»Die Klinikwut ist ansteckend.« Auf diesen Titel einer Hannoveraner Boulevardzeitung vom Vortag verwies Sylvia Bühler vom ver.di-Bundesvorstand bei der Krankenhaustagung am 16./17. November 2017 in Berlin. »Wir dringen mit unserer Botschaft durch: Wir brauchen Entlastung und mehr Personal in den Kliniken.« Die vielen Protestaktionen und Streiks in Krankenhäusern überall in der Republik haben eine große öffentliche Wirkung, ist die Gewerkschafterin überzeugt. »Wir haben einiges erreicht, aber zur Wahrheit gehört auch: Am Bett, auf den Stationen und in den Bereichen ist die Entlastung noch nicht angekommen.«
Insbesondere die Krankenhausträger wehrten sich weiter vehement gegen verbindliche Personalvorgaben per Gesetz, kritisierte Bühler. Dass die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen von der Regierung beauftragt wurden, Personaluntergrenzen in »pflegesensitiven Bereichen« zu entwickeln, sei zwar ein Erfolg der gewerkschaftlichen Aktionen. »Wenn sich aber die Untergrenzen nicht am Bedarf orientieren und nur für ganz wenige Bereiche gelten würden, dann wäre dies das Gegenteil dessen, was wir brauchen«, betonte die Gewerkschafterin. Nötig seien verbindliche Personalvorgaben in allen Bereichen des Krankenhauses. Die Kliniken seien gefordert, die Blockadehaltung ihres Dachverbands DKG zu beenden. Die in Berlin versammelten Interessenvertreter/innen wollen ihre jeweiligen Geschäftsführungen dazu auffordern, entsprechend öffentlich Position zu beziehen.
»Die Konfrontation wird härter«, stellte die ver.di-Bundesfachbereichsleiterin Sylvia Bühler fest. In mehreren Fällen haben Klinikleitungen zuletzt versucht, Streiks für Entlastung mit juristischen Mitteln zu verhindern, statt ihre Beschäftigten ernst zu nehmen und deren Gesundheit durch mehr Personal zu schützen. »Der Grund ist: Wir gehen ans Eingemachte – es geht um viel Geld.« Deshalb bohre ver.di mit der Bewegung für Entlastung ein dickes Brett. Bühler forderte die Aktiven aus den Betrieben auf, nicht nachzulassen und weiter für Entlastung zu mobilisieren.
Die Hamburger Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks machte klar, dass die fortgesetzten Proteste in den Kliniken in der Politik durchaus Eindruck hinterlassen. »Sichere Versorgung geht nicht ohne gute Arbeitsbedingungen«, stellte die SPD-Politikerin klar. Eine gesetzliche Personalbemessung sei daher sowohl aus Sicht der Patient/innen als auch der Beschäftigten nötig. Sie hätte sich gewünscht, Personaluntergrenzen direkt durch eine Verordnung des Bundesgesundheitsministeriums einzuführen, statt den Umweg über Verhandlungen von Krankenhausgesellschaft und Krankenkassen zu gehen. »Mein Zutrauen in den Elan der Selbstverwaltung, zu einem guten Ergebnis zu kommen, ist sehr begrenzt«, sagte Prüfer-Storcks. Die für Mitte 2018 erwarteten Resultate müssten kritisch überprüft werden. Die Senatorin wandte sich entschieden gegen die Argumentation von Klinikbetreibern, eine Personalbemessung könne angesichts fehlender Fachkräfte nicht umgesetzt werden. »Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Nur wenn wir bessere Arbeitsbedingungen bieten, finden wir in der Zukunft mehr Personal.«
In der folgenden Diskussion brachten etliche Betriebs- und Personalräte sowie Mitarbeitervertreter/innen ihre Skepsis gegenüber Politik und Klinikbetreibern zum Ausdruck. Volker Mörbe vom Klinikum Stuttgart rechnete vor, das von der Großen Koalition aufgelegte Pflegestellenförderprogramm habe den Krankenhäusern im Durchschnitt gerade mal zwei zusätzliche Stellen gebracht. Es müsse sich rasch Grundlegendes ändern, »um den täglichen Rechtsbruch bei den Arbeitnehmer-Schutzvorschriften und die konkrete Patientengefährdung zu beenden«, forderte er. Baki Selcuk, Betriebsrat beim privaten Klinikkonzern Helios, betonte: »Wir brauchen sofort eine Lösung – nicht erst 2019, wenn die Untergrenzen in Kraft treten sollen.« Roman Fabian vom Bremer Klinikum Links der Weser nannte die bisherigen Regierungsprogramme »Nebelkerzen«. Er verwies darauf, dass die Bundesländer durch die mangelnde Finanzierung von Krankenhausinvestitionen für einen Großteil der fehlenden Stellen verantwortlich sind. Regina Albrecht von der Heidelberger Uniklinik berichtete von einer Intensivstation, in der der Personalrat in einem einzigen Monat 220 Verstöße gegen die gesetzliche Pausenregelung gezählt hat. »Jede Pommesbude wird besser kontrolliert als die großen Krankenhäuser, hier sind auch die Aufsichtsbehörden gefordert.«
Professor Michael Simon von der Hochschule Hannover erläuterte, dass nicht nur die Maßnahmen der bisherigen Regierung, sondern auch die bislang bekannten Pläne von Union, FDP und Grünen unzureichend sind. Den vorläufigen Ergebnissen der Sondierungsgespräche zufolge wollen die künftigen Regierungsparteien die Tarifsteigerungen künftig voll refinanzieren, ein Sofortprogramm zur Gewinnung von Fachkräften sowie ein Programm für Investitionen in die Digitalisierung der Krankenhäuser auflegen. Zwar seien all das sinnvolle Schritte, sie reichten aber nicht aus, um die Situation grundlegend zu verbessern.
Der Wissenschaftler plädierte dafür, das Finanzierungssystem über Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups – DRG) grundsätzlich in Frage zu stellen. »Es führt zu einer systemimmanenten Unterfinanzierung«, betonte Michael Simon. Die zugrunde liegenden Probleme könnten in diesem Rahmen nicht gelöst werden. Die Alternative dazu könne sein, die Budgets auf Grundlage der krankenhausspezifischen Kosten zu kalkulieren. »Leider wird eine solche Diskussion bisher tabuisiert«, bedauerte der Professor. Er sprach sich zudem für verbindliche Personalvorgaben in allen Bereichen aus, die dem individuellen Pflegebedarf der Patientinnen und Patienten gerecht werden müssten.
»Das politische System reagiert«, brachte Niko Stumpfögger, Bereichsleiter Betriebs- und Branchenpolitik beim ver.di-Fachbereich Gesundheit und Soziales, die Diskussion auf den Punkt. »Es ist uns gelungen, die Überlastung der Pflege im Bundestagswahlkampf zum Thema zu machen.« Doch wirkliche Verbesserungen stünden aus. Für diese wollen Gewerkschaft und betriebliche Interessenvertretungen weiter streiten.
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in Mutterschutz/Elternzeit
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