Über eine halbe Million Beschäftigte von Bund und Kommunen haben sich im Frühjahr an Warnstreiks beteiligt. Angesichts der galoppierenden Inflation war ihr gemeinsames Ziel, die Reallöhne soweit wie möglich zu sichern. Mit dabei waren auch Kolleginnen und Kollegen dutzender kirchlicher Einrichtungen, die indirekt vom Tarifkonflikt betroffen sind. Es waren so viele wie noch nie. Auch sie haben ihr Streikrecht wahrgenommen und so zum erzielten Ergebnis beizutragen.
Bereits Streikerfahrung gesammelt hatten in der Tarifrunde des Sozial- und Erziehungsdienstes im vergangenen Jahr Beschäftigte des Diakonischen Werks Lörrach. Auch diesmal waren sie mit dabei und legten die Arbeit nieder. »Ich streike vor allem aus Solidarität, zur Unterstützung dieser Tarifrunde bin ich ver.di-Mitglied geworden«, erklärte die Sozialarbeiterin Nadja Braun aus dem Diakonischen Werk Lörrach, die zum ersten Mal mitmachte. »Mir ist es besonders wichtig, dass die Not der unteren Einkommen gesehen wird. Sie leisten tagtäglich so viel, was uns allen zugutekommt.« Ob bei Pflegekräften, Erzieher*innen, den Beschäftigten der Müllabfuhr oder im Nahverkehr – »der Lohn sollte so sein, dass alle gut davon leben können«, findet Nadja Braun. »Außerdem ist Wertschätzung von Arbeit meist auch an die Höhe des Lohns gebunden.«
An dieser Wertschätzung scheint es vor allem für die sogenannten Frauenberufe zu fehlen. Um das deutlich zu machen, zogen am Internationalen Frauentag, dem 8. März, im ganzen Land Beschäftigte aus Sozial- und Erziehungseinrichtungen durch die Städte. So auch in Freiburg, wo sich Kolleg*innen der Evangelischen Jugendhilfe Freiburg-Zähringen und des Diakonievereins Freiburg-Südwest am Warnstreik beteiligten. In ihren Arbeitsverträgen wird auf den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) Bezug genommen, weshalb die dort erreichten Verbesserungen auch für sie zum Tragen kommen. »Allen ist klar: Je mehr auf die Straße gehen, desto besser wird das Ergebnis. Deshalb ist es uns wichtig, dabei zu sein«, erklärte der Sozialarbeiter Michael Breithut.
Zur Vorbereitung der Tarifrunde hatte er sich an einer Schulungsreihe für ver.di-Mitglieder in kirchlichen Betrieben beteiligt. »Ich bin in den letzten Wochen immer wieder durch die Einrichtung gegangen und habe mit den Leuten geredet. Es gab viele positive Rückmeldungen«, berichtete der Gewerkschafter. Die Leitung der Jugendhilfeeinrichtung behauptete zwar fälschlicherweise, Kirchenbeschäftigte dürften nicht streiken, es gab aber keine aktiven Einschüchterungsversuche. »Wir haben für die Jugendlichen ein Notprogramm sichergestellt und gezeigt: Es geht! Wir haben zum ersten Mal gestreikt.«
In anderen konfessionellen Betrieben versuchte die Kirchenleitung hingegen, Beschäftigte von Arbeitsniederlegungen abzuhalten. So drohte die Evangelische Kirche der Pfalz ihren Kita-Beschäftigten schriftlich: »Sollte gestreikt werden, ist mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu rechnen.« Später ruderte sie rhetorisch zurück und ließ wissen, das Schreiben sei »missverständlich formuliert«. Mit »arbeitsrechtlichen Konsequenzen« sei lediglich gemeint, dass an Streiktagen kein Lohn gezahlt werde – was freilich auch in kommunalen und allen anderen Betrieben gilt. Zugleich beharrte die Rechtsdezernentin der Evangelischen Kirche der Pfalz, Bettina Wilhelm, gegenüber dem SWR darauf, die kirchliche Kita sei »kein Streikbetrieb«. Zwar wende die Evangelische Kirche der Pfalz den TVöD eins zu eins an, »wir selbst sind aber keine Tarifpartei, sondern übernehmen nur das, was andere aushandeln«.
