Sie wollen nicht länger andere für sich kämpfen lassen: Die pädagogischen Fachkräfte von zwei kirchlichen Trägern in Südbaden haben am 12. Mai 2022 die Arbeit niedergelegt, um Druck zu machen für Aufwertung und Entlastung. In der Diakonie Baden, zu der die Kitas in Lörrach und Freiburg gehören, kommen entscheidende Teile des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) automatisch zur Anwendung. Deshalb kann ver.di dort im Zuge der Tarifverhandlungen für den kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst zum »Partizipationsstreik« aufrufen. »Die Erzieherinnen wollen mithelfen, ein gutes Tarifergebnis zu erreichen, von dem sie dann auch selbst profitieren«, erklärt Sabrina Wipprecht, die sich als Mitarbeitervertreterin im Diakonischen Werk engagiert. »Das ist absolut richtig. Denn je mehr auf die Straße gehen, desto mehr kommt für alle dabei heraus.«
Wipprecht selbst durfte nicht mitstreiken. Als Sozialarbeiterin in der badischen Diakonie richten sich ihre Arbeitsbedingungen nicht nach den Regelungen des Sozial- und Erziehungsdienstes, sondern nach anderen Teilen des TVöD, über die aktuell nicht verhandelt wird. Sie beteiligte sich in ihrer Freizeit an den Kundgebungen – und half in den Kitas mit, den Partizipationsstreik auf die Beine zu stellen. Am 8. März verteilte die Gewerkschafterin Rosen zum Internationalen Frauentag in der Kita Guter Hirte in Lörrach. »Ich wollte die Erzieherinnen auf den Tarifkonflikt im Sozial- und Erziehungsdienst aufmerksam machen, das stieß auf großes Interesse.« Am 6. April wurden die Erzieherinnen erstmals selbst aktiv: Sie beteiligten sich in der Mittagszeit an einer Streikkundgebung ihrer städtischen Kolleg*innen in Lörrach. Auch in anderen Regionen zeigten an diesem Tag Beschäftigte aus privaten und freigemeinnützigen Einrichtungen ihre Solidarität mit der Tarifbewegung im öffentlichen Dienst.
Bei der Kundgebung in Lörrach mit dabei war auch die Erzieherin Jessica Tanzhaus, die zuvor mit der Gewerkschaft nie in Berührung gekommen war. »Auch wenn es in unserer Einrichtung noch vergleichsweise gut ist, sehe ich, dass die Rahmenbedingungen für die Kitas immer schwieriger werden«, erklärt sie. »Dagegen wollte ich etwas tun. Denn ich habe meinen Beruf nicht gelernt, um Kinder nur zu betreuen, sondern um sie zu fördern.« Das gehe nur mit genug Personal, das angemessen bezahlt wird. Wenn sich viele beteiligen und gemeinsam sichtbar werden, lasse sich etwas bewegen, ist Tanzhaus überzeugt. »Als es um den Streik ging, war daher klar, dass ich mitmache. Sich darauf zu verlassen, dass die Kollegen aus den kommunalen Einrichtungen das für uns hinbiegen, war für mich keine Option.« Fast alle pädagogischen Fachkräfte der Kita Guter Hirte beteiligten sich am 12. Mai am Streik. »Es war eine super Stimmung und sehr emotional zu sehen, wie viele sich für bessere Bedingungen einsetzen.«
Im Vorfeld des Streiktags hatten etliche Gespräche und Treffen in den Einrichtungen stattgefunden. »Wir haben immer wieder erklärt, dass das Streikrecht auch für uns Diakoniebeschäftigte gilt«, berichtet die ver.di-Aktivistin Wipprecht. »Bei einem Treffen haben wir alle, die streiken wollen, gebeten aufzustehen. Fast alle sind aufgestanden.« Die Erzieherinnen ließen sich auch nicht von Einschüchterungsversuchen ihres Arbeitgebers beeindrucken. Streiks seien auf dem sogenannten Dritten Weg kircheninterner Festlegung von Löhnen und Arbeitsbedingungen »nicht vorgesehen und als bewusster Verzicht beider Seiten rechtlich nicht zulässig«, behauptete die Geschäftsführerin des Diakonischen Werks in einem Schreiben. Beteiligten sich die Beschäftigten dennoch am Ausstand, seien arbeitsrechtliche Konsequenzen möglich.
»Die Erzieherinnen haben sich davon nicht ins Bockshorn jagen lassen«, berichtet Daniel Wenk vom Gesamtausschuss der Mitarbeitervertretungen der Diakonie in Baden. »Das sind ganz starke Kolleginnen, die sich nicht daran hindern lassen, ihre Grundrechte auszuüben.« So kam es dann auch: In Lörrach folgte am 12. Mai fast die komplette Belegschaft dem Streikaufruf. Insgesamt legten in beiden Kitas über 40 Beschäftigte die Arbeit nieder. »Das ist ein tolles Zeichen: Die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst streiten gemeinsam für Aufwertung und bessere Arbeitsbedingungen – unabhängig davon, bei welchem Träger sie angestellt sind. Denn gemeinsam sind wir stark.«
Rund 45.000 Beschäftigte aus dem Sozial- und Erziehungsdienst haben allein in dieser Woche (9. bis 15. Mai 2022) bundesweit mit Streiks deutlich gemacht, dass sie von der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) substanzielle Zugeständnisse erwarten. Die Tarifverhandlungen werden ab dem 16. Mai in Potsdam fortgesetzt. Die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Christine Behle betont, ein Kompromiss müsse neben der finanziellen Aufwertung vor allem wirksame Regelungen zur Entlastung der Beschäftigten beinhalten. Wenn sich die Arbeitgeber weiter dagegen sperren, droht eine Eskalation. Die Gewerkschafterin stellt klar: »Sollte die nächste Verhandlungsrunde kein Ergebnis bringen, werden wir die Streiks massiv ausweiten müssen.«
veröffentlicht/aktualisiert am 15. Mai 2022
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