Gewalt nicht hinnehmen

Zunehmende Übergriffe auf Beschäftigte erfordern mehr Prävention und bessere Rahmenbedingungen.
13.11.2024

Sie werden beschimpft, bespuckt, angegriffen – für die Beschäftigten der Zentralen Notaufnahme des Uniklinikums Mannheim gehören Übergriffe von Patient*innen oder Angehörigen zum Alltag. »Im Spät- und Nachtdienst kommt es mindestens jede zweite Schicht vor, dass ich die Security rufen muss«, berichtet die Gesundheits- und Krankenpflegerin Sarah Wendt. Eine Ursache: »Wir sind völlig überlaufen – zu viele Patientinnen und Patienten für zu wenig Personal.«

Die Folge sind unter anderem lange Wartzeiten. Zudem müssen Patient*innen oft viele Stunden in der fensterlosen Notaufnahme ausharren, weil auf Intensiv- oder Normalstationen keine Betten frei sind. »Patienten und Angehörige fühlen sich stets in einer Ausnahmesituation und verstehen manchmal nicht, warum es länger dauert«, erklärt Sarah Wendt. »Wenn dann noch Sprachbarrieren, Alkohol oder Demenz ins Spiel kommen, kann es schnell eskalieren.«

 
Fast 30 Prozent der Beschäftigten, die im Dienst Gewalt erleben, müssen krank- geschrieben werden, davon über ein Drittel länger als 30 Tage.

 

Mehr Vorfälle in Kliniken

Laut Studien haben sich die Probleme in den vergangenen Jahren massiv verschärft. So zählte die NRW-Landesregierung 2023 in den Krankenhäusern des Landes insgesamt 1.705 sogenannte Rohheitsdelikte, also Gewalttaten wie Körperverletzungen – eine Steigerung um 34 Prozent binnen sechs Jahren. Laut einer Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts geben bundesweit fast Dreiviertel der Kliniken an, die Zahl der Übergriffe habe in den vergangenen fünf Jahren zugenommen. Besonders betroffen sind die Notaufnahmen. Neben anderen Faktoren nennen 40 Prozent die langen Wartezeiten als eine Ursache.

Außer genug Personal würde sich die Krankenpflegerin Sarah Wendt mehr Prävention wünschen. Ihr selbst wurde noch nie ein Deeskalationstraining oder eine anderweitige Schulung angeboten. »Das wäre hilfreich, ebenso wie Zugangskontrollen und eine Gestaltung der Räumlichkeiten, die die Sicherheit erhöht.« Beides empfiehlt auch die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) für Notaufnahmen. Sinnvoll seien zudem Notruf- und Nachsorgekonzepte sowie eine Erfassung und Auswertung von Übergriffen.

Viel Erfahrung mit Schutzkonzepten gibt es in Psychiatrien und im Maßregelvollzug, wo Gewalt schon immer Thema ist. So zum Beispiel beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), wo sich die Personalräte seit langem für Schutzmaßnahmen stark machen. »Bei uns läuft viel Prävention – von Fortbildungen, zum Beispiel zu sanften Abwehrtechniken, bis hin zu baulichen Maßnahmen wie eine beruhigende Farbgestaltung, die nachweisbare Effekte hat«, berichtet der stellvertretende Vorsitzende des Gesamtpersonalrats, Michael Hechsel.

Die Personalräte des Landschaftsverbands erarbeiteten eine Dienstvereinbarung, die ein systematisches Vorgehen bei Übergriffen festlegt. So soll den Betroffenen kurzfristig psychologische Unterstützung und juristischer Beistand angeboten werden. »Wichtig ist, dass diejenigen, die im Dienst Gewalt erfahren, deshalb nicht auch noch in finanzielle Schwierigkeiten kommen«, betont Michael Hechsel. Wenn beispielsweise Beschäftigte deshalb länger krankgeschrieben sind, zahlt der LWL das Gehalt so lange weiter, bis der Antrag bei der Berufsgenossenschaft durch ist. Für Kolleg*innen, die in einem bestimmten Bereich nicht mehr arbeiten können, wird eine alternative Tätigkeit gesucht.

Der Gesamtpersonalrat möchte die für Psychiatrie und Maßregelvollzug geltende Vereinbarung baldmöglichst auf den gesamten LWL mit seinen rund 20.000 Beschäftigten ausweiten. »Denn in allen Bereichen nimmt die Gewalt zu«, betont der gelernte Erzieher Michael Hechsel. »Die in der Psychiatrie entwickelten Regelungen müssen natürlich an die jeweiligen Gegebenheiten angepasst werden. Konzepte, die den Umgang mit Vorfällen regeln, sind aber in allen Bereichen sinnvoll.«

 

Tipps zum Umgang mit Gewalt:

 t1p.de/umgang-mit-gewalt

 

Empfehlungen für Notaufnahmen:

 t1p.de/e-notaufnahme

 

Seminare

Gewalt gegen Beschäftigte in forensischen Einrichtungen: 24.–26.3.2025

t1p.de/seminar-gewalt

Gewalt in psychiatrischen Einrichtungen: 29.9.–1.10.2025

t1p.de/gewalt-psych

 

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