»Wir sind Teil der Bewegung«

Beschäftigte kirchlicher Einrichtungen beteiligen sich an den Warnstreiks in der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes. Sie wollen nicht länger andere für sich kämpfen lassen.
09.03.2023


Die Warnstreikwelle im öffentlichen Dienst rollt. Von Kiel bis zum Bodensee gehen Beschäftigte der Kommunen und des Bundes auf die Straße, um sich für ihre Forderung nach 10,5 Prozent, mindestens monatlich 500 Euro mehr Geld einzusetzen. Und nicht nur sie. Mit dabei sind auch Kolleginnen und Kollegen kirchlicher Einrichtungen, die indirekt vom Tarifkonflikt betroffen sind. Auch sie nehmen ihr Streikrecht wahr, um zu einem guten Ergebnis beizutragen.

 
Im Partizipationsstreik: Kolleg*innen des Diakonischen Werks Lörrach am 6. März 2023

Bereits Streikerfahrung gesammelt haben in der Tarifrunde des Sozial- und Erziehungsdienstes im vergangenen Jahr Beschäftigte des Diakonischen Werks Lörrach. Auch jetzt sind sie wieder mit dabei: Am 6. März 2023 legten sie die Arbeit nieder und beteiligten sich an einer Demonstration durch den Ort ganz im Südwesten des Landes. Gemeinsam mit ihren Kolleg*innen aus dem Landratsamt, den kommunalen Kliniken, der Stadtverwaltung und anderen Betrieben zogen sie zum Rathaus. Insgesamt waren es rund 500 Demonstrierende – weit mehr als erwartet.

»Ich streike vor allem aus Solidarität, zur Unterstützung dieser Tarifrunde bin ich ver.di-Mitglied geworden«, erklärt die Sozialarbeiterin Nadja Braun aus dem Diakonischen Werk Lörrach, die zum ersten Mal mitmacht. »Mir ist es besonders wichtig, dass die Not der unteren Einkommen gesehen wird. Sie leisten tagtäglich so viel, was uns allen zugutekommt.« Ob bei Pflegekräften, Erzieher*innen, den Beschäftigten der Müllabfuhr oder im Nahverkehr – »der Lohn sollte so sein, dass alle gut davon leben können«, findet Nadja Braun. »Außerdem ist Wertschätzung von Arbeit meist auch an die Höhe des Lohns gebunden.«

 
Im Warnstreik: Erzieherinnen des Diakonievereins Freiburg Südwest am 8. März in Freiburg

Je mehr auf die Straße gehen, desto besser wird das Ergebnis

An dieser Wertschätzung scheint es vor allem für die sogenannten Frauenberufen zu fehlen. Um das deutlich zu machen, zogen am Internationalen Frauentag, dem 8. März, im ganzen Land Beschäftigte aus Sozial- und Erziehungseinrichtungen durch die Städte. So auch in Freiburg, wo sich Kolleg*innen der Evangelischen Jugendhilfe Freiburg-Zähringen und des Diakonievereins Freiburg-Südwest am Warnstreik beteiligten. In ihren Arbeitsverträgen wird auf den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) Bezug genommen, weshalb die dort erreichten Verbesserungen auch für sie zum Tragen kommen. »Allen ist klar: Je mehr auf die Straße gehen, desto besser wird das Ergebnis. Deshalb ist es uns wichtig, dabei zu sein«, erklärt der Sozialarbeiter Michael Breithut.

 
Erstmals im Streik: Beschäftigte der Evangelischen Jugendhilfe Freiburg-Zähringen am 8. März in Freiburg

Zur Vorbereitung der Tarifrunde hat er sich an einer Schulungsreihe für ver.di-Mitglieder in kirchlichen Betrieben beteiligt. »Ich bin in den letzten Wochen immer wieder durch die Einrichtung gegangen und habe mit den Leuten geredet. Es gab viele positive Rückmeldungen«, berichtet der Gewerkschafter. Die Leitung der Jugendhilfeeinrichtung behauptete zwar fälschlicherweise, Kirchenbeschäftigte dürften nicht streiken, es gab aber keine aktiven Einschüchterungsversuche. »Wir haben für die Jugendlichen ein Notprogramm sichergestellt und gezeigt: Es geht! Wir haben zum ersten Mal gestreikt.«

Der Knoten ist durchschlagen

In anderen konfessionellen Betrieben versuchte die Kirchenleitung hingegen, Beschäftigte von Arbeitsniederlegungen abzuhalten. So drohte die Evangelische Kirche der Pfalz ihren Kita-Beschäftigten schriftlich: »Sollte gestreikt werden, ist mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu rechnen.« Später ruderte sie rhetorisch zurück und ließ wissen, das Schreiben sei »missverständlich formuliert«. Mit »arbeitsrechtlichen Konsequenzen« sei lediglich gemeint, dass an Streiktagen kein Lohn gezahlt werde – was freilich auch in kommunalen und allen anderen Betrieben gilt. Zugleich beharrte die Rechtsdezernentin der Evangelischen Kirche der Pfalz, Bettina Wilhelm, gegenüber dem SWR darauf, die kirchliche Kita sei »kein Streikbetrieb«. Zwar wende die Evangelische Kirche der Pfalz den TVöD eins zu eins an, »wir selbst sind aber keine Tarifpartei, sondern übernehmen nur das, was andere aushandeln«.

 
Beteiligen sich zum ersten Mal am Warnstreik: Beschäftigte des Diakoneo Sonnenhof Schwäbisch Hall am 7. März

Für Jochen Dürr ist genau das das Problem. »Wir wollen uns nicht darauf verlassen, dass andere für uns etwas durchsetzen, wir sind Teil der Bewegung«, betont der Heilerziehungspfleger aus der Diakoneo Sonnenhof Schwäbisch Hall gGmbH. Am 7. März hat ver.di erstmals auch seinen Betrieb zum »Partizipationsstreik« aufgerufen. Das ist möglich, weil die sogenannten Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie Württemberg eine Tarifautomatik beinhalten: Alles, was der TVöD in Bezug auf Löhne und Arbeitszeiten festschreibt, wird automatisch übernommen.

In Württemberg konnten sich deshalb auch Beschäftigte der Stiftung Jugendhilfe aktiv, der Evangelischen Gesellschaft und des Rudolf-Sophien-Stifts in Stuttgart sowie der PP.rt – Gemeinnützige Gesellschaft für Psychiatrie in Reutlingen an den Warnstreiks beteiligen. »Wir haben seit 2007 eine ver.di-Betriebsgruppe und immer wieder Aktionen außerhalb der Arbeitszeit gemacht«, berichtet Jochen Dürr vom Diakoneo Sonnenhof. »Zum ersten Mal richtig mitzustreiken, davon habe ich immer geträumt. Jetzt haben wir es gemacht und den Knoten durchschlagen.« Der nächste Warnstreik in Schwäbisch-Hall ist für den 23. März geplant. Dann wollen Jochen Dürr und seine Kolleg*innen auf jeden Fall wieder dabei sein.


veröffentlicht am 9. März 2023

 

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