Privatisierung

    Privatkliniken setzen auf Rationalisierung

    07.01.2019

    Ausbeutung für den Geldbeutel der Aktionär*innen?

    Rudi Schwab über Personalzahlen im Krankenhaus nach Trägerschaft (zuerst erschienen in Gesundheit braucht Politik 4/2018)

    Eine eigentlich banale Frage: Wozu brauchen wir Krankenhäuser? Zur Behandlung, zur Heilung kranker und verletzter Menschen oder zur Gewinnmaximierung einiger Profiteure? Die Antwort aus der Bevölkerung dürfte wohl einhellig ausfallen. Doch wohin geht die Tendenz in der Realität? Wieso kaufen die privaten Konzerne in einer Zeit, in der unter dem Kostendruck der DRGs (Diagnosis Related Groups/Fallpauschalen) jedes Krankenhaus zum Sparen verurteilt ist, immer mehr Krankenhäuser auf? Wie schaffen sie es, unter diesen Umständen eine Rendite von 10 bis 15 Prozent herauszupressen?

    Eine weitere Erkenntnis dürfte in der Bevölkerung ebenso allgemein bekannt sein: Krankenhäuser sind personalintensiv – zumindest sollten sie das sein. Doch was beobachten oder erfahren betroffene Patient*innen selber? Wo ist noch Zeit für eine ausführliche Anamnese? Wer wird als Patient*in im Krankenhaus bei Aufnahme noch eingehend untersucht – oder wer hört nur noch: Sturz auf die Schulter? = Röntgen ohne weitere Untersuchung, Bauchschmerzen? = CT der Bauchorgane ohne Rücksicht auf die Strahlenbelastung.

    Pflege

    Arm dran ist, wer in einem Krankenhaus auf Pflege angewiesen ist. Es gibt inzwischen zahlreiche Studien, die von Mängeln zum Beispiel bei Überwachung von verwirrten Patient*innen berichten, über Mängel bei Mobilisierung und Lagerung, Mängel bei Essenseingabe und Grundhygiene usw. Es gibt zahlreiche Berichte, dass die betroffenen Pflegekräfte selber darunter leiden. Das tägliche Erleben der Diskrepanz zwischen eigenem Wollen und Können aufgrund der krankhaften Rahmenbedingungen macht viele selber krank. Mehr als zwei Drittel  der Pflegekräfte können sich eine Arbeit in ihrem Beruf bis zur Rente nicht vorstellen.

    Personalreduktion

    Offiziell schwankt der Anteil der Personalkosten an den Ausgaben der Krankenhäuser um die 60 Prozent. Er war früher deutlich höher, bis zu 80 Prozent. Das liegt zu einem kleinen Teil sicher an den immer teureren und als Standard geforderten Geräten und Materialien, es liegt aber zum weitaus größeren Teil an der geänderten Personalpolitik, in der private Träger die Schrittmacher sind und denen die anderen notgedrungen hinterher laufen, wenn sie nicht untergehen wollen.

    Outsourcing

    So werden – begonnen bei privaten Trägern und hier inzwischen standardmäßig angewendet, aber auch bei den öffentlich-rechtlichen Trägern immer häufiger üblich – große Teile des Personals nicht mehr dem eigenen Betrieb zugerechnet, sondern sind in Leihfirmen ausgelagert. Dies betrifft vor allem die Reinigung, aber auch immer öfter Küchenpersonal, Handwerker, Verwaltung usw. Auch wenn diese Leihfirmen teilweise sogar dem »Mutterbetrieb- oder Konzern« selber gehören, zählen die Lohnkosten und Sozialabgaben dann nicht mehr als Personal-, sondern als Sachkosten. Eine Leihfirma ist eine Sache, die Menschen dahinter verschwinden aus dieser Sicht und werden zu Material. So braucht sich auch kein Verantwortlicher aus dem »Mutterbetrieb« ein – sofern noch vorhanden und noch nicht vor lauter BWL-Indoktrination vernebeltes – schlechtes Gewissen mehr zu machen, wenn zum Beispiel bei der Reinigung jetzt doppelt so große Reinigungsflächen in der gleichen Zeit bei schlechterer Bezahlung und ohne Anerkennung der notwendigerweise auflaufenden Überstunden verlangt werden. Und er kann selber seine Hände in Unschuld waschen, wenn unter diesen Umständen zwangsläufig Klagen über fehlende Sauberkeit und Hygiene laut werden.

