Buchbesprechung

Tipps für Mitarbeitervertretungen

21.07.2021

Die gerade neu gewählten Mitarbeitervertreter*innen in den Dienststellen der katholischen Kirche und den Betrieben der Caritas können sich freuen. Kürzlich hat der Bund-Verlag die Ratgeberreihe für Mitarbeitervertretungen „aktiv in der Mitarbeitervertretung“ mit einem entsprechenden Band für den katholischen Bereich ergänzt und erweitert.

 
Tipps für MAV-Mitglieder in der katholischen Kirche und Caritas, BUND-Verlag

So viel sei vorweggesagt: den drei Autor*innen Christina Merkel, Richard Geisen und Christof Mock ist es gelungen, auf 342 Seiten rechtliches Wissen und soziale Kompetenz für die anspruchsvolle Arbeit von Mitarbeitervertretungen niederzuschreiben. Gleich zu Beginn fällt dem Lesenden auf, hier schreiben Praktiker*innen, die mit den Alltagsproblemen der MAV-Arbeit vertraut sind. Die Sprache ist erfrischend juristisch zurückgenommen. Neu auch für gewerkschaftliches Schrifttum: die weitgehende sprachliche Vereinfachung auf die weibliche Form. Richtigerweise wird in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass abhängig Beschäftigte in Kirche und Caritas überwiegend weiblich sind.

Bevor es in die rechtlichen Feinheiten der katholischen Mitarbeitervertretungsordnung geht, werden im Kapitel I Rollen- und Selbstverständnis Fragen von neu gewählten Mitarbeitervertreter*innen besprochen. „Die MAV ist nicht primär Brücke zwischen Dienstgeber und Kollegenschaft… sie ist vielmehr Brückenkopf auf Seiten der Belegschaft und nutzt ihre Mitwirkungsrechte in deren Interesse.“ Es lohnt sich auch für alte „Häsinnen und Hasen“ der MAV-Arbeit diese Haltungsfrage hin und wieder zu diskutieren und neu zu auszuloten.

In Kapitel II werden Fragen zur Arbeit neu gewählter Mitarbeitervertretungen mit den jeweiligen rechtlichen Vorschriften ausführlich beleuchtet. Erhellende Vergleiche mit dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) werden vorgenommen. Beispielhaft sollen hier die erheblichen schlechteren katholischen Regelungen als im BetrVG zur Freistellung und Fortbildung genannt sein. Zurecht kritisieren die Autor*innen den Genehmigungsvorbehalt der Bistümer bzw. Caritasverbände für MAV-Fortbildungen. Für eine konsequent arbeitnehmerorientierte MAV-Arbeit wird es zukünftig sicher sinnvoll sein, dafür zu sorgen, dass Mitarbeitervertreter*innen notwendige Schulungen, hier geht es in erster Linie um Fortbildungen der zuständigen Gewerkschaft ver.di, frei auswählen können. Die „Tipps“ sind das Salz in der Lektüre dieses Buches, in Hülle und Fülle erhalten MAV-Praktiker*innen nützliche Hilfe für die vielfältige Arbeit einer MAV.

Kapitel III widmet sich den Sonderformen der MAV-Arbeit, den diversen Zusammenschlüssen wie der Gesamt-MAV und Arbeitsgemeinschaften mit dem Titel „Über den Tellerrand schauen“. Differenziert dargestellt finden die Leser*innen auch die diversen betrieblichen und überbetrieblichen Organe des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, für deren formelle und informelle Vernetzung und Zusammenarbeit anhand zahlreicher Beispiele geworben wird.

„Alltag und laufende Arbeit der MAV“ lautet die Überschrift in Kapitel IV. Auf 60 Seiten werden sehr gelungen u.a. Themen des Selbstverständnisses, des Zeitmanagements, kontinuierlichen Arbeitens, Schwerpunktsetzungen, Stressfragen, gute Stimmung für die MAV-Arbeit bis Konfliktpartnerschaft zwischen Arbeitgeber und MAV gründlich ausgeleuchtet.

