2020 musste die ver.di-Krankenhaustagung für betriebliche Interessenvertretungen pandemiebedingt ausfallen. Umso wichtiger und schöner war es, am 11. und 12. November 2021 wieder in Berlin zusammenkommen zu können. Rund 180 Betriebs- und Personalräte sowie Mitarbeitervertreter*innen nutzten die Zeit, um über aktuelle Entwicklungen im Gesundheitswesen zu diskutieren und eigene Handlungsmöglichkeiten im Betrieb auszuloten. Das Motto »Aus der Krise lernen – der Mensch als Maßstab« machte die Haltung der Teilnehmer*innen deutlich: Im Gesundheitswesen muss der Mensch im Mittelpunkt stehen. Und: Es gilt, aus der aktuellen Krise die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen.
Neben den Referaten und Diskussionen im Plenum tauschten sich die Teilnehmer*innen in insgesamt zehn Arbeitsgruppen über ihre betriebliche Arbeit aus. Zusammengestellt hatte das Programm ein Vorbereitungsteam aus ehren- und hauptamtlichen Gewerkschafter*innen: Annette Boldt, Ina Colle, Grit Genster, Stefan Härtel, Uwe Ostendorff, Katharina Ries-Heidtke, Rebecca Stüdemann und Ivan Topic. Emotional verabschiedet aus dem Vorbereitungsteam wurde zum Schluss der Tagung Katharina Ries-Heidtke von den Asklepios-Kliniken in Hamburg, die ihren wohlverdienten Ruhestand angetreten hat. Sie wurde ebenso mit anhaltendem Applaus bedacht wie Uwe Ostendorff, der sich in der ver.di-Bundesverwaltung anderen Aufgaben widmen wird.
Stefan Härtel vom Vorbereitungsteam und Dr. Martin Stahl von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Korthäuer & Partner schafften es im Forum 1 der ver.di-Krankenhaustagung 2021, die komplizierte Materie der Krankenhausfinanzierung verständlich und spannend zu erläutern. Konkret ging es vor allem um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie für die Krankenhäuser. Detailliert wurden die als Reaktion auf die Pandemie beschlossenen Gesetze und Verordnungen dargestellt und in ihrer Wirkung auf die finanzielle Lage der Krankenhäuser analysiert. Dabei wurde deutlich, dass sich die Situation auf einzelne Häuser ganz unterschiedlich auswirkt und es lohnt, genau hinzuschauen. Für die Interessenvertretungen und ihre Mitglieder in Wirtschaftsausschüssen oder Aufsichtsräten ist wichtig, die vom Management vorgelegten Zahlen interpretieren zu können, so der Tenor der Debatte. Denn: Nur so können sie frühzeitig eingreifen und versuchen, die Unternehmensstrategie im Sinne der Beschäftigten zu beeinflussen.
Die Durchsetzung der Gleichstellung von Männern und Frauen ist eine gesetzliche Aufgabe der betrieblichen Interessenvertretung. Diese Feststellung war der Ausgangspunkt eines intensiven Austauschs im Forum 2 der ver.di-Krankenhaustagung 2021, das von der Leiterin der Stabsstelle Betriebliche Gleichbehandlung der München Klinik, Dr. Andrea Rothe, der Organisationsberaterin Vera Lemke und Ina Colle vom Vorbereitungsteam geleitet wurde. Fakt ist: Frauen sind unter den Führungskräften und der Chefärzt*innen im Krankenhaus weiterhin unterrepräsentiert. Im Forum wurden verschiedene Instrumente vorgestellt, mit denen sich daran etwas ändern lässt – von flexiblen Arbeitszeitmodellen und Pool-Lösungen bis hin zu Trainings und Führungskräfteschulungen. Bei Letