Das Krankenhauswesen verändert sich. Und die betrieblichen Interessenvertretungen wollen die Veränderungen mitgestalten. Darauf verweist das Motto der ver.di-Krankenhaustagung, die am 14. und 15. November 2019 in Berlin stattfand: »Ganz vorne dran. Gestaltungschancen im Krankenhaus.« In den Plenumsdiskussionen und Arbeitsgruppen wurde bei der mit mehr als 350 Teilnehmer*innen erneut ausgebuchten Tagung immer wieder deutlich, dass vieles in Bewegung ist – vor allem beim Thema Personal und Überlastung. In mittlerweile 15 Großkrankenhäusern haben die Beschäftigten mit ver.di tarifliche Vereinbarungen für Entlastung durchgesetzt. Denn genug Fachkräfte wird es in Zukunft nur geben, wenn sich die Arbeitsbedingungen grundlegende verbessern. Deshalb entwickeln ver.di, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und der Deutsche Pflegerat auf Grundlage der bekannten Struktur der Pflege-Personalregelung (PPR) gemeinsam ein Instrument zur Personalbemessung in der Pflege. Es tut sich also was – doch der Ausgang der Entwicklungen ist weiterhin ungewiss.
Fest steht: Die Betriebs- und Personalräte sowie Mitarbeitervertretungen aus den Kliniken mischen sich ein. Und zwar sowohl in die großen Debatten als auch in die Verhältnisse im Betrieb. In acht Arbeitsgruppen ging es darum, sich für die betriebliche Arbeit fit zu machen. Überall wurde intensiv diskutiert – und immer wieder auch gelacht. Besonders der Auftritt des Krankenpflegers Matthias Prem von der Seminaragentur »HumorPille« sorgte für ausgelassene Heiterkeit – und für die Erkenntnis, dass Humor dabei helfen kann, die Strapazen und Herausforderungen des Alltags zu bestehen.
Das Programm zusammengestellt, vorbereitet und organisiert hat ein eingespieltes Vorbereitungsteam, dem Annette Boldt, Ina Colle, Stefan Härtel, Uwe Ostendorff, Katharina Ries-Heidtke, Niko Stumpfögger und Ivan Topic angehören. Niko Stumpfögger, der als ver.di-Bereichsleiter Betriebs- und Branchenpolitik im Gesundheits- und Sozialwesen alle elf Krankenhaustagungen mitorganisiert hat und bald in den Ruhestand geht, wurde von seinen Kolleginnen und Kollegen emotional verabschiedet. Niko wird bei der nächsten Krankenhaustagung fehlen. Dennoch findet sie statt, und zwar am 19. und 20. November 2020 in Berlin.
»Mal aus verfestigten Strukturen herauskommen, andere Modelle entwickeln, mit denen es besser geht«, so umriss die Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Asklepios in Hamburg, Katharina Ries-Heidtke, das Ziel des Forums 1 der ver.di-Krankenhaustagung 2019, das sich mit neuen Arbeitszeitmodellen in der Pflege beschäftigte. Und tatsächlich war das Konzept »Selbstbestimmte Arbeit im Team« (SAT), das sie gemeinsam mit Thomas Haul vom Asklepios-Klinikum Hamburg-Barmbek und Ralph Klawitter vom Hanseklinikum Stralsund vorstellte, für viele neuartig. Dienst- und Urlaubspläne werden darin nicht von Vorgesetzten erstellt, sondern von aus dem Team heraus gewählten »SAT-Verantwortlichen«. Die eigenverantwortliche Gestaltung der Arbeitszeiten soll die Zufriedenheit erhöhen und die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben verbessern. Mehrfach betonten die Referent*innen allerdings, dass dies nur mit einer guten Schichtbesetzung gelingt. »Ohne eine ausreichende Personalausstattung ist das Modell nicht lebbar – dann wird es zur Selbstausbeutung«, so Ralph Klawitter aus Stralsund, wo die Idee noch zu Zeiten der Damp AG entwickelt wurde. Und die Selbstausbeutung solle es eben nicht befördern, sondern eine Erweiterung von Autonomie und Selbstbestimmung am Arbeitsplatz.