Für katholische Einrichtungen oft noch neu, aber sehr wichtig und selbstredend ausbaufähig: MAV-Arbeit und Gewerkschaft sind zwei Seiten einer Medaille der betrieblichen Interessenvertretungsarbeit. Das entsprechende Unterkapitel beginnt mit dem denkwürdigen Hinweis, dass Gewerkschaften zwar im katholischen Katechismus, nicht aber in der MAVO vorkommen. Entfaltet werden zahlreiche Möglichkeiten gewerkschaftlichen Engagements in der MAV und im Betrieb, wobei auch die sich aktuell wandelnde arbeitsrechtliche Entwicklung und Rechtsprechung berücksichtigt wird. Jedem MAV-Mitglied seien diese Seiten zur Lektüre empfohlen. Es ist kein Geheimnis, dass die gewerkschaftliche Organisierung in katholischen Betrieben noch stärker werden darf. Deshalb wären in einer künftigen Auflage Hinweise hilfreich, die die praktische gewerkschaftliche Organisierung für eine erfolgreichere MAV-Arbeit noch konkreter beschreiben.

Kapitel V bis VII behandeln ausführlich Rechtsgrundlagen der MAV-Arbeit. Kritisch wird in die Problematik des kirchlichen Sonderarbeitsrecht eingeführt sowie auch in die für die Beschäftigten kirchlicher Betriebe geltenden allgemeingültigen Standards des Arbeitsrechts. Der Einstieg erfolgt klassisch und methodisch bewährt mit Hilfe der sogenannten „Arbeitsrechtspyramide“. Die Autor*innen vollziehen hier allerdings eine zweifelhafte Gleichsetzung der kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien mit Tarifverträgen. Vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu den kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) sind diese als Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 Bürgerliches Gesetzbuch zu bewerten. Sie sind keine Kollektivverträge wie Tarifverträge, die unmittelbar und zwingend Anwendung finden. AVR wirken erst dadurch, dass sie einzelvertraglich in Bezug genommen werden. Folgerichtig müsste im Modell der Arbeitsrechtspyramide deshalb eine Einordnung auf der Ebene einzelvertraglicher Vereinbarungen, also dem Arbeitsvertrag, erfolgen. Zudem zählt zur Rangfolge der Rechtsnormen auch die Ebene der EU-Richtlinien, die für die Bewertung des nationalen kirchlichen Sonderstatus im Arbeitsrecht zunehmend von Bedeutung sind. Positiv hervorzuheben ist die sehr verständliche Darstellung der Grundlagen der Mitbestimmung, auch inkl. der Schwächen bei den Möglichkeiten für eine rechtliche Durchsetzung.

Kapitel VIII setzt sich ausführlich mit den Grundlagen und „Ideen“ der Arbeitsrechtsregelungen in der katholischen Kirche und der Caritas auseinander. Die Autor*innen lassen keinen Zweifel daran, dass sie die Materie beherrschen. Das Spezialvokabular des kirchlichen Arbeitsrechts, etwa die Begriffe Dienstgemeinschaft, Dritter Weg, Loyalität, Parität werden einer bemerkenswert und geboten kritischen Diskussion unterzogen. Ausführlich werden die unterschiedlichen Positionen zu den einzelnen Themenfeldern bearbeitet. Eingeweihte Leser*innen können hier ihr Wissen zu den seit Jahren diskutierten Themen, wie auch zu den einschlägigen aktuellen Urteilen, auffrischen. Neu Interessierte finden gute Orientierung zu der umstrittenen kirchlichen Nebenrechtsordnung im Arbeitsrecht. Schade ist, dass die Autor*innen auf ein Urteil über notwendige Veränderungsbedarfe verzichten. Insbesondere ihr Blick als kompetente Praktiker*innen wäre für die Leser*innen spannend und könnte wertvolle Impulse liefern. Wer mag, kann sogar die Namen der zuständigen Diözesanbischöfe finden, die nach wie vor eine anachronistische Macht in der katholischen Kirche besitzen und sie auch verbissen verteidigen.

Abschließend sei noch der praxisorientierte Anhang erwähnt, der u.a. eine Reihe abgedruckter Musterdienstvereinbarungen enthält. Statistische Materialien zu den Beschäftigten bei Kirche und Caritas, eine interessante Darstellung des sogenannten „konfessionellen Paradoxons“ sowie Literaturhinweise und interessante, einschlägige Internetadressen vervollständigen die hilfreiche Sammlung für die MAV-Arbeit.  

Eine intensive Lektüre des vorliegenden Buches ist sicher ein Gewinn für jede MAV. Den Autor*innen ist insgesamt ein Werk gelungen, das tausenden Mitarbeitervertreter*innen helfen wird, der Interessenvertretungsarbeit frische Impulse zu verleihen.

Rezension: Berno Schuckart-Witsch

 

Tipps für MAV-Mitglieder in der katholischen Kirche und Caritas, Rechtliches Wissen und soziale Kompetenz: Richard Geisen, Christina Merkel, Christof Mock; März 2021; Bund-Verlag, Frankfurt

 

 

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