Showdown in Berlin

Während der Bundesrat die Krankenhausreform durchwinkt, machen Teilnehmende der ver.di-Krankenhaustagung zeitgleich klar: Beschäftigte wollen mitreden.
26.11.2024

Spannung lag in der Luft während der Podiumsdiskussion zum Abschluss der diesjährigen ver.di-Krankenhaustagung am 22. November 2024 in Berlin. Das lag nicht nur an den interessanten und teils kontroversen Beiträgen der Vertreter*innen von Krankenkassen, Kliniken, Bundes- und Landesministerien sowie der Beschäftigten. Mit Spannung verfolgten die 270 Teilnehmenden auch, was im dreieinhalb Kilometer entfernten Bundesrat vor sich ging, der sich just in diesem Moment mit der umstrittenen Krankenhausreform befasste.

 
ver.di-Krankenhaustagung 2024 in Berlin

Als der Abteilungsleiter Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung im Bundesgesundheitsministerium, Michael Weller, mitten in der Debatte die Faust ballte, war klar: Die Länderkammer lässt die von Karl Lauterbach (SPD) vorgelegte Krankenhausreform passieren, ohne den Vermittlungsausschuss anzurufen. Die Euphorie des Ministeriumsvertreters mochten viele der anwesenden Betriebs- und Personalräte sowie Mitarbeitervertreter*innen allerdings nicht teilen. In einer zuvor verabschiedeten Resolution hatten sie erklärt: »Eine Krankenhausreform ist dringend nötig, doch damit sie gut wird, braucht es dringend Nachbesserungen.«

Die anderen Diskutant*innen auf dem Podium forderten ebenfalls, das ab 1. Januar geltende Gesetz nachzubessern. Es sei »schon absehbar, dass es so nicht bleibt«, sagte der Referatsleiter Krankenhausvergütung beim Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV-SV), Johannes Wolff. Die stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Henriette Neumeyer, erklärte, die nächste Bundesregierung habe »den großen Auftrag, da nachzuarbeiten«, die Reform müsse »den Praxistest« erst noch bestehen. Sie meinte damit insbesondere die Frage, ob die flächendeckende Versorgung gesichert werde oder ein »Kahlschlag« stattfinde. »Es wird zu Krankenhausschließungen kommen«, sagte Michael Weller vom Bundesgesundheitsministerium. Es würden aber keine bedarfsnotwendigen Kliniken geschlossen. »Wir haben so viele Sicherheitslinien eingezogen, dass da nicht viel zu befürchten ist«, versprach er.

Qualität ist mehr als Mindestmengen

Während Johannes Wolff vom GKV-SV für eine stärkere Zentralisierung der Kliniklandschaft durch die Vorgabe von Mindestmengen argumentierte, erklärte die Klinikvertreterin Henriette Neumeyer, es müsse in jedem Fall eine medizinische Risikoabwägung zwischen Qualitätsvorgaben und Erreichbarkeit vorgenommen werden. Der Vorsitzende des Konzernbetriebsrats der Asklepios-Kliniken, Klaus Bölling, gab zu bedenken, dass »Qualität mehr ist als Mindestmengen und ärztliche Qualifikation. Sie hängt auch davon ab, ob genug anderes Personal da ist.« Das gelte nicht nur für Pflegekräfte, sondern auch für Servicebeschäftigte. »Was nützt die beste ärztliche Qualität, wenn man sich im Krankenhaus eine nosokomiale Infektion holt, weil nicht ordentlich gereinigt wurde?«

 
Diskutant*innen auf dem Podium

Der Betriebsrat betonte, dass bei Klinikschließungen keineswegs alle Beschäftigten ins nächste Krankenhaus wechseln. »Viele haben eine emotionale Bindung ans Haus, andere haben ein Problem, wenn sich die Fahrtzeiten zur Arbeit verlängern. Bei jeder Schließung besteht die Gefahr, Kolleginnen und Kollegen zu verlieren, und das ist in der jetzigen Situation fatal.« Auch deshalb sei es wichtig, die Beschäftigten mitzunehmen und zu beteiligen. »Die Reform muss dazu führen, dass die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern besser werden«, forderte Klaus Bölling. »Um das zu erreichen, müssen wir uns als Belegschaften zu Wort melden und als Gewerkschaft stark sein.«

