Krankenhaustagung 2018

    Die Bedingungen stimmen nicht

    12.11.2018

    Hohe Arbeitsbelastung treibt Klinikbeschäftigte aus dem Beruf oder in Teilzeitarbeit. Managementvertreter haben bei der ver.di-Krankenhaustagung nur wenig anzubieten.

     
    Krankenhaustagung 2018
    © shift/studio für ver.di
    Krankenhaustagung 2018

    »Fachkräfte – hin und weg!?« Unter diesem Motto diskutierten die 270 Teilnehmer/innen der ver.di-Krankenhaustagung am Freitag (9. November 2018) in Berlin über eine Zukunftsfrage des Gesundheitswesens: Wie kann es gelingen, den wachsenden Fachkräftebedarf in der Pflege und anderen Gesundheitsberufen zu decken? Die Referent/innen gaben darauf ganz unterschiedliche Antworten: Während Vertreter/innen aus dem Krankenhausmanagement über optimierte Abläufe, Analysen und Gesundheitsprogramme sprachen, kritisierten Beschäftigte grundlegend die unzureichende Personalbesetzung und die schlechten Arbeitsbedingungen, die Pflegekräfte aus dem Beruf treiben.

    Was möglich ist, wenn Arbeitgeber bereit und in der Lage sind, in die Fachkräftesicherung zu investieren, machte ein Beitrag von Jorge Ferreira, Betriebsrat beim Pharmaunternehmen Merck deutlich. Er berichtete davon, dass Schichtarbeiter in der Darmstädter Firma hohe Zuschläge und zusätzliche Urlaubstage als Belastungsausgleich erhalten. Ältere Beschäftigte arbeiten kürzer, insbesondere bei belastenden Tätigkeiten. Schichtarbeiter/innen haben zudem Anspruch auf Gesundheitsförderung, zusätzlichen Erholungsurlaub und viele weitere Maßnahmen, mit denen Fachkräfte an den Betrieb gebunden werden sollen.

    Für die in Berlin versammelten Betriebs- und Personalräte sowie Mitarbeitervertreter/innen aus Krankenhäusern des ganzen Bundesgebiets klang vieles davon wie aus einer anderen Welt. »Das wäre im Krankenhaus nicht umsetzbar«, meinte der Betriebsratsvorsitzende eines kommunalen Krankenhauses. »Das hat auch damit zu tun, dass die Pharmaindustrie einen Haufen Geld verdient, der anderswo gebraucht würde.« Ein anderer Kollege aus dem Klinikum Hanau betonte den Zusammenhang zum hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad in der Industrie: »In der Chemie sind 70 bis 90 Prozent der Facharbeiter organisiert. Wir müssen unseren Leuten im Krankenhaus klarmachen: Wenn sie das auch tun, können wir so etwas auch durchsetzen.«

     
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    »Moralische Erpressung«

    Durchschnittlich 68 Tage braucht der kommunale Berliner Krankenhauskonzern Vivantes derzeit, um eine vakante Stelle neu zu besetzen, berichtete dessen geschäftsführende Personalmanagerin Corinna Jendges. Sie räumte ein, dass die Ausbildungskapazitäten in der Pflege den Bedarf bei Weitem nicht decken. Vivantes wolle deshalb die Zahl der Ausbildungsstellen schrittweise von ein- auf zweitausend verdoppeln. Ein Problem sei allerdings, dass es auch zu wenige Lehrkräfte für Pflegeschulen gebe. Der Manager Jens Wegeleben von den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) – die ebenfalls mit einem Mangel an (in diesem Fall fahrendem) Personal zu kämpfen haben – betonte, Unternehmen müssten stärker auf die Bedürfnisse und Erwartungen der Beschäftigten eingehen, um sie zu gewinnen und zu halten. Bei der BVG dauere die Wiederbesetzung einer Stelle aktuell durchschnittlich 75 Tage.

