Diakonie vs. Beschäftigte

Gegen die eigenen Beschäftigten vor Gericht: Sophien- und Hufeland-Klinikum Weimar klagt gegen Warnstreik.
12.11.2024

Der Fachkrankenpfleger Mathias Korn ist fassungslos. »Unerklärlich und enttäuschend« findet er das Vorgehen seines Arbeitgebers, der zusammen mit Kirche und Diakonie einen geplanten Warnstreik per einstweiliger Verfügung vom Arbeitsgericht verbieten ließ. »Sonst stehen Kirche und Diakonie für Offenheit und Dialog, doch gegenüber ihren eigenen Beschäftigten, die über ihre Arbeitsbedingungen mitbestimmen wollen, reagieren sie mit Anklage und Ablehnung – das ist für mich als Christ überhaupt nicht nachvollziehbar.«

 
Beschäftigte des Klinikums Weimar fordern ihre Grundrechte ein

Nicht nachvollziehbar ist für ihn und seine Mitstreiter*innen auch die Begründung, mit der zunächst das Erfurter Arbeitsgericht und dann auch das Landesarbeitsgericht Thüringen den für den 14. Oktober geplanten Warnstreik vorläufig untersagten. Der Streikaufruf widerspreche dem »Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften«, heißt es in der Urteilsbegründung.

»Das Landesarbeitsgericht hat in diesem Eilverfahren ein institutionelles Selbstbestimmungsrecht der Kirche über die Grundrechte der Beschäftigten gestellt«, erläutert Bernd Becker, der bei ver.di in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen für das Gesundheitswesen zuständig ist. »Das ist eine Umkehrung der einschlägigen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts von 2012. Dieses hat Streiks in kirchlichen Einrichtungen grundsätzlich für möglich erklärt, wovon nur unter bestimmten Voraussetzungen abgewichen werden kann.« Die vom obersten deutschen Arbeitsgericht genannten Bedingungen – unter anderem die Herstellung von Verhandlungsparität und eine angemessene Einbindung der Gewerkschaft – seien im Dritten Weg des Diakonischen Werks in Mitteldeutschland, zu dem das Weimarer Klinikum gehört, jedoch eindeutig nicht erfüllt.

Eine inhaltliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Streiks ist mit der einstweiligen Verfügung nicht getroffen. Darüber wird im Hauptsacheverfahren am 19. Februar 2025 in erster Instanz verhandelt. »Wir machen weiter, wir lassen uns unsere grundlegenden Rechte nicht nehmen«, stellt Mathias Korn klar. An der Bereitschaft seiner Kolleg*innen, sich weiter für einen Tarifvertrag einzusetzen, hat der Krankenpfleger keine Zweifel. »Das juristische Geplänkel des Arbeitgebers macht die Leute nur noch wütender und aktiver. Jetzt erst recht!«

 

Verhandlung ohne Legitimation

Kein Konsens in der Arbeitsrechtssetzung der Diakonie in Mitteldeutschland: Seit 20 Jahren steht der sogenannte Dritte Weg in der Kritik des Gesamtausschusses der Mitarbeitervertretungen (GAMAV), der insgesamt 34.000 Beschäftigte in den diakonischen Einrichtungen Mitteldeutschlands vertritt. Verhandlungsergebnisse zu Bezahlung und Arbeitsbedingungen waren für die Vertreter*innen der Beschäftigten im »Dritten Weg« nicht zufriedenstellend.
Vorschläge, das Verfahren des »Dritten Wegs« und damit die Ergebnisse zu verbessern, wurden ebenso ignoriert wie die Forderung, mit ver.di Tarifverhandlungen auf Augenhöhe zu führen. Blockade und Widerstand der Beschäftigten und ihrer Vertreter*innen schloss die Kirchenspitze aus, indem sie einseitig die Regeln änderte. Sie hat ihre Arbeitsrechtssetzung in ihrem Sinne perfektioniert. Inzwischen können Arbeitgeber ohne die Beschäftigten in der Arbeitsrechtlichen Kommission die gewünschten Ergebnisse produzieren, falls sich diese verweigern.
Deshalb besetzt der GAMAV seine Mandate in der Kommission nicht mehr. Er verweigert die Aufgabe, für die er ursprünglich installiert wurde. Die »Lösung«: Kirche und Diakonie unterstützen den Verband kirchlicher Mitarbeitenden in der Gründung und Mitgliederwerbung mit 105.000 Euro. Praktisch, wieder einen Verhandlungspartner als Gegenüber in der Kommission zu haben, der auch noch völlig abhängig ist.
Die Erfahrungen in Mitteldeutschland zeigen überdeutlich: Im »Dritten Weg« geht es nicht darum, die Beschäftigten demokratisch zu beteiligen. Sie haben keinen Einfluss auf ihre eigenen Arbeitsbedingungen – für deren Festlegung in der Arbeitsrechtlichen Kommission werden sie nicht benötigt. Es geht um Machterhalt und Durchsetzung von Arbeitgeberinteressen.

 

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