DGB-Vorsitzende warnt vor Kliniksterben

Der Abteilungsleiter im nordrhein-westfälischen Gesundheitsministerium, Helmut Watzlawik, warnte vor weiteren Insolvenzen, da die Reform finanziell erst 2027 auswirken werde. Zuvor hatte bereits die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi Überbrückungsmaßnahmen und Soforthilfen für notleidende Kliniken gefordert. »Sonst besteht die Gefahr, dass Krankenhäuser, die wir im Sinne der Versorgungssicherheit brauchen, einfach absaufen«, so die Gewerkschafterin. Bund, Länder und Kommunen müssten zusammenarbeiten, um ein »unkontrolliertes Kliniksterben« zu verhindern.

Grundsätzlich positiv findet Yasmin Fahimi den geplanten Transformationsfonds von 50 Milliarden Euro. Eine »schreiende Ungerechtigkeit« sei es allerdings, die Hälfte der Summe den gesetzlich Versicherten aufzubürden. Der Umbau der Kliniklandschaft sei eine staatliche Aufgabe, die aus Steuermitteln finanziert werden müsse. »Es kann nicht sein, dass mit den Beiträgen der gesetzlich Versicherten die Lücken öffentlicher Haushalte gestopft werden«, kritisierte sie. »Geradezu ein Hohn ist es, privat Versicherte dabei für null durchgehen zu lassen.«

 
DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi bei der Krankenhaustagung 2024 in Berlin

Die Situation im Gesundheitswesen sei »ein existenzielles Thema für alle Menschen in Deutschland« und spiele auch im DGB eine zentrale Rolle, hob Yasmin Fahimi hervor. »Die Daseinsvorsorge ist nicht nur ein ver.di-Thema, es ist ein Thema der gesamten Gewerkschaftsbewegung.« Die Auseinandersetzung darum werde »eine der härtesten in den nächsten Jahren«, glaubt die DGB-Vorsitzende. Soziales dürfe nicht gegen Sicherheit ausgespielt werden. »Der Sozialstaat ist kein Luxus, sondern die Voraussetzung für Wohlstand für alle.«

Beschäftigte fordern verbindliche Personalvorgaben

ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler betonte, bei der Bundestagswahl am 23. Februar stehe eine Richtungsentscheidung bevor. Die Alternativen: »Weniger Sozialstaat, mehr Kapitalismus oder Gemeinwohl und gute Daseinsvorsorge.« Im Gesundheitswesen hätten die Beschäftigten mit ihrer Gewerkschaft ver.di vieles zum Positiven bewegt, so beim Thema Personalvorgaben. »Wir haben uns vor über zehn Jahren auf den Weg gemacht, viele großartige Aktionen auf die Beine gestellt und Tarifkämpfe für Entlastung geführt«, erklärte die Gewerkschafterin.

Ein Ergebnis ist die von ver.di gemeinsam mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Deutschen Pflegerat entwickelte Personalbemessung in der Krankenhauspflege, die PPR 2.0, die der Bundestag im Sommer beschlossen hat. »Wir haben die PPR 2.0 gegen extrem viele Widerstände durchgesetzt. Der erste Schritt ist gemacht – jetzt müssen wir dafür sorgen, dass sie in der Praxis wirkt.« Der neue ver.di-Rechner könne sehr gut genutzt werden, die tatsächliche Personalausstattung im Vergleich zur PPR 2.0 festzustellen und damit betrieblichen Druck aufzubauen. In der folgenden Debatte betonten mehrere Kolleg*innen, die PPR 2.0 müsse schnell verbindlich werden. Es müssten baldmöglichst Sanktionen greifen, wenn die Vorgaben in den Kliniken unterschritten werden.

