem Arbeitsgericht begründen können.
veröffentlicht/aktualisiert am 30. Juni 2022