Im Gesundheitssystem hängt alles mit allem zusammen. Das wurde bei einer Podiumsdiskussion auf der ver.di-Krankenhaustagung am Freitag (10. November 2023) in Berlin deutlich. Grundsätzlich einig waren sich die Teilnehmenden beispielsweise darin, dass die Gesundheitsversorgung sektorenübergreifend organisiert werden muss, ambulante und stationäre Leistungen also besser miteinander verzahnt werden müssen. Doch dem stehen konservative Strukturen und vor allem mächtige Interessengruppen entgegen, wie die Standesvertretungen niedergelassener Ärzt*innen. Diese blockiere auch die Zusammenarbeit verschiedener Professionen zum Wohle der Patient*innen, so der Tenor.
Der Staatssekretär im Brandenburger Gesundheitsministerium, Michael Ranft, hatte zuvor in einem Vortrag deutlich gemacht, dass die gesamte regionale Gesundheitsversorgung in den Blick genommen werden muss. »In Ostdeutschland besteht eine erhebliche Unterversorgung im ambulanten Bereich«, betonte er. Auch die Krankenhausdichte sei geringer als im Westen. Vor diesem Hintergrund könne es hier nicht um die Schließung von Kliniken gehen, sondern nur um deren Umgestaltung. »Wenn so eine Klinik wegfällt, ist da nichts mehr. Das wäre ein Rückzug aus der Daseinsvorsorge.« Die Bundesregierung müsse belastbare finanzielle Zusagen für einen »Transformationsfonds« machen, um die notwendigen Investitionen zu ermöglichen. »Budgetneutral wird das nicht funktionieren.« Der anstehende Umbau des Krankenhauswesens brauche Akzeptanz in der Bevölkerung, sagte Ranft. Auch deshalb hätten die Länder mit dem Bund so hart darum gerungen, dass die Kompetenz der Krankenhausplanung bei ihnen bleibt. »Es geht auch um demokratische Legitimation.« Entscheidend sei, die Bevölkerung und insbesondere die Beschäftigten bei Veränderungen mitzunehmen.
Dass sich die nicht-ärztlichen Beschäftigten aktuell nicht ausreichend beteiligt sehen, machte die Pflege- und Gesundheitswissenschaftlerin Martina Hasseler deutlich, die der »Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung« angehört. »Leider ist das deutsche Gesundheitssystem sehr ärzteorientiert, die Stimmen der anderen Berufsgruppen fehlen.« Die Professorin betonte: »Patientinnen und Patienten brauchen nicht nur Krankheitsdiagnosen, sondern vor allem Versorgung.« Und diese könne durchaus eigenständig auch von anderen Berufsgruppen, wie Pflegefachpersonen und Therapeut*innen, geleistet werden. Der Gesetzgeber müsse dies ermöglichen und entsprechende Veränderungen gegen die Vertretungen der Ärzteschaft durchsetzen.
Auch der Leiter der Abteilung Sozialpolitik des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Markus Hofmann, plädierte für grundsätzliche berufs- und standesrechtliche Veränderungen. Er verwies auf die nicht nur im Osten der Republik bestehende Versorgungskrise im ambulanten Bereich. »Wir haben so viele approbierte Ärzte in Deutschland wie noch nie. Und dennoch finden normale Patientinnen und Patienten oft keine Zugänge zu fachärztlicher Versorgung.«
Hofmann kritisierte, dass mit der Gesundheitsversorgung Gewinne gemacht werden. Kommerzielle Klinikkonzerne schöpften einen Teil des von Versicherten und Steuerzahlenden aufgebrachten Geldes ab. Natürlich müssten Gesundheitseinrichtungen wirtschaftlich arbeiten, erklärte der DGB-Vertreter, die Deckung des Bedarfs, eine gute Versorgung und Personalausstattung müssten aber im Vordergrund stehen.