 
ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler bei der Krankenhaustagung 2024 in Berlin

Ministerium verspricht Beteiligung

Überhaupt nicht angehen könne, so Sylvia Bühler, dass derzeit manche Krankenhäuser langjährige Service- und Hilfskräfte entlassen, weil diese nicht mehr über das sogenannte Pflegebudget abgerechnet werden können. »Wir haben ganz sicher nicht zu viel Personal im Gesundheitswesen«, betonte sie. »In anderen Branchen werden bei betrieblichen Umstrukturierungen sozialverträgliche Maßnahmen ergriffen, im Gesundheitswesen setzt man die Kolleginnen und Kollegen auf die Straße – das ist fatal. Das dürfen wir den Arbeitgebern nicht durchgehen lassen.«

Bei den Veränderungen im Krankenhauswesen dürften die Beschäftigten kein Randthema sein, forderte die Gewerkschafterin. »Die Reform ist nur mit den Beschäftigten, nur mit uns zu schaffen. Wir wollen mitbestimmen.« Michael Weller sagte, das Gesetz müsse nun durch Verordnungen konkretisiert werden. »Jetzt beginnt die Feinarbeit«, so der Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium. »Und da spielt ver.di natürlich eine große Rolle. Selbstverständlich werden die Beschäftigten eingeladen.«

Nicht fleißig genug?

Während sie dieses Versprechen begrüßten, zeigen sich die versammelten Vertreter*innen der Krankenhausbelegschaften empört über eine Äußerung von Johannes Wolff. Der Kassenfunktionär sagte mit Blick auf die schwierige wirtschaftliche Lage und wachsende Ausgaben für die Pflege: »Es läuft darauf hinaus, dass man wieder etwas fleißiger sein muss.« Klaus Bölling verwies darauf, dass die Steigerung des Pflegbudgets auch darauf zurückzuführen sei, dass »der Pflege Aufgaben zugeschustert werden, die mit Pflege nichts zu tun haben«, zum Beispiel Nachtspinde abzuwischen oder nach Entlassung von Patient*innen Betten zu reinigen. Zuvor hatte bereits Sylvia Bühler kritisiert, dass examinierte Pflegekräfte für solche Tätigkeiten eingesetzt werden. »Auf der einen Seite hat man nicht genug Personal, um Patientinnen und Patienten gut versorgen zu können, auf der anderen Seite lässt man Pflegefachpersonen Betten putzen – das passt überhaupt nicht zusammen.«

Als Reaktion auf Wolffs Behauptung, Krankenhausbeschäftigte müssten »fleißiger werden«, verwies die Krankenpflegerin einer Asklepios-Klinik auf die 350 Überstunden, die sie vor sich herschiebe. »Wenn ich so etwas höre, sagt meine innere Florence Nigthingale: Ab heute springe ich nicht mehr ein!«

 

Solidarität mit den Beschäftigten in Weimar

Die 270 Teilnehmenden der ver.di-Krankenhaustagung haben den Beschäftigten des Sophien- und Hufeland-Klinikums in Weimar in einer Resolution einmütig ihre Solidarität ausgesprochen. Sie kritisierten, dass der evangelische Arbeitgeber auf juristischem Weg versucht, Streiks zu verbieten. Seit Monaten streiten die Beschäftigten in Weimar dafür, dass ihre Löhne und Arbeitsbedingungen nicht mehr auf dem kircheninternen »Dritten Weg« festgelegt werden, sondern per Tarifvertrag. »Wir sind beeindruckt von eurer Durchsetzungsstärke mit 45 Prozent gewerkschaftlichem Organisationsgrad und eurem Durchhaltevermögen – trotz aller Steine, die euch von Diakonie und Kirche in den Weg gelegt werden«, heißt es in der Resolution. »Wir fordern Kirche und Diakonie in Mitteldeutschland auf, euer Recht auf Mitbestimmung zu respektieren und den Dialog mit euch aufzunehmen.«

 
ver.di-Krankenhaustagung 2024 in Berlin

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