Die deutsche Krankenhauslandschaft steht vor einschneidenden Veränderungen. Keine Überraschung war es daher, dass die anstehende Reform der Klinikfinanzierung den ersten Tag der ver.di-Krankenhaustagung am Donnerstag (9. November 2023) in Berlin dominierte. Deutlich wurde: Viele Betriebs- und Personalräte sowie Mitarbeitervertretungen sorgen sich um die Zukunft ihrer Kliniken. Sie wollen sich mit ver.di in die weiteren Debatten einmischen, um die flächendeckende Versorgung zu sichern und gute Arbeitsbedingungen zu erreichen.
»Wir sind bei der Krankenhausfinanzierung in einer ganz entscheidenden Phase«, erklärte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler. Sie appellierte an die mehr als 300, aus dem ganzen Bundesgebiet angereisten Interessenvertreter*innen: »Mischt euch ein! Macht die Reform im Betrieb zum Thema, redet mit den Arbeitgebern, ladet die Abgeordneten ein und macht klar, dass der Umbau nicht zulasten der Beschäftigten gehen darf.« Die Gewerkschafterin forderte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf, mit der angekündigten Entökonomisierung nicht auf halber Strecke stehen zu bleiben. Statt die Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRG) lediglich mit der Einführung von Vorhaltepauschalen einzuschränken, müssten diese komplett abgeschafft und durch eine bedarfsgerechte Finanzierung ersetzt werden.
Michaela Evans vom Institut Arbeit und Technik in Gelsenkirchen räumte derweil mit einigen Mythen auf, die die Debatte zur Krankenhausreform bestimmen. So sei immer wieder von einer »ineffizienten Personalvorhaltung« die Rede. Es werde argumentiert, die Konzentration von Krankenhausleistungen auf weniger Standorte sei die Lösung des Fachkräfteproblems. »Der Fachkräftemangel wird als Legitimation genutzt, um die Strukturbereinigung in der Krankenhauslandschaft zu befördern«, erklärte die Wissenschaftlerin, die der »Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung« angehört. Doch die These, dass Beschäftigte einfach ins nächste Krankenhaus wechseln, wenn ihrer Klinik geschlossen wird, sei nicht belegt. »Das ist ein Irrglaube«, meinte ein Personalrat aus Göttingen mit Verweis auf örtliche Erfahrungen.
Ein zentraler Aspekt der Debatte ist, dass bislang stationäre Leistungen künftig ambulant erbrachte werden sollen. Allerdings besteht in vielen Regionen bereits jetzt eine Unterversorgung mit Hausärzt*innen. Und auch der Aufbau Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) garantiert keine gute Versorgung im ländlichen Raum. So stellte Evans dar, dass die Zahl der MVZ zwar in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen ist. Allerdings befinden sich nur 15 Prozent von ihnen in ländlichen Gemeinden. Die Strukturen der Gesundheitsversorgung müssten konkret vor Ort angeschaut werden, um diese sinnvoll weiterzuentwickeln, so die Wissenschaftlerin. Dabei müssten auch die Beschäftigten und ihre Gewerkschaft ver.di einbezogen werden. Für den Ausschuss, der die Leistungsgruppen weiterentwickeln soll, denen die Kliniken zugeordnet werden, ist das bislang indes nicht vorgesehen.
Auch Sylvia Bühler betonte, die Sicherung einer flächendeckend guten Versorgung müsse zentrales Ziel der Reform sein. Und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Dass bei besseren Bedingungen viele Pflegefachkräfte, die ihrem Beruf den Rücken gekehrt haben, zurückgewonnen werden könnten, zeige die Studie »Ich pflege wieder, wenn…«. »Es muss auch alles dafür getan werden, dass diejenigen, die jetzt im Gesundheitswesen arbeiten, im Beruf und dabei gesund bleiben«, forderte Bühler. Entscheidend hierfür seien bedarfsgerechte und verbindliche Personalvorgaben, wie sie ver.di gemeinsam mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Deutschen Pflegerat für die Krankenhauspflege entwickelt hat – die PPR 2.0. Dass diese nun eingeführt wird, sei das Ergebnis jahrelanger Aktivitäten. »Wir haben einen langen Atem bewiesen und immer wieder Druck gemacht. Wir können mit Stolz sagen: Die PPR 2.0 gibt es nur, weil es ver.di gibt.«
Auch sonst gilt: Gewerkschaft macht den Unterschied. Zunehmend verschaffen sich Beschäftigte im Gesundheitswesen Respekt, indem sie sich organisieren und für ihre gemeinsamen Interessen einsetzen. »Hier sind wir ein großes Stück vorangekommen«, bilanzierte Bühler. »In unserem ver.di-Fachbereich haben wir so viele Mitglieder wie noch nie. Das ist gut. Denn zusammen geht mehr!«
Interaktiv, kreativ und diskussionsfreudig – so ging es bei den insgesamt zwölf Praxisforen auf der ver.di-Krankenhaustagung am 9. November 2023 in Berlin zu. Zentrales Ziel der Workshops, die in zwei Phasen parallel zueinander stattfanden, war es, die Betriebs- und Personalräte sowie Mitarbeitervertreter*innen in ihrer betrieblichen Praxis zu stärken. Thematisch deckten sie ein breites Spektrum ab. So befasste sich das Forum 1 mit der Erprobung und verbindlichen Einführung des Personalbemessungsinstruments in der Krankenhauspflege, der PPR 2.0. Auch die Personalbemessung für Intensivstationen, INPULS, wurde diskutiert. Der Personalrat Sebastian Tensing aus der Uniklinik Mainz berichtete, wie die PPR 2.0 dort digital umgesetzt wird. In der Debatte zeigte sich, dass gerade in Bezug auf die Digitalisierung große Unterschiede zwischen den Häusern bestehen.
