Am Anfang haben manche Beschäftigte der nordhessischen Wicker-Kliniken das Versprechen der Geschäftsführung geglaubt, sie wolle eine »faire Entlohnung« schaffen. Allerdings nicht in Tarifverhandlungen mit ver.di, sondern per Betriebsvereinbarung. »Doch die jahrelangen Verhandlungen brachten kein einziges positives Ergebnis«, berichtet der Konzernbetriebsratsvorsitzende Manfred Brauns. Die Reallöhne fielen immer weiter – bis es den Beschäftigten reichte. Die Betriebsräte brachen die Verhandlungen ab. Die ver.di-Aktiven suchten systematisch das Gespräch mit ihren Kolleginnen und Kollegen, gewannen »Tarifbotschafter*innen«, die ihre Teams auf dem Laufenden halten und mobilisieren.
Nach und nach steigerten sie ihre Aktionen, von der Betriebsversammlung über die Foto-Petition bis hin zum Warnstreik. Stets mit dem Ziel, Kolleg*innen zu informieren und zu aktivieren. Mit Erfolg: Die Zahl der ver.di-Mitglieder vervielfachte sich innerhalb eines Jahres von knapp 300 auf über 1.000. Auf dieser Grundlage stellten sie Warnstreiks auf die Beine, die den Klinikbetrieb empfindlich behinderten. »Allein der Ausfall von Operationen in der orthopädischen Klinik in Bad Wildungen kostete nach unserer Schätzung allein in der ersten Woche 1,8 Millionen Euro«, erklärt Manfred Brauns. Hinzu kam, dass sich Patient*innen bei den Kostenträgern über den Ausfall von Therapien und Sportangeboten beschwerten, die wiederum Druck auf die Klinikleitung ausübten.
Das brachte die Eigentümerfamilie schließlich zum Einlenken: Im Sommer erreichte ver.di eine Tarifeinigung, die den Beschäftigten der Reha-Sparte – wo die Gehälter besonders niedrig sind – durch eine verbesserte Entgelttabelle durchschnittlich 7,8 Prozent mehr bringt, sowie eine Lohnerhöhung von zwei Mal zwei Prozent. Alle anderen erhalten ebenfalls zwei Mal zwei Prozent mehr, plus eine Inflationsausgleichsprämie von bis zu 3.000 Euro. »Das haben uns die Eigentümer nicht geschenkt«, betont Manfred Brauns. »Das haben wir uns geholt.«
»Als Betriebsräte haben wir keinerlei Druckmittel, für eine angemessene Bezahlung zu sorgen. Diese Erfahrung machen wir bei Wicker seit Jahren. Wollen wir etwas durchsetzen, dann brauchen wir die Gewerkschaft. ver.di ist aber nur so stark, wie die Gemeinschaft ihrer Mitglieder. Wenn wir mit zehn Leuten vor der Klinik stehen und streiken, lacht sich die Klinikleitung kaputt. Wenn, wie bei uns, sämtliche Therapien ausfallen, weil die Therapeut*innen zu hundert Prozent organisiert sind, vergeht ihr das Lachen. Man muss sich entscheiden: Will man alles demütig über sich ergehen lassen und vergeblich darauf hoffen, dass der Arbeitgeber einem Gutes tut? Oder will man sich gemeinsam mit anderen für Verbesserungen einsetzen? Bei Wicker haben sich viele für Letzteres entschieden. Dieser Mut hat sich ausgezahlt.«
Der Musiktherapeut Manfred Brauns ist Vorsitzender des Konzernbetriebsrats der Wicker-Kliniken.