Zuvor hatte der Geschäftsführer der Waldkliniken Eisenberg, David Ruben Thies, erklärt: »Das Geld ist da, es kommt aber nicht unten bei den Leistungserbringern an.« In dem von ihm geführten kommunalen Krankenhaus würden alle Gewinne reinvestiert. Thies verwies auf den kürzlich mit ver.di geschlossenen Tarifvertrag, mit dem die Wochenarbeitszeit von 40 auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich verkürzt, die Arbeitszeitsouveränität der rund 700 Beschäftigten gestärkt und die Gehälter um bis zu neun Prozent erhöht werden. »Im Haus haben sie gefragt: Was ist der Haken? Der Haken ist: Der Tarifvertrag gilt nur für Gewerkschaftsmitglieder«, so der Geschäftsführer. Zwei von drei Beschäftigten seien daraufhin ver.di beigetreten. »Inzwischen haben wir mehr Bewerbungen als offene Stellen – das ist für mich das größte Komplement.«
Mehrere der über 300 Teilnehmenden wiesen in der folgenden Debatte auf grundsätzliche Fehlsteuerungen des Finanzierungssystems der Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRG) hin und forderten dessen Abschaffung. Die Herausnahme der Pflegepersonalkosten aus den Pauschalen sei zwar ein Fortschritt, löse aber die Probleme nicht. Infolge der Einführung des Pflegebudgets hätten die Kliniken etliche Aufgaben zulasten von Service- auf Pflegekräfte verlagert, was deren Belastung noch verstärke, berichtete der Konzernbetriebsratsvorsitzende von Asklepios, Klaus Bölling. »Wir brauchen ein Personalbudget, mit dem alle Berufsgruppen im Krankenhaus voll refinanziert werden.«
Der Abteilungsleiter Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung im Bundesgesundheitsministerium, Michael Weller, teilte die Kritik am DRG-System. Dieses sei weder bedarfsorientiert noch wirtschaftlich. Die Einführung von Vorhaltebudgets, die nach den Regierungsplänen 60 Prozent der laufenden Finanzierung ausmachen sollen, sei eine Abkehr vom DRG-System. »Man muss dann keine Fälle mehr generieren, um ein Krankenhaus wirtschaftlich führen zu können«, sagte Weller. Auf die Kritik, mit dem Vorhaltebudget würden letztlich nur Mittel umverteilt und das DRG-System bleibe bestehen, entgegnete Weller, er sei »ziemlich sicher, dass wir damit eine auskömmliche Finanzierung haben werden«. Zugleich bekräftigte er das Vorhaben, die Zahl der Kliniken zu reduzieren. »Wir haben 1.720 Krankenhäuser und erhebliche Personalprobleme. Das werden wir nicht länger aufrecht erhalten können, wir müssen Leistungen konzentrieren.«
Zuvor hatte Michael Simon von der Hochschule Hannover in einem Vortrag betont, dass es hierzulande zwar im internationalen Vergleich viele Krankenhäuser, Fälle und Betten gebe. Zugleich stehe aber sowohl in Relation zur Zahl der Einwohner*innen als auch der Fälle deutlich weniger Personal zur Verfügung. Deshalb seien die Personalausgaben in den deutschen Krankenhäusern – anders als vielfach behauptet – auch weitaus niedriger als in vergleichbaren Ländern.
Der Wissenschaftler übte grundsätzliche Kritik am DRG-System, das »im diametralen Widerspruch« zu den eigentlichen Aufgaben der Krankenhausplanung stehe – nämlich, eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Nach der Logik der Fallpauschalen entscheide der Preis darüber, welche Leistungen vorgehalten werden, nicht die staatliche Krankenhausplanung. Hinzu komme: »Das DRG-System ist so kompliziert, dass es von den politisch Verantwortlichen gar nicht verstanden wird – das ist auch ein Demokratieproblem.« Die aktuellen Reformpläne der Bundesregierung bewegten sich weiterhin in der Logik Fallpauschalen und würden die Probleme nicht lösen. Dafür sei etwas anderes nötig: die vollständige Abschaffung des DRG-Systems.
Sind die Arbeitsbedingungen in kirchlichen Krankenhäusern besser? Diese Frage des Moderators Ingo Bach bei der Podiumsdiskussion nutzte die Vorsitzende der Mitarbeitervertretung im Johanniter Krankenhaus Stendal, Edda Busse, um auf die Problematik des kirchlichen Arbeitsrechts hinzuweisen. Die Kirchen stellten sich als gute Arbeitgeber dar, handelten aber kaum anders als andere Träger. Zugleich bestritten sie grundlegende Rechte ihrer Mitarbeitenden. »Wir brauchen als Beschäftigte und Mitarbeitervertretungen die gleichen Rechte wie alle anderen«, forderte Edda Busse und verwies auf die laufende Petition zum Thema. »Das kirchliche Sonderrecht gehört abgeschafft!«
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