Im SAT-Modell nehmen Arbeitgeber und Betriebsrat bei der Dienstplan- und Urlaubsgestaltung nur noch beratende Funktion ein. Das Management gibt Kontrolle preis, aber auch die betriebliche Interessenvertretung verzichtet auf die Ausübung von Mitbestimmungsrechten, solange nicht gegen Gesetze verstoßen wird. Dafür gibt es Voraussetzungen: Zum einen werden verbindliche Quoten beim Personaleinsatz vereinbart, zum anderen müssen Beschäftigte nicht mehr auf anderen Stationen aushelfen. Beides werde von den betroffenen Kolleginnen und Kollegen als positive Veränderungen erlebt, berichtete Thomas Haul aus Hamburg-Barmbek, wo derzeit Pilotprojekte aufgelegt werden. Wichtig sei, dass alle im Team mit der Teilnahme am Projekt einverstanden sind.
Die Teilnehmer*innen des Workshops reagierten interessiert, stellten aber auch viele kritische Fragen – zum Beispiel zur tariflichen Eingruppierung der SAT-Verantwortlichen. Sowohl im Plenum als auch in zwei »World Cafés« wurden die Vor- und Nachteile abgewogen sowie die Voraussetzungen diskutiert. Ein spannender Workshop also, der zum Weiterdenken anregte.
Beim Forum 2 der ver.di-Krankenhaustagung 2019 ging es um Zahlen und Betriebswirtschaft. Ina Colle vom Vorbereitungsteam erläuterte gemeinsam mit den Wirtschaftsprüfern Dr. Martin Stahl und Arno Prangenberg, wie das Finanzierungssystem der Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRG) konkret funktioniert. Auf dieser Grundlage arbeiteten sie heraus, wie die Herauslösung der Pflegepersonalkosten aus den DRGs ab 2020 umgesetzt werden soll und welche Folgen ein eigenes Pflegebudget für die Krankenhäuser haben könnte. Die Referenten*innen schafften es trotz der komplexen Materie, eine allgemeinverständliche Einführung zu geben, die zu so manchem »Aha-Moment« bei den Teilnehmer*innen führte.
Deutlich wurde, dass die Änderungen in der Krankenhausfinanzierung sowohl insgesamt positive als auch negative Effekte haben könnten: Einerseits dürfte die Tatsache, dass die tatsächlichen Kosten des Pflegepersonals nachgewiesen und dann vollständig refinanziert werden müssen, dazu führen, dass Pflegekräfte verstärkt eingestellt und besser bezahlt werden. Dadurch könnte es vielleicht leichter werden, Maßnahmen zur Entlastung und Aufwertung der Pflege durchzusetzen.
Andererseits könnte sich die finanzielle Lage vieler Krankenhäuser durch die Umstellung verschärfen. Hintergrund ist die seit Jahren unzureichende Finanzierung der Investitionskosten durch die Bundesländer, die neben den Krankenkassen die zweite Säule des dualen Finanzierungssystems bildet. Die Folge ist, dass Kliniken Geld, das in den Fallpauschalen für die Pflegevergütung vorgesehen ist, zweckentfremdet haben, da sie zum Beispiel Neu- oder Umbauten finanzieren mussten. Wenn ihnen künftig nur noch das vergütet wird, was sie tatsächlich für das Pflegepersonal ausgeben, könnten etliche Häuser mit Einnahmeausfällen konfrontiert sein. Aufgrund einer Übergangsregelung wird dieser Effekt allerdings erst ab 2022 vollständig wirksam. »Dann könnte der wirtschaftliche Druck auf einzelne Krankenhäuser also noch einmal zunehmen, nicht zuletzt, weil das duale Finanzierungssystem durch Krankenkassen und Bundesländer seit Jahren nicht funktioniert«, erklärte Dr. Martin Stahl.
Grundsätzlich findet es der Wirtschaftsprüfer richtig, Transparenz über die Mittelverwendung herzustellen. »Jetzt wird sichtbar, dass viele Kliniken Geld für die Pflege zweckentfremdet haben.« Doch allein die Pflegepersonalkosten den Fallpauschalen zu entziehen, löse das Problem nicht nachhaltig, sondern verschiebe es auf andere Bereiche. Vor diesem Hintergrund sei es durchaus angebracht, »die Frage zu stellen, ob das DRG-System insgesamt überhaupt noch Sinn macht«.
Die neueren Gesetze und Versordnungen für den Einsatz von Pflegepersonal in Kliniken waren Thema des Forums 3 der ver.di-Krankenhaustagung 2019. Doreen Lindner von der ver.di Ratgeber GmbH stellte einleitend dar, was sich für die Krankenhäuser durch das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz und die Änderungen an der Pflegepersonal-Untergrenzen-Verordnung verändern wird. Ab Anfang 2020 werden die Untergrenzen – über die im Workshop am meisten diskutiert wurde – auf die Herzchirurgie und Neurologie ausgeweitet. Zudem hat Bundesgesundheitsministerium bei den Kriterien für die Definition »pflegesensitiver Bereiche« und zum Einsatz von Hilfskräften etwas nachgebessert. »Trotz dieser Änderungen bleibt ver.di dabei: Die Untergrenzen führen nicht zu einer bedarfsgerechten Versorgung. Teilweise legitimieren sie den Pflegenotstand noch«, betonte Cordula Kiank von der ver.di-Bundesverwaltung. Einige Teilnehmer*innen bestätigten die zuvor geäußerte Befürchtung, Kliniken könnten versuchen, die Untergrenzen zur neuen Norm zu erklären – und die Situation so noch weiter verschlechtern.
»Trotz der Kritik an den Untergrenzen haben wir uns im Forum genau angeschaut, wie die Interessenvertretungen dafür sorgen können, dass zumindest diese untersten Standards eingehalten werden – und zwar sowohl in der Planung als auch in der Realität«, berichtete die Gewerkschafterin. Die Teilnehmer*innen werteten ihre bisherigen Erfahrungen im Umgang mit den Untergrenzen in »Murmelgruppen« aus. Eins der Ergebnisse: Die Mitbestimmung bei der Dienstplangestaltung gilt ihnen als wohl effektivstes Mittel, deren Einhaltung zu kontrollieren. Diese ist allerdings recht arbeitsintensiv, weshalb Mitglieder kleinerer Betriebsratsgremien eine Überforderung befürchten. »Ein Tipp ist es, sich nicht gleich das ganze Krankenhaus vorzunehmen, sondern zunächst mit den Stationen anzufangen, bei denen die Untergrenzen greifen«, empfahl Cordula Kiank. »Sobald die Mitbestimmung der Dienstpläne eingeübte Praxis ist, kann man das ausweiten.«
Zum Ende des Workshops stellte der Wirtschaftsberater Arno Prangenberg ein Excel-Tool vor, mit dem für die Stationen und Bereiche konkret berechnet werden kann, wie viel Personal für die Einhaltung der Untergrenzen zur Verfügung stehen muss. Damit kann auch nachvollzogen werden, ab wann die Klinik mit Sanktionen rechnen muss. Denn diese greifen erst, wenn die Untergrenzen im Monatsdurchschnitt unterschritten werden. Bei den Betriebs- und Personalräten sowie Mitarbeitervertreter*innen kam das Tool gut an. »Es ist ein nützliches Instrument, mit dem die Interessenvertretungen an die nötigen Informationen und Argumente kommen, um sich mit dem Arbeitgeber auseinandersetzen zu können«, so Cordula Kiank.
Die Digitalisierung ist in aller Munde und macht auch vor den Krankenhäusern nicht Halt. Beim Forum 4 der ver.di-Krankenhaustagung 2019 ging es indes nicht um allgemeine Erörterungen dieses Themas, sondern sehr praktisch um dessen Gestaltung. Am Beispiel der Einführung einer Software für Dienstreisen zeigten Lisa Merla und Torben Schmengler vom Asklepios-Konzernbetriebsrat (KBR) gemeinsam mit dem IT-Berater Ulrich Mott, wie die Interessenvertretung Digitalisierungsprozesse per Dienstvereinbarung regulieren kann.
Ulrich Mott legte dar, wie eine solche Vereinbarung aufgebaut sein könnte: Zunächst werden demnach allgemeine Grundsätze festgeschrieben, wie »Datensparsamkeit« und der Ausschluss von Leistungs- und Verhaltenskontrollen. In einem zweiten Schritt wird der Umgang mit der betreffenden Software konkret reglementiert – zum Beispiel, wer warum Zugriff auf welche Daten hat. »Das macht viel Arbeit«, stellte der Informatiker klar. »Denn man muss sich mit den Details befassen.« In einem dritten Schritt werden die Auswirkungen der neuen Technologie begrenzt, indem beispielsweise ein Verwertungsverbot unzulässig erlangter Daten festgeschrieben wird. »Und nachher ist es wichtig, regelmäßig zu überprüfen, ob die Vereinbarung auch umgesetzt wird.«
Die folgende Debatte machte deutlich, dass die Betriebs- und Personalräte sowie Mitarbeitervertretungen beim Thema Digitalisierung bisher ganz unterschiedlich aufgestellt sind. Während sich einige Interessenvertretungen intensiv damit befassen und zum Beispiel IT-Ausschüsse gebildet haben, stehen andere noch ganz am Anfang. Insbesondere in kleineren Häusern und Gremien fühlen sich die Belegschaftsvertreter*innen oftmals überfordert – sowohl zeitlich als auch inhaltlich. »Wie soll ich das auch noch zeitlich und kompetenzmäßig hinkriegen?«, fragte eine Betriebsrätin? Ein Tipp der Referent*innen war, sich auf diejenigen Maßnahmen zu konzentrieren, die sich am stärksten auf den Betriebsalltag auswirken. Selbst im Asklepios-Konzern, wo der IT-Ausschuss des KBR zweimal monatlich tagt, werde nur ein kleiner Teil der digitalen Anwendungen und Verfahren durch Betriebsvereinbarungen geregelt, erläuterte Torben Schmengler. »Sinnvoll ist es auch, Sachverständige hinzuzuziehen, denn ein Betriebsrat ist ja nicht automatisch IT-Experte«, so der KBR-Referent.
Uwe Ostendorff von der ver.di-Bundesverwaltung appellierte an die Teilnehmer*innen, keine allzu große Scheu vor dem Thema Digitalisierung zu haben. »Man muss kein IT-Experte sein, um seine Mitbestimmungsrechte auszuüben«, stellte er klar. »Man kann externe Sachverständige nutzen und sich fortbilden. Grundsätzlich gilt: Wer analoge Mitbestimmung kann, der kann auch digitale Mitbestimmung.«
Hoch aktuell war das Thema des Forums 5 der ver.di-Krankenhaustagung 2019, das sich mit den neuen Personalstandards in psychiatrischen Einrichtungen beschäftigte. Weniger als einen Monat vor der Tagung hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Richtlinie »Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik« (PPP-RL) veröffentlicht. »In dem Forum wollten wir zum einen diskutieren, ob die neuen Vorgaben eine gute Versorgung ermöglichen, zum anderen, welche Möglichkeiten die Interessenvertretungen haben, sich damit für eine angemessene Personalausstattung stark zu machen«, erläuterte Ivan Topic vom Vorbereitungsteam.
