Die Krankenhausfinanzierung über Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRG) erzeugt Fehlanreize und gehört grundlegend verändert. Diese von ver.di schon lange vertretene Position scheint nun auch bei Bundesregierung, Kliniken und Krankenkassen angekommen zu sein. So jedenfalls äußerten sich deren Vertreter*innen am Freitag (11. November 2022) bei der 13. ver.di-Krankenhaustagung in Berlin. Doch der Teufel steckt in der Frage, ob das DRG-System reformiert, erweitert oder ganz überwunden – und womit es ersetzt werden soll.
Für schrittweise Reformen argumentierte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, Professor Dr. Edgar Franke – und musste sich dafür Kritik der rund 300 teilnehmenden Betriebs- und Personalräte sowie Mitarbeitervertreter*innen anhören. Die noch unter der Vorgängerregierung erfolgte Herausnahme der Pflegekosten aus den Fallpauschalen sei bereits eine »historische Reform« gewesen, so der SPD-Politiker. Als nächstes würden die Geburtshilfe erlösunabhängig und die Pädiatrie auskömmlich finanziert. Forderungen aus dem Publikum, das DRG-System kurzfristig ganz abzuschaffen, hielt Franke entgegen: »Ein solch ausdifferenziertes System kann man nicht von heute auf morgen verändern – das muss schrittweise geschehen.«
Bei der folgenden Podiumsdiskussion, an der Franke nicht mehr teilnehmen konnte, stand das DRG-System ebenfalls im Zentrum der Debatte. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Dr. Gerald Gaß, betonte, die Fallpauschalen setzten »systemimmanente Fehlanreize« zu Lasten des Personals und der Patient*innen. Sie führten zur Mengenausweitung und begünstigten Krankenhäuser, die sich auf lukrative Eingriffe spezialisieren. Robert Spiller vom ver.di-Bereich Gesundheitswesen/Gesundheitspolitik verwies darauf, dass nicht nur kommerzielle Träger, sondern alle Krankenhäuser durch das DRG-System unter permanenten wirtschaftlichen Druck gesetzt würden, der einer bedarfsgerechten Versorgung entgegenstehe. »Es braucht ein grundsätzlich anderes Finanzierungssystem, das alle Kosten bei wirtschaftlicher Betriebsführung vollständig ersetzt.«
Stefanie Stoff-Ahnis vom Vorstand des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenkassen mochte diese Schlussfolgerung nicht ziehen. Sie sprach sich zwar dafür aus, das DRG-System zu »erweitern«, indem den Kliniken ergänzend Vorhaltekosten bezahlt werden, äußerte sich aber kritisch zum Prinzip der Selbstkostendeckung. Dieses gelte für die Pflegepersonalkosten seit deren Ausgliederung aus den Fallpauschalen, die Überlastung der Pflegekräfte habe sich dadurch aber nicht entspannt. »Eigentlich müssten jetzt 30.000 Pflegekräfte mehr am Bett tätig sein, die sind aber nicht zu finden«, monierte die Kassenfunktionärin. Stattdessen gebe es »Verschiebebahnhöfe« und »kreative Personalzuordnungen« durch die Klinikbetreiber.
Die Vorsitzende der Jugend- und Auszubildendenvertretung am Uniklinikum Ulm, Franziska Aurich, meinte hingegen, dass sich die volle Refinanzierung der Pflegekosten durchaus positiv auswirke. So habe sie die Tarifbewegungen für Entlastung an Krankenhäusern in Berlin, Nordrhein-Westfalen und anderswo erleichtert, mit denen sich die Beschäftigten selbst ermächtigten. Allerdings bewirke die Reform zugleich, dass bei Berufsgruppen außerhalb der Pflege am Bett noch stärker gespart werde als zuvor. DKG-Mann Gaß bestätigte dies: »Der ökonomische Druck auf die anderen Berufsgruppen wird größer, wenn das Gesamtsystem nicht in Ordnung gebracht wird.« Für Spiller ist das ein Argument dafür, nicht nur einzelne Gruppen aus dem DRG-System zu nehmen, sondern alle: »Während nun manche vor den Exzessen der Fallpauschalen geschützt sind, müssen sich andere weiter den Sparzwängen unterwerfen, um Gewinne zu erwirtschaften«, kritisierte der Gewerkschafter. »Das Pflegebudget sollte ausgeweitet werden auf alle Berufsgruppen im Krankenhaus. Das ist der Weg, die Arbeitsbedingungen zu verbessern.«
Doch es braucht mehr als eine auskömmliche Finanzierung. Im Zentrum der ver.di-Aktionen der vergangenen Jahre steht die Forderung nach bedarfsgerechten und verbindlichen Personalvorgaben. »Die Wertschätzung muss sich auch in besseren Arbeitsbedingungen widerspiegeln«, betonte auch Ministeriumsvertreter Franke. Deshalb werde die Regierung die von ver.di, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Deutschen Pflegerat vorgelegte Personalbemessung PPR 2.0 mit dem sogenannten Krankenhauspflegeentlastungsgesetz auf den Weg bringen, das derzeit im Bundestag debattiert wird. Er trat Befürchtungen entgegen, die PPR 2.0 werde mit dem Gesetz doch nicht vollständig umgesetzt. Es werde »ein gestaffeltes Verfahren« geben, erläuterte Franke, bei dem die PPR 2.0 ab 2023 erprobt und ab 2025 »scharf geschaltet« werde. »Wir wollen damit einen Überlastungsschutz für Pflegekräfte sicherstellen«, erklärte der SPD-Politiker.
Der bisherige Gesetzentwurf stellt die verbindliche Einführung der PPR 2.0 allerdings noch nicht sicher. Die betrieblichen Interessenvertretungen von über 356.000 Krankenhausbeschäftigten drängen deshalb in einem Offenen Brief auf Nachbesserungen, worauf der Konzernbetriebsratsvorsitzende von Asklepios, Klaus Bölling, den Vertreter des Ministeriums hinwies. »Wir wollen keine verwässerte PPR 2.0, und wir wollen nicht, dass sie von der Zustimmung des Bundesfinanzministers Lindner abhängig ist«, betonte er und nutzte die Gelegenheit, Franke zur weiteren Debatte in die Sitzung des Asklepios-Konzernbetriebsrats einzuladen.
Die Personalratsvorsitzende des Heidelberger Uniklinikums, Regina Glockmann, forderte, die bedarfsgerechte Personalbemessung nicht auf die Pflege am Bett zu beschränken, sondern auf alle Beschäftigtengruppen im Krankenhaus auszuweiten. Krankenhaus sei Teamarbeit, so der Tenor vieler weiterer Beiträge aus dem Publikum. Etliche Teilnehmer*innen übten in diesem Zusammenhang heftige Kritik an der Umsetzung des sogenannten Pflegbonus, von dem ein Großteil der Beschäftigten ausgeschlossen ist. So berichtete beispielsweise die Krankenschwester Birgit Eckl aus dem Herzkatheterlabor des Klinikums Coburg, dass Stellen nicht nachbesetzt würden, weil diese nicht voll refinanziert werden. Auch vom Pflegebonus seien sie und ihre Kolleg*innen ausgeschlossen. »Damit hat die Politik einen Keil in die Belegschaft getrieben.« In diesem Punkt zeigte sich Staatssekretär Franke selbstkritisch: Einen Teil der Beschäftigten vom Pflegebonus auszuschließen, habe den Betriebsfrieden in den Kliniken nicht befördert, sagte er. »Diesen Fehler werden wir nicht noch einmal machen.«