Beschäftigte der Coburg Inklusiv gGmbH wollen sich nach dem Übertritt ins Diakonische Werk nicht mit dem kirchlichen Arbeitsrecht zufriedengeben. Sie fordern den TVöD.
Auf dem Marktplatz des oberfränkischen Städtchens Coburg geht es normalerweise beschaulich zu. Auch am Donnerstagnachmittag (20. Februar 2020) ist erst nicht viel los. Im Rathaus tagt der Stadtrat. Draußen schlendern kleine Gruppen aus verschiedenen Richtungen heran. Sie haben gelbe ver.di-Streikwesten unter den Arm geklemmt und kleine rote Fähnchen in der Hand. »Nicht schön«, steht darauf. Plötzlich wird es laut. Wie auf Kommando fangen rund 120 Menschen an zu tröten, zu trommeln und zu pfeifen. Es sind Beschäftigte der Coburg Inklusiv gGmbH, die eine Bezahlung nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) fordern. Ihr Arbeitgeber – der vor einem Monat den Dachverband wechselte, vom Paritätischen Wohlfahrtsverband zum Diakonischen Werk Bayern – bietet ihnen nur eine Vergütung nach den schlechteren, kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) an. Dagegen protestieren sie mit einem »Flashmob«, um die Öffentlichkeit auf das Thema aufmerksam zu machen.
»Wir möchten gehört werden und die Wertschätzung bekommen, die wir verdienen«, erklärt die Erzieherin Sermin Güngör. Mit viel Engagement und Liebe sorgten die rund 330 Beschäftigten jeden Tag für Kinder mit Behinderungen. »Ich gehe sehr gerne arbeiten, weil man von den Kindern und Eltern ganz viel zurückbekommt«, sagt die 27-Jährige. Aber von Seiten des Arbeitgebers fehle die Anerkennung – auch finanziell.
Ein Kollege verweist darauf, dass die Kostenträger die Bezahlung nach dem TVöD vollständig refinanzieren würden. Dennoch verdient ein Großteil der Belegschaft monatlich mehrere hundert Euro weniger als im Flächentarifvertrag, da dieser für sie nur noch statisch aus dem Jahr 2014 gilt. Die Bezahlung nach den AVR, die die Geschäftsführung den einzelnen Beschäftigten anbietet, liegt zwar darüber, aber zugleich unter dem aktuellen TVöD. »Der neue Geschäftsführer hatte ursprünglich versprochen, dass alle den TVöD bekommen. Das gilt auf einmal nicht mehr«, kritisiert der 48-Jährige. »Da fühlt man sich verarscht.«
Bernd Wittmann ist schon lange als heilpädagogische Unterrichtshilfe und Gruppenleiter in der Einrichtung tätig. Ihn stört vor allem, dass der Träger – der nun plötzlich kirchlich sein soll – einen arbeitsrechtlichen Sonderweg gehen will. Das Management erkennt den Betriebsrat seit dem Übertritt zum Diakonischen Werk nicht mehr an. »Damit verlieren die Beschäftigten ein Sprachrohr, das sie brauchen«, betont der 34-Jährige, der selbst in der Belegschaftsvertretung engagiert war.
Die Kinderpflegerin Susanne Schmehle kritisiert, dass der Übertritt zum Diakonischen Werk in einer »Nacht-und-Nebel-Aktion«, ohne Kommunikation mit der Belegschaft vollzogen wurde. »Auf einmal steht Diakonie vorne drauf, dabei hat sich nichts geändert. Es sind die gleichen Beschäftigten, die sich mit viel Hingabe um die Kinder kümmern. Mit der Kirche hat das eigentlich nichts zu tun.« Statt an den Betriebsrat sollen sich die Beschäftigten nun an eine Gesamt-Mitarbeitervertretung der Diakonie Coburg wenden. Doch diese kennt niemand. »Wir wollen das nicht hinnehmen und wehren uns dagegen, als Betriebsrat beseitigt zu werden«, sagt die stellvertretende Vorsitzende des Gremiums.
Vor allem aber wehren sie und ihre Kolleg*innen sich gegen die unzureichende Bezahlung. »Es ist ein Skandal, dass die Geschäftsführung den TVöD nicht bezahlen will, obwohl die Kostenträger uns gegenüber bestätigt haben, dass sie den Tarifvertrag refinanzieren.« Schon jetzt wanderten Fachkräfte in andere Einrichtungen ab, wo sie mehr verdienen können. Deshalb fehle es an Personal. »Die Beschäftigten leiden, die Kinder leiden – deshalb wehren wir uns jetzt.«
Schon vor dieser Auseinandersetzung war die Belegschaft gewerkschaftlich recht gut organisiert. In den vergangenen zwei Jahren hat sich die Zahl der ver.di-Mitglieder nochmals verdoppelt, sodass inzwischen zwei von drei Beschäftigten in der Gewerkschaft sind. »Die Kolleginnen und Kollegen sind total aktiv«, berichtet die ver.di-Sekretärin Magdalene Waldeck. »Wir haben Mitgliederversammlungen, an denen fast jeder zweite Beschäftigte teilnimmt – das ist schon außergewöhnlich.« Für den 2. März ist ein letzter Gesprächsversuch mit der Geschäftsführung geplant. »Wenn sich dann nichts bewegt, wird es sicher noch häufiger Aktionen geben. Die Beschäftigten sind auf jeden Fall bereit dazu«, kündigt die Gewerkschafterin an. Womöglich wird es auf dem historischen Coburger Marktplatz dann noch öfter laut.
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