In Bezug auf die erste Frage dominierte Skepsis. Denn Kliniken und Krankenkassen haben sich zwar darauf geeinigt, dass die ab Anfang 2020 geltenden Mindeststandards verbindlich eingehalten werden müssen. Doch diesem positiven Schritt stehen vier Schritte in die falsche Richtung entgegen, so die Analyse von Gisela Neunhöffer, die in der ver.di-Bundesverwaltung für psychiatrische Einrichtungen zuständig ist. So sind erstens Stellen für Nachtdienst, Ausfallmanagement und Leitungsfunktionen in der Richtlinie nicht verbindlich in die Berechnung einbezogen, sondern müssen in lokalen Budgetverhandlungen festgelegt werden. Zweitens entsprechen die Vorgaben weitgehend den in der bisherigen Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) festgelegten Standards – obwohl sich in den 30 Jahren ihres Bestehens vieles verändert hat. Drittens müssen diese in den ersten vier Jahren nur zu 85 bzw. 90 Prozent umgesetzt werden, wobei auch noch verschiedene Berufsgruppen aufeinander angerechnet werden können. Und viertens sorgen finanzielle Sanktionen, die ab 2021 bei Unterschreitung der Vorgaben greifen sollen, nicht für eine bessere Versorgung. All das ließ lässt vieler Teilnehmer*innen zu dem Schluss kommen, dass der G-BA-Beschluss nicht die geforderte »Psych-PV plus«, sondern eine »Psych-PV minus« darstellt.
Doch die Betriebs- und Personalräte sowie Mitarbeitervertreter*innen beließen es nicht bei Kritik, sondern machten sich Gedanken darüber, wie die Richtlinie als Hebel zur Verbesserung der Personalbesetzung genutzt werden könnte. Sie könnte beispielsweise bei der Überprüfung von Dienstplänen herangezogen werden, denen die Interessenvertretungen bei Nichteinhaltung der Vorgaben widersprechen könnten. Sie könnten ein funktionierendes Ausfallmanagement verlangen, weil die Mindeststandards sonst regelmäßig nicht einzuhalten sind. Sie sollten zudem darauf drängen, dass Hilfskräfte – die bei der Erfüllung der Personalvorgaben sonst nicht zählen – zu Fachkräften weiterqualifiziert werden. Ein weites Handlungsfeld also für betriebliche Interessenvertreter*innen, denen Neunhöffer nahelegte, sich für diese Aufgaben in Seminaren fit zu machen.
Zugleich wollen die ver.di-Aktiven wie bisher Einfluss nehmen und mit Aktionen Druck machen für eine gute Personalausstattung. Auch nach dem G-BA-Beschluss bleibt etliches ungeklärt. Eine Frage, die beim Workshop aufkam, ist beispielsweise: Wenn die Berufsgruppen wechselseitig aufeinander angerechnet werden, werden niedriger eingruppierte Beschäftigten dann ggfs. auch besser bezahlt? Sonst wäre es absehbar, dass Kliniken höher durch geringer qualifiziertes Personal ersetzen würden. Das wäre das Gegenteil einer guten Versorgung, zu der die Richtlinie ursprünglich beitragen sollte.
Interessant war die Zusammensetzung des Forums 6 der ver.di-Krankenhaustagung 2019: Die Teilnehmer*innen kamen keineswegs selbst alle aus der Krankenhausreinigung. Vielmehr waren viele von ihnen Betriebs- und Personalräte sowie Mitarbeitervertreter*innen aus den Kliniken. »Das zeigt, dass sie ein großes Interesse daran haben, sich für ihre Kolleginnen und Kollegen in der Reinigung einzusetzen, auch wenn diese in ausgegliederten Gesellschaften arbeiten«, meinte Ivan Topic vom Vorbereitungsteam. Und in der Tat wurde in der Debatte einerseits deutlich, dass die Interessenvertreter*innen Solidarität zwischen den Beschäftigtengruppen herstellen wollen – andererseits aber auch, wie schwierig das ist. »Wir kommen an die Kolleginnen der Tochtergesellschaft oft gar nicht richtig ran«, berichtete eine Betriebsrätin. Dabei spiele es für das gesamte Krankenhaus eine wichtige Rolle, ob die Reinigung funktioniert.
