Kirchen unter Druck

Gleiches Recht für kirchlich Beschäftigte
© ver.di
Vollversammlung der Arbeitsgemeinschaft der diakonischen Mitarbeitervertretungen in Württemberg im Juli 2023
07.11.2023

Die Kirchen befinden sich unter Rechtfertigungsdruck. Das gilt nicht ausschließlich, aber auch für ihren Sonderstatus im Arbeitsrecht. Die katholische Kirche bzw. ein katholischer Arbeitgeber versuchte sich beim Europäischen Gerichtshof im September – wieder einmal – dafür zu rechtfertigen, inwiefern die fristlose Kündigung einer Hebamme gerechtfertigt gewesen sei. Bemerkenswert daran ist, dass die betroffene Kollegin vor Antritt ihrer Stelle bei dem katholischen Arbeitgeber aus der Kirche ausgetreten war und das auch wahrheitsgemäß angegeben hatte. Der Fall (EuGH C-630/22-1) ist weiterhin offen. Was die betroffene Hebamme selbst zu dem Fall sagt, steht im Interview dieser Ausgabe des Kirchen.infos. Darüber hinaus kommt die lange erwartete politische Initiative auf Grundlage des Koalitionsvertrags zwischen SPD, Bündnis90/Die Grünen und der FDP. Man hatte sich gemeinsam mit den Kirchen eine Prüfung vorgenommen, inwieweit das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen angeglichen werden könne. Zur Halbzeit der Regierungskoalition hat das Bundesarbeitsministerium zu einem Dialogprozess eingeladen, der im September startete. Dort haben die Kirchen die Möglichkeit darzulegen, inwieweit sie selbst Reformbedarf durch den Gesetzgeber erkennen können. Leider ist bislang wenig Freude auf Seiten der Kirchen darüber erkennbar, dass ver.di diesen Prozess mit einer Reihe Veränderungsvorschlägen unterstützt. ver.di tut das sowohl durch ihre Beteiligung im gestarteten Dialogprozess als auch mit konkreten Vorschlägen, die der Gesetzgeber umsetzen sollte, wenn er Interesse an der Stärkung der Rechte von rund 1,8 Millionen Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen hat.

 
Betriebsräte und diakonische Mitarbeitervertreter*innen aus Baden und Württemberg in Bad Herrenalb im Juni 2023

Petition zur Stärkung der Arbeitnehmer*innenrechte

Aus diesem Grund hat ver.di im Mai 2022 die Initiative »Gleiches Recht für kirchlich Beschäftigte« gestartet. Ein wesentlicher Bestandteil davon ist eine Petition an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und die Bundestagsabgeordneten der Ampelkoalition. Zum Redaktionsschluss hatten bereits mehr als 27.000 Unterzeichner*innen online und auf Papier gezeigt, dass sie die Forderungen unterstützen. Einerseits geht es darum, dass kirchlich Beschäftigte wegen privater Entscheidungen nicht mehr durch ihre Arbeitgeber diskriminiert werden dürfen und andererseits um eine stärkere Mitbestimmung der Beschäftigten im Betrieb. In beiden Fällen sind konkrete Gesetzesänderungen nötig und möglich, um eine Diskriminierung von Beschäftigten zu verhindern und ihnen eine wirksamere demokratische Teilhabe zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen zu ermöglichen.

Die Petition läuft bis Ende Februar 2024. Sie kann digital und analog per Unterschriftenliste unterstützt werden. Die Listen sind als PDF unter gleichesrecht.verdi.de herunterzuladen. Außerdem stehen Postkarten mit dem QR-Code zur Petition zur Verfügung. Wer Interesse hat zu unterstützen, kann hier kostenlos Material bestellen: gesundheit-soziales-bildung@verdi.de

Hier geht’s direkt zum online Unterzeichnen.

 
Die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi unterzeichnete die Petition

Offene Perspektiven

Die Kirchen sind unter Rechtfertigungsdruck, was die Erforderlichkeit ihres Sonderstatus im Arbeitsrecht betrifft. Doch mehr noch nicht. Es ist offen, welche Auswirkungen die aktuellen Entwicklungen für die Beschäftigten bei kirchlichen Arbeitgebern haben werden. Kommt es zu einer Rechtsprechung des EuGH im Fall der gekündigten Hebamme, bleibt zu hoffen, dass sie erneut zu Gunsten der Beschäftigtenrechte ausgeht. Wohin der begonnene Dialogprozess des Bundesarbeitsministeriums führt, ist ebenfalls offen. Bislang sieht man sich dort lediglich in einer Moderationsrolle. Es ist nicht auszuschließen, dass es trotz dieses Prozesses notwendig werden wird, weiterhin gewerkschaftlich beim Gesetzgeber auf Veränderungen hinzuwirken. Der Anfang dafür ist mit der Initiative »Gleiches Recht für kirchlich Beschäftigte« gemacht. Jetzt geht es darum, möglichst viele Unterstützer*innen in den Betrieben und der Gesellschaft dafür zu gewinnen.

 

Dieser Artikel ist im Kirchen.info Nr. 42 erschienen.