Für Jochen Dürr ist genau das das Problem. »Wir wollen uns nicht darauf verlassen, dass andere für uns etwas durchsetzen, wir sind Teil der Bewegung«, betonte der Heilerziehungspfleger aus der Diakoneo Sonnenhof Schwäbisch Hall gGmbH. Am 7. März hatte ver.di erstmals auch seinen Betrieb zum »Partizipationsstreik« aufgerufen. Das war möglich, weil die sogenannten Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie Würt-temberg eine Tarifautomatik beinhalten: Alles, was der TVöD in Bezug auf Löhne und Arbeitszeiten festschreibt, wird automatisch übernommen. »Wir haben seit 2007 eine ver.di-Betriebsgruppe und immer wieder Aktionen außerhalb der Arbeitszeit gemacht«, berichtete der Heilerziehungspfleger. »Zum ersten Mal richtig mitzustreiken, davon habe ich immer geträumt. Jetzt haben wir es gemacht und den Knoten durchschlagen.«
»All die Jahre hieß es, wir dürften nicht streiken – jetzt tun wir es«, betonte die Köchin Wenke Mühlberg aus dem Stephanus-Stift Ettlingen in der Nähe von Karlsruhe. Dass die Aktionsbereitschaft nicht nur in kommunalen, sondern auch in kirchlichen Einrichtungen so hoch war, führt sie auch auf die Erfahrungen in der Pandemie zurück. »Das war für uns eine ganz schlimme Zeit. Es wurde geklatscht – aber sonst ist rein gar nichts passiert.« Es gehe daher auch darum, sich in der Tarifrunde zu zeigen und deutlich zu machen, was in der Altenpflege geleistet wird. Und natürlich, einen guten Tarifabschluss zu erreichen. »Etwas durchzusetzen geht nur mit Masse«, ist die Gewerkschafterin überzeugt. Deshalb müssten sich auch die Beschäftigten der Kirchen engagieren. »Nur zusammen sind wir stark!«
Das findet auch die Verwaltungsangestellte Patricia Frey von der Stadtkirche Freiburg. »Ich möchte solidarisch sein mit denjenigen, die für uns den Rücken hinhalten. Den Dritten Weg kircheninterner Festsetzung von Löhnen und Arbeitsbedingungen findet sie »längst nicht mehr zeitgemäß«. Beschäftigte und Arbeitgeber sollten auf Augenhöhe verhandeln. »Das geht nur, wenn auch Konflikte und Streiks möglich sind.« Die Menschen litten unter der hohen Inflation, gerade in den unteren Gehaltsgruppen und besonders Alleinerziehende und Teilzeitkräfte. »Mit ihnen möchte ich meine Solidarität zeigen.«
Für Marylin Göpper steht es außer Frage, dass, wer etwas bewegen will, selbst tätig werden muss. »Nur jammern ändert nichts an unserem Gehalt und auch nicht an den Arbeitsbedingungen«, so die Assistenzkraft, die gemeinsam mit zehn Kolleginnen aus der Sozialstation Kehl Hanauerland zum ersten Mal beim Streik dabei war. Angesichts der schlechten Arbeitsbedingungen und hohen Anforderungen sei der Verdienst viel zu gering. »Als klar war, dass wir für mehr Geld streiken können, waren meine Kolleginnen gleich mit von der Partie.«
Daniel Wenk, der sich bei ver.di und im Gesamtausschuss der Mitarbeitervertretungen in Baden engagiert, sieht die Welle von Streiks in kirchlichen Einrichtungen als wichtigen Durchbruch. »Die Kolleginnen und Kollegen haben sich selbst ermächtigt. Sie haben klargemacht: Als Kirchenbeschäftigte sind wir Teil der Bewegung und nutzen unsere Rechte. Das ist richtig gut.«
Daniel Behruzi
Dieser Artikel ist im Kirchen.info Nr. 41 erschienen.