    Personalreduktion

    Wer in Zeiten der DRGs mit seinem Krankenhaus Gewinne machen will, hat im Wesentlichen die Möglichkeit, seine Fallzahlen zu erhöhen, Patientenselektion zu betreiben, um gewinnbringende »Fälle« anzulocken, und trotz gestiegener Arbeit und Belastung das Personal und damit Kosten zu reduzieren. Betroffen sind prinzipiell unter den verbliebenen, nicht outgesourcten Berufsgruppen alle, am meisten aber das Pflegepersonal. Aus einem Vortrag von Michael Simon (»Personalbemessung im Pflegedienst der Krankenhäuser: Bisherige Entwicklung und aktuelle Vorhaben der großen Koalition« auf der Tagung »Krankenhaus statt Fabrik«, Stuttgart, 20. Oktober 2018) ergibt sich von 1993 bis 2016 trotz gestiegener Fallzahlen, verkürzter Liegezeit und damit erhöhter Arbeitsintensität ein Minus im Ist-Bereich von 289.000 auf 277.000, also 12.000 Pflegekräften. Im errechneten Soll-Bereich nach Pflegepersonalregelung (PPR) bei Annahme eines um 20 Prozent erhöhten Personalbedarfs durch Leistungszuwachs ergibt sich sogar eine Differenz von 143.000 Pflegekräften.

    Gibt es Unterschiede bei der Personalausbeutung in Abhängigkeit vom Krankenhausträger?

    Das Statistische Bundesamt gibt jährlich den Bericht »Grunddaten der Krankenhäuser« heraus, in dem sich vom Berichtsjahr 2009 bis zum Berichtsjahr 2016 das Kapitel »Personalbelastungszahlen« findet. Aus diesem Kapitel sind die im Folgenden heran­gezogenen Zahlen entnommen. Hier wurde in Abhängigkeit vom Träger (öffentlich-rechtlich, freigemeinnützig, privat) und nach Berufsgruppe (ärztlicher, Pflege- und medizinisch-technischer Dienst) einmal die durchschnittlich pro Vollkraft im Jahr zu versorgenden Fälle dargestellt, dann auch die täglich pro Vollkraft zu versorgende Patientenzahl. Im Bericht 2018 für das Berichtsjahr 2017 fehlen erstmals diese »Personalbelastungszahlen«. Man darf nun spekulieren, ob bzw. durch wessen erfolgreiche Lobbyarbeit dieser interessante Aspekt nicht mehr veröffentlicht wird.

    Es stellt sich jetzt die Frage: Gibt es noch einen deutlichen Unterschied in der Personalstärke in Abhängigkeit von der Trägerschaft oder bewahrheitet sich die oft gefühlt geäußerte Vermutung der Beschäftigten in öffentlichen Häusern, ihr Personalschlüssel sei inzwischen genauso schlecht wie bei den privaten?

     
    Grafik 1: Personalbelastungszahlen nach Träger pro Jahr
    © ver.di
    Graphik 1: Personalbelastungszahlen nach Träger pro Jahr

    Graphik 1 Personalbelastungszahlen nach Träger pro Jahr: Diese Aufstellung zeigt einen deutlichen Unterschied zu Gunsten der öffentlichen Häuser. Der wird dadurch noch verstärkt, dass in diese Art der Statistik durch bessere Tarifverträge die durchschnittlich im öffentlichen Dienst offensichtlich größere Anzahl von Urlaubstagen, sonstigen freien Tagen, evtl. auch Freizeitausgleich für Überstunden usw. mit eingeht. Wenn die einzelnen Mitarbeiter mehr frei haben, vermindert dies bei schon täglich besserem Personalschlüssel noch mehr die jährliche Belastung. Beachtenswert ist, dass die freigemeinnützigen Träger hier nicht besser abschneiden als die privaten.

    Dass die Belastung auch täglich bei den öffentlich-rechtlichen Trägern durch besseren Personalschlüssel geringer ist, zeigt die nächste Graphik.

     
    Graphik 2 Personalbelastungszahlen nach Träger pro Tag
    © ver.di
    Graphik 2 Personalbelastungszahlen nach Träger pro Tag

    Graphik 2 Personalbelastungszahlen nach Träger pro Tag: Diese Betrachtungsweise weist, da sie eben auf die tägliche Belastung bzw. täglich zu versorgende Patient*innenzahl abstellt, auf eine dadurch potentiell bessere Versorgung der Patient*innen hin. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass es sich hier um Durchschnittswerte handelt und noch nichts über Kompensationsmöglichkeiten bei vermehrtem Patient*innenanfall oder Personalausfall gesagt ist. Doch auch die sollten bei höherem Personalschlüssel besser sein.