Das betonte auch Gisela Neunhöffer, die im ver.di-Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen für Servicebetriebe zuständig ist. Die wachsenden Hygieneprobleme stünden in engem Zusammenhang mit Sparmaßnahmen in der Reinigung, worauf auch die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene eindringlich hinweist. Ihr zufolge haben sich die Flächen, die Putzkräfte in den Kliniken reinigen müssen, binnen 15 Jahren mehr als verdoppelt. Die Folgen sind eine enorme Arbeitshetze, aber auch eine Verschlechterung von Standards. »Wir müssen klarmachen: Outsourcing, Lohndumping und Personalabbau in der Krankenhausreinigung führen nicht nur zur Überlastung der Beschäftigten, sondern gehen auch zu Lasten der Patientensicherheit und damit der Allgemeinheit«, betonte Gisela Neunhöffer. Eine Teilnehmerin kritisierte in diesem Zusammenhang, dass die Hygienestandards immer erst Thema würden, »wenn die Katastrophe passiert ist«. Klinikleitungen würden oft erst dann aktiv, wenn Menschen bereits zu Schaden gekommen seien und dies öffentlich bekannt werde.
Um dem zu begegnen, fordert ver.di auch für die Krankenhausreinigung bedarfsgerechte Personalstandards per Gesetz. Was dabei zu berücksichtigen ist, haben gewerkschaftlich aktive Reinigungskräfte in einer Broschüre zusammengetragen. Diese gibt auch betrieblichen Interessenvertretungen Argumente und Berechnungsmethoden an die Hand, um der Überlastung des Reinigungspersonals entgegenzuwirken. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz biete Betriebs- und Personalräte sowie Mitarbeitervertretungen viele Möglichkeiten, für die Kolleg*innen aktiv zu werden, betonte Gisela Neunhöffer.
In der Debatte wurde deutlich, dass Auseinandersetzungen im Servicebereich durchaus erfolgreich sein können. So berichtete Ivan Topic von der München Klinik, dass es dort gelungen sei, die Ausgliederung von Servicetätigkeiten zu verhindern. In anderen Fällen haben es die Betroffenen zusammen mit ver.di geschafft, Tochtergesellschaften in den Tarifvertrag oder ganz in die Muttergesellschaft zurückzuholen. Trotz der problematischen Bedingungen, bleibt also auch von diesem Forum die Erkenntnis: Beschäftigte und ihre Interessenvertretungen können etwas verändern.
Das Forum 7 der ver.di-Krankenhaustagung 2019 war sicherlich das unterhaltsamste. Zuvor hatte der Krankenpfleger Matthias Prehm von der Seminaragentur »HumorPille« den Teilnehmer*innen bereits im Plenum Humor als Möglichkeit nähergebracht, mit den Problemen des Alltags umzugehen. »Humor ist eine Haltung, mit der man den Stress besser bewältigen kann«, erklärte er. »Es geht darum, sich vor der schlechten Laune anderer zu schützen und im Alltag handlungsfähig zu bleiben.« Und wo wäre das nötiger als im Krankenhaus, wo Personalmangel und Leistungsverdichtung permanenten Stress erzeugen? Er wolle den Menschen vor Augen führen, wieviel Spaß der Beruf macht und dass es nur im Team gelingen kann, die Herausforderungen zu meistern. Das machte er mit Parodien aus dem Klinikalltag deutlich, die den Teilnehmer*innen den Spiegel vorhielten – und für viel Heiterkeit sorgten.
Mit »Resilienz« im Titel des Workshops ist gemeint, »aus der Opferrolle herauszukommen und Verantwortung für sich selbst zu übernehmen«. Oder, wie Matthias Prehm es auch ausdrückt: »Ich will auf meinem Schiff der Kapitän und nicht fremdbestimmt sein.« Er selbst betonte, dass sich die Rahmenbedingungen im Krankenhaus verbessern müssten. »Aber zusätzlich kann man seine eigene Haltung ändern. Es gilt, wegzukommen von einer Jammerkultur, die nur das im Auge hat, was nicht funktioniert und alles andere ausblendet.«
Die Argumente für Humor am Arbeitsplatz liegen demnach auf der Hand: Er kann soziale Beziehungen stärken, ohne die es gerade im Krankenhaus nicht geht. Er schafft Harmonie und wirkt sich positiv auf die eigene Gesundheit aus. In Stresssituation kann Humor als »Airbag« dienen, um sich von den Umständen nicht überwältigen zu lassen.