In Forum 2 erhielten die Interessenvertreter*innen Tipps für eine wirksame Kommunikation mit politisch Verantwortlichen in der Region. Ein zentrales Thema ist dabei die regionale Krankenhausplanung. Viele der anwesenden Gremienvertreter*innen betreiben bereits eine aktive Lobbyarbeit bei Landespolitiker*innen und Abgeordneten. Die Debatte im Forum machte deutlich, dass und wie diese Arbeit weiter ausgebaut werden sollte. Teilweise kontrovers ging es beim Forum 3 zu, das sich mit »New Work«, der »selbstführenden« Station im Krankenhaus befasste. Einige plädierten dafür, in der Arbeitsorganisation neue Wege zu gehen, andere sahen dies kritisch. Kolleginnen des Klinikums Aschaffenburg-Alzenau berichteten von ihrem Engagement im Pilotprojekt »Meine Station – New Work«, für das das Gremium just an diesem Tag mit dem »Sonderpreis Innovative Betriebsratsarbeit« des Deutschen Betriebsrätepreises ausgezeichnet wurde.
Im Forum 4 stellten die Teilnehmenden die eigenen, althergebrachten Wege infrage. In einem World Café sprachen sie darüber, wie neue Arbeitsweisen und Projekte in der Gremienarbeit aussehen könnten. Dafür wurden Werkzeuge für ein modernes Prozessmanagement vorgestellt. Thema des interaktiv gestalteten Forums 5 war die Arbeit im Wirtschaftsausschuss. Angesichts der schwierigen ökonomischen Lage vieler Kliniken und der anstehenden Umwälzungen ist es für Interessenvertretung umso wichtiger, Informationen über die wirtschaftliche Situation im Unternehmen zu erhalten und diese zu verstehen. Dafür lieferte das Forum viele Hinweise.
Forum 6 beschäftigte sich mit dem Trend zur Ambulantisierung. Die Verlagerung von Leistungen in den ambulanten Bereich dürfte sich mit der anstehenden Krankenhausreform nochmals deutlich beschleunigen. Für die Interessenvertretungen ist es wichtig, ihre Beteiligungsrechte zu nutzen, um auch bei ambulanten Einsätzen für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen. Dass ein komplexes Thema wie die Krankenhausfinanzierung spannend aufbereitet werden kann, zeigte das Forum 7. Es vermittelte einen Überblick über Entstehung, Wirkungsweise und anstehenden Veränderungen in der Finanzierung der Kliniken. In den Diskussionen berichteten Teilnehmende über die jeweilige Situation vor Ort. Deutlich wurde: Auch wenn die Krankenhausfinanzierung ein schwierig Thema ist, lohnt die Beschäftigung damit, um in Verhandlungen gut gerüstet zu sein.
Großen Redebedarf gab es in Forum 8, das sich mit den Auswirkungen aktueller Reformen in der Notfallversorgung befasste. Dabei machten manche Teilnehmende ihre Unzufriedenheit mit der Politik der Bundesregierung deutlich. Konkret ging es darum, Handlungsmöglichkeiten der betrieblichen Interessenvertretungen in Bezug auf Notaufnahmen und Notfallzentren aufzuzeigen. Mit einem hoch aktuellen Thema befasste sich Forum 9, das über die Zukunft der Krankenhausversorgung im ländlichen Raum diskutierte. Wie die flächendeckende Versorgung gesichert werden kann, ist eine der zentralen Fragen, die die anstehende Krankenhausreform beantworten muss. Im Forum diskutierten die Teilnehmenden, wie Betriebs- und Personalräte bzw. Mitarbeitervertretungen die Entwicklungen mitgestalten können. Sinnvoll ist dafür eine überbetriebliche Vernetzung, um auf die Landespolitik Einfluss zu nehmen.
Interaktiv gestaltet war das Forum 10, in dem digitale Methoden für die Kommunikation der Interessenvertretungen vermittelt wurden. Die Teilnehmenden konnten direkt verschiedene Werkzeuge ausprobieren und mitnehmen. Digitale Mittel können einen Beitrag dazu leisten, den Austausch zwischen Gremium und Belegschaft zu intensivieren. In Forum 11 ging es um die Richtlinie Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik (PPP-RL) und inwiefern deren Vorgaben in den psychiatrischen Einrichtungen tatsächlich umgesetzt wird. Laut einer aktuellen ver.di-Erhebung, die im Forum vorgestellt wurde, liegt der Erfüllungsgrad bei nur 77 Prozent. Teil der Diskussion war, wie sich betriebliche Interessenvertretungen für einen bedarfsgerechten Personaleinsatz in der Psychiatrie stark machen können. Mit einem seit vielen Jahren gravierenden Problem befasste sich das Forum 12: dem Outsourcing von Krankenhausleistungen und Belegschaftsteilen. Die so bewirkte Zergliederung der Betriebe schadet nicht nur den Arbeitsbedingungen, sondern auch der Kooperation und damit oft auch der Qualität der Patientenversorgung. Im Forum diskutierten die Teilnehmenden über die Folgen für die Arbeitsorganisation und die Handlungsmöglichkeiten der Interessenvertretungen.
Bereichsleiterin Gesundheitswesen/Gesundheitspolitik
030/6956-1810
grit.genster@verdi.de