    Es zeigt sich auch, dass die freigemeinnützigen Träger bei dieser Betrachtungsweise besser als die privaten abschneiden, bei der Pflege etwa in der Mitte zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Trägern. Auch im ärztlichen und medizinisch-technischen Dienst schneiden sie besser als ab als die privaten, allerdings in geringerem Abstand.

    Der Unterschied von den öffentlich-rechtlichen Trägern zu den privaten ist gewaltig. 2016 hatte die Pflege bei den privaten Trägern täglich im Durchschnitt 19,6 Prozent mehr Patient*innen zu versorgen, im ärztlichen Dienst 29,4 Prozent und beim medizinisch-technischen Dienst 70,8 Prozent.

    Was bedeutet der Unterschied 2016 von 5,6 Patienten/Tag und Pflegekraft (öffentlich-rechtlich) bzw. 6,7 Patienten (privat) für die Patient*innen? Bessere Pflege und mehr Sicherheit. Eine Untersuchung in Kalifornien an 232 Krankenhäusern und 124.204 Patient*innen bei 20 chirurgischen DRGs hat bei einer Erhöhung der Pflegekräftezahl um 10 Prozent eine Verringerung des Pneumonie-Risikos um 9,5 Prozent ergeben.

    Eine Untersuchung der Daten von mehr als 420.000 Patient*innen im Alter von mindestens 50 Jahren, die sich in ca. 300 Krankenhäusern in neuneuropäischen Ländern chirurgischen Eingriffen (in ca. 50 Prozent am Bewegungsapparat) unterzogen hatten, ergab: Mit jedem zusätzlichen Patienten, den eine Pflegekraft zu versorgen hatte, nahm die Wahrscheinlichkeit, dass ein chirurgischer Patient binnen 30 Tagen nach Aufnahme stirbt, um 7 Prozent zu. (Deutsches Ärzteblatt 2014, 111(26)).

    Unterschiede bei den öffentlich-rechtlichen Trägern

    Unterschieden werden hier öffentliche Krankenhäuser in öffentlich-rechtlicher Form entweder als selbständig (zum Beispiel Zweckverband, Anstalt, Stiftung) oder rechtlich unselbständig (zum Beispiel Regie- oder Eigenbetrieb) und in privatrechtlicher Form, zum Beispiel GmbH.

    Es zeigt sich ein uneinheitliches Bild in Abhängigkeit von der Rechtsform. Bei der privatrechtlichen Form sind die betriebswirtschaftlichen Verlockungen auf Kosten der Qualität von Arbeitsbedingungen und Patient*innenversorgung offensichtlich deutlich höher als in öffentlich-rechtlicher Form, aber immer noch geringer als bei den freigemeinnützigen und v.a. auch bei den privaten Trägern.

    Zusammenfassung

    Auch wenn der Personalschlüssel bei den öffentlich-rechtlichen Betreibern besser als bei den freigemeinnützigen und noch nicht so katastrophal wie bei privaten Trägern ist: Es gibt keinen Grund, damit zufrieden zu sein, im Gegenteil. In inzwischen jahrelangen Auseinandersetzungen unter der Führung von ver.di ist es gelungen, die Politik endlich zum Handeln zu zwingen. Auch wenn die Vorschläge noch lange nicht ausreichend sind, ein Anfang ist gemacht. Der Pflegenotstand ist Tagesthema, in mehreren Kliniken konnten Tarifverträge zur Entlastung durchgesetzt werden. In vielen Betrieben hat das Personal erkannt: Es lohnt sich, sich kollektiv gegen Überlastung zu wehren. In mehreren Bundesländern sind inzwischen Volksbegehren gegen den Pflegenotstand auf den Weg gebracht. Jetzt müssen noch die anderen Berufsgruppen aktiv werden. Es ist Zeit, der privaten Gewinnsucht einen Riegel vor zu schieben, für bessere Arbeitsbedingungen der Beschäftigten und eine bessere Versorgung der Patient*innen in den Krankenhäusern!

     

    Rudi Schwab ist aktiv in der ver.di-Bundesfachkommission Ärztinnen und Ärzte sowie im Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte (vdää). Der Beitrag ist erstmals in der vdää-Zeitschrift Gesundheit braucht Politik erschienen.

     

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