Das Forum habe »mal einen anderen Blickwinkel« gezeigt und den Teilnehmer*innen etliche »Aha-Momente« beschert, berichtete Annette Boldt vom Vorbereitungsteam. Die Betriebsrätin sieht dabei auch einen Zusammenhang zum Engagement in Gewerkschaft und Betrieb: »Wenn wir psychisch stärker werden, sind wir auch stärker im Kampf für gute Arbeitsbedingungen.« Humor soll also keine Beruhigungspille sein, sondern die Widerstandskraft in allen Fragen und Lebenslagen erhöhen – ein Ansatz, der bei den versammelten Betriebs- und Personalräten sowie Mitarbeitervertreter*innen auf hörbare Resonanz stieß.
In Sachen Aus- und Weiterbildung besteht für betriebliche Interessenvertretungen Handlungsbedarf. Gerade angesichts der technischen Entwicklungen und anstehenden Umbrüche in der Arbeitswelt sollten Betriebs- und Personalräte sowie Mitarbeitervertretungen ihre Mitbestimmungsrechte bei der Weiterbildung nutzen, appellierte Ralf Bohlen vom ver.di-Bildungszentrum Walsrode im Forum 8 der ver.di-Krankenhaustagung 2019. »Weiterbildung kann helfen, die Kollegen fit zu machen für die Aufgaben der Zeit. Die Interessenvertretungen haben hier viele Möglichkeiten.« Auch bei der Ausbildung stellten sich zum Teil neue Aufgaben – zum Beispiel durch die Einbeziehung der betrieblich-schulischen Auszubildenden in die Tarifverträge, die in der Folge oft zum ersten Mal einen Ausbildungsvertrag mit dem Klinikum selbst erhalten haben.
In dem Forum kamen die Teilnehmer*innen aus unterschiedlichen Perspektiven und Altersgruppen in den Austausch. Rebecca Stüdemann von der Jugend- und Auszubildendenvertretung des Klinikbetreibers Asklepios in Hamburg berichtete von den zentralen Problemen während der Ausbildung – von unzureichender Praxisanleitung bis hin zum »Stationshopping«, bei dem Auszubildende kurzfristig auf andere Stationen versetzt werden. Eine strukturierte und verlässliche Anleitung sei wichtig, auch um die hohen Abbrecherquoten bei der Ausbildung im Krankenhaus zu senken, ergänzte Stefan Härtel, Betriebsrat im Rhön-Klinikum Frankfurt (Oder). »Wir müssen die Frage stellen: Liegt es allein an den jungen Menschen, wenn sie in der Ausbildung scheitern, oder hat das nicht auch strukturelle Gründe?«
Die betriebliche Interessenvertretung forderte er auf, ihre Einflussmöglichkeiten nutzen. Sie müsse über Abweichungen vom Ausbildungsplan informiert werden und sollte ihnen gegebenenfalls widersprechen, denn: »Im Zweifel muss das Examen Vorrang haben.« Auch beim Thema Weiterbildung könnten Betriebs- und Personalräte sowie Mitarbeitervertretungen ihre Mitbestimmungsrechte bei der Dienstplangestaltung nutzen. »Die Weiterbildung muss in den Dienstplänen berücksichtigt werden, darauf sollten die Betriebsräte achten«, so Stefan Härtel, der sich auch im Vorbereitungsteam der Tagung engagiert. Es könne beispielsweise nicht angehen, dass Beschäftigte sich unbezahlt in ihrer Freizeit weiterbilden müssten.
Die Debatte machte klar: Aus- und Weiterbildung ist für die betriebliche Interessenvertretung eines der zentralen Handlungsfelder. Darüber wollten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Forums auch über die Krankenhaustagung hinaus im Gespräch bleiben und sich weiter vernetzen.