    Der Sprecher des Vorstands des Dresdner Uniklinikums, Michael Albrecht, erklärte einerseits: »Die Attraktivität des Arbeitsplatzes ist entscheidend dafür, die Mitarbeiter zu halten.« Andererseits mochte er keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen hoher Arbeitsbelastung und Ausfallquote erkennen, die Zusammenhänge seien vielschichtig. Wirkliche Personalengpässe gebe es in akuten Situationen wie der Grippewelle des vergangenen Jahres. Diese sei auch dadurch verschärft worden, dass Beschäftigte nicht geimpft gewesen seien. Ansonsten gebe es viele »komplexe Probleme« wie schlechtes Führungsverhalten und mangelndes »Teambuilding«, die »gut analysiert« werden müssten.

    Beim Publikum kamen diese Ausführungen nicht gut an. »Das ist ja klar: Wenn es nicht mehr funktioniert, sind natürlich die Pflegekräfte schuld«, kritisierte die Intensivpflegerin Dana Lützkendorf von der Berliner Charité die Aussagen zur Grippewelle. Eine Krankenschwester aus dem Jüdischen Krankenhaus Berlin sagte, sie sei »fassungslos« über die Äußerungen der Klinikmanager. »Die Pflege ist ein toller Beruf, aber die Arbeitsbedingungen machen die Menschen krank – und das wissen alle.« Statt ihre Organisationsverantwortung wahrzunehmen, setzten die Klinikchefs auf »moralische Erpressung«, um Pflegekräfte zu übermäßigem Arbeitseinsatz zu bewegen. Auch andere Diskussionsbeiträge machten deutlich, dass sich die Teilnehmer/innen mehr Ideen von den Manager/innen gewünscht hätten, wie die Zustände geändert und neue Beschäftigte gewonnen werden können. Stattdessen schienen selbst die täglichen Gesetzesverstöße gegen Arbeitszeit- und Pausenregelungen im Kosmos der Klinikleitungen kaum vorzukommen.

     
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    Gesundheitswesen nicht dem Markt überlassen

    Die Leiterin des ver.di-Landesfachbereichs Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen in Hamburg, Hilke Stein, berichtete, in der Hansestadt gäben 30 Prozent der Pflege-Azubis unmittelbar nach dem Examen ihren Beruf auf – wegen der schlechten Arbeitsbedingungen. »Und nach vier Jahren ist nur noch ein Drittel der ehemaligen Auszubildenden im Unternehmen.« Der Pflegelehrer Dirk Schilder bestätigte das, indem er vom 20-jährigen Klassentreffen eines Pflegekurses in der vergangenen Woche erzählte. Von den 27 Absolvent/innen arbeiteten nur noch fünf in der Pflege am Bett, drei von ihnen in Teilzeit. »Die Kernprobleme sind die starke Arbeitsverdichtung und das relativ niedrige Gehalt«, betonte Schilder. »Dazu habe ich von den Arbeitgebervertretern nichts gehört.«

    Ältere Beschäftigte reagierten auf die Überlastung vor allem mit individueller Arbeitszeitreduzierung, sagte Stein. »Dadurch steigt die Belastung derjenigen, die bleiben – eine Abwärtsspirale«, so die Gewerkschafterin. Die Kliniken bräuchten endlich eine bedarfsgerechte Personalausstattung. Wenn das Personal fehle, müssten die Leistungen reduziert werden – einen anderen Weg gebe es nicht. Das Gesundheitswesen dürfe nicht länger dem Markt überlassen werden, forderte Stein.

    Das betonte auch die stellvertretende Vorsitzende des Konzernbetriebsrats bei Helios, Gunhild Werling. »Die Privatisierung des Gesundheitswesens war ein fataler Fehler«, so die Interessenvertreterin. Sie habe entscheidend zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und der Versorgungsqualität beigetragen. »Krankenschwestern, Ärzte und andere Beschäftigte im Krankenhaus wollen nur gute Arbeit machen, aber unter diesen Bedingungen geht das nicht mehr.« Deshalb müsse sich Grundsätzliches ändern.

     

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