Immer wieder hat das Team der unfallchirurgischen Station 3 des Agaplesion Diakonieklinikums Rotenburg auf die Überlastung hingewiesen. Doch keine der Gefährdungsanzeigen und Briefe an die Geschäftsleitung zeigte nachhaltige Wirkung. »Die Kolleginnen und Kollegen wurden immer nur vertröstet. Schließlich haben sie gesagt: Wir haben die Nase voll, jetzt machen wir ernst«, berichtet der Vorsitzende der Mitarbeitervertretung, Torsten Rathje. Am 1. August stellte das Team ein schriftliches Ultimatum: Sollte das Management bis zum 1. Oktober nicht für bessere Arbeitsbedingungen sorgen, werde niemand mehr außerhalb des Dienstplans einspringen. Teilzeitkräfte würden Mehrarbeit konsequent ablehnen, alle Pflegekräfte ärztliche Tätigkeiten zurückdelegieren. Und sie kündigten an: »Wir werden unsere Pausen konsequent vor Schichtbeginn planen und während der Pause die Station verlassen.«
»Dies ist ein letzter Hilferuf«, erklärte das Team in dem Schreiben, aus dem kurz darauf auch die örtliche Presse zitierte. Darin wiesen sie auf eine Vielzahl von Missständen hin – von der mangelnden Anleitung der Auszubildenden und Einarbeitung neuer Kolleg*innen bis hin zum Druck auf Beschäftigte, bei kurzfristigem Personalausfall Doppelschichten zu leisten oder in ihrer Freizeit einzuspringen. Wegen der schlechten Arbeitsbedingungen hätten langjährige Kolleg*innen die Station bereits verlassen. »Durch den Personalmangel kommt es zu einer massiven Überlastung und Gefährdung des Pflegepersonals und zu einer dauerhaften krankmachenden Arbeitssituation, die wir nicht länger hinnehmen können«, so die Pflegefachkraft Cheyenne Latimer.
Sie und ihre Kolleg*innen fordern ultimativ, dass eine reguläre Besetzung der Schichten vereinbart wird. Im Frühdienst sollen sechs, im Spätdienst fünf und nachts zwei examinierte Pflegekräfte zur Verfügung stehen. Bislang werden in der 32-Betten-Station in der Regel nur die unzureichenden Pflegepersonaluntergrenzen eingehalten, die für Früh- und Spätschicht jeweils drei, in der Nachtschicht zwei Pflegekräfte vorschreiben. »Sollten Schichten nicht regulär besetzt werden können, fordern wir als Entlastungsausgleich für die betroffenen Mitarbeiter nach vier Diensten in unterbesetzten Schichten einen bezahlten freien Regenerationstag«, heißt es weiter. Damit orientiert sich die Forderung an den zuletzt an Universitätskliniken in Homburg, Jena, Augsburg und Mainz geschlossenen Entlastungs-Tarifverträgen, die ebenfalls zusätzliche freie Tage bei länger andauernder Überlastung vorsehen.
»Es war klar, dass man für eine solche Auseinandersetzung eine starke Kraft im Rücken braucht«, betont der Mitarbeitervertreter und ver.di-Aktivist Rathje. »Deshalb ist das komplette Team in ver.di eingetreten. Die Gewerkschaft unterstützt und berät die Kolleginnen und Kollegen.« Ebenfalls Unterstützung kommt von anderen Beschäftigten des Diakonieklinikums. »Viele haben gesagt: „Gut, dass endlich mal jemand etwas macht.“ Das hat das Team natürlich gestärkt.« Auch sonst hat dessen Motivation in den vergangenen Wochen weiter zugenommen – auch wegen der Erfahrungen in der Corona-Pandemie, in der sich die Arbeitsbelastung wegen der reduzierten Belegung im Haus vorübergehend entspannte. »Das hat gezeigt, wie es auch sein kann. Inzwischen ist die Situation wieder so angespannt wie vorher. Das hat die Entschlossenheit noch einmal gesteigert«, sagt Rathje.
Kurz vor Ablauf des Ultimatums brachte es einen ersten Erfolg: Personalabteilung und Pflegedienstleitung sagten zu, über eine reguläre Schichtbesetzung inklusive Qualifikationsmix sowie über einen Ausgleich für Überlastungssituationen in Form zusätzlicher freier Tage zu verhandeln. In einem zweiten Schritt soll über die Verbesserung der organisatorischen Abläufe gesprochen werden. »Eine angemessene Schichtbesetzung und ein verlässlicher Dienstplan sind die Grundlage dafür, dass sich die Abläufe verbessern. Deshalb wird zunächst über diese verhandelt«, erläutert Rathje. Bis Ende November soll ein Ergebnis vorliegen. Die knapp 20 Kolleg*innen der Station 3 haben beschlossen, ihr Ultimatum so lange auszusetzen. »Das erste Ziel ist erreicht: Das Team wird jetzt ernst genommen. Nun müssen rasch substanzielle und verbindliche Schritte zur Verringerung der Arbeitsbelastung folgen.«
Daniel Behruzi
Erschienen im Kirchen.info Nr. 36