Was haben der Klimawandel und der Fachkräftemangel in den Krankenhäusern gemeinsam? Eine ganze Menge, wie die Leiterin des ver.di-Bereichs Gesundheitspolitik, Grit Genster, am Donnerstag (14. November 2019) bei der Krankenhaustagung in Berlin herausstellte. »In beiden Fällen wurde vorhandenes Wissen über Jahrzehnte ignoriert. Und es waren lange jeweils ökonomische Interessen handlungsleitend.« Neben der Krisendiagnose vermittelt der Vergleich noch eine andere Botschaft: Es tut sich was. Jetzt besteht die Chance, die Entwicklung zu verändern.
Wie dramatisch die Lage in den Kliniken ist, musste Genster den mehr als 350 Teilnehmer*innen auf der erneut ausgebuchten ver.di-Tagung nicht lange erklären. Die aus dem ganzen Bundesgebiet angereisten Betriebs- und Personalräte sowie Mitarbeitervertreter*innen erleben selbst jeden Tag, wie Kolleg*innen in die Teilzeit oder ganz aus dem Beruf flüchten, weil sie es nicht mehr aushalten. Angetrieben vom Finanzierungssystem der Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRG) setzen die Klinikmanager auf immer mehr »Fälle, Fälle, Fälle«. »Sie versuchen, so viele Patienten mit so wenig Personal wie nur möglich zu versorgen«, kritisierte Genster. Der nun allseits beklagte Fachkräftemangel sei eine logische Folge.
Doch neben der individuellen Flucht gehen die Beschäftigten verstärkt auch einen anderen Weg: den des kollektiven Widerstands. Ein Beleg dafür ist, dass ver.di in mittlerweile 15 Großkrankenhäusern Vereinbarungen für mehr Personal und Entlastung durchgesetzt hat – zuletzt am Uniklinikum Jena. Und weitere Belegschaften haben ihre Arbeitgeber zu entsprechenden Tarifverhandlungen aufgefordert. Einmütig verabschiedeten die Teilnehmer*innen der Berliner Tagung eine Solidaritätserklärung mit ihren Kolleginnen und Kollegen an den Unikliniken Mainz und Schleswig-Holstein, die sich aktuell in Auseinandersetzungen über Entlastungs-Tarifverträge befinden. Ihre Solidarität drückten die in Berlin versammelten Interessenvertreter*innen auch mit streikenden Klinikbeschäftigten in den Niederlanden sowie mit den Asklepios-Belegschaften im niedersächsischen Seesen und im bayerischen Lindenlohe aus. Letztere streiten für tariflich geregelte Arbeitsbedingungen und Vergütung. Dies sei »entscheidend, um auch in Zukunft mit hochmotiviertem Personal Patientinnen und Patienten zu versorgen«, heißt es in der Resolution. Angesichts von Versuchen des Konzerns, das grundgesetzlich verbriefte Streikrecht seiner Beschäftigten auszuhebeln, fordern die Teilnehmer*innen der Tagung: »Asklepios muss sich wieder in den Grundkonsens dieser Republik einfinden.«
Nicht nur auf betrieblicher und tariflicher Ebene, auch gegenüber den politisch Verantwortlichen setzt sich ver.di seit geraumer Zeit für grundlegende Verbesserungen in den Krankenhäusern ein. »Wir haben eine große öffentliche Aufmerksamkeit geschaffen und die Politik damit zum Handeln bewegt«, bilanzierte Grit Genster von der ver.di-Bundesverwaltung. So seien die vollständige Refinanzierung von Tariferhöhungen und von zusätzlichen Stellen in der Krankenhauspflege wichtige Erfolge. »Allerdings müssen sich nicht nur in der Pflege die Bedingungen verbessern, sondern in allen Berufsgruppen.« Die für 2020 beschlossene Herauslösung der Pflegepersonalkosten aus den Fallpauschalen sieht die Gewerkschafterin als ersten Schritt zur Abschaffung des DRG-Systems. »Das System hat sich überlebt«, betonte Genster.
Auch einem anderen Ziel kommt die Bewegung für Entlastung langsam näher: der Durchsetzung bedarfsgerechter und verbindlicher Personalstandards. Die von ver.di gemeinsam mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Deutschen Pflegerat in Angriff genommene Entwicklung eines Instruments zur Personalbemessung auf Grundlage der bekannten Struktur der Pflegepersonalregelung (PPR) könne ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung sein, erklärte Genster. Ob die Bundesregierung ein solches Instrument dann aber auch verbindlich umsetzen wird, sei nicht garantiert. Dafür sei weiterhin Druck aus den Betrieben und in der Öffentlichkeit nötig. Eine Gelegenheit dafür dürfte erneut die Gesundheitsministerkonferenz sein, die im kommenden Jahr in Berlin stattfinden soll.
Fazit: Es ist viel in Bewegung, doch der Ausgang ist ungewiss. Genster betonte, die Klinikbeschäftigten bräuchten weiterhin einen langen Atem »Die Folgen von zwei Jahrzehnten verfehlter Krankenhauspolitik zu korrigieren, ist ein dickes Brett.« Auch hier tun sich Parallelen zur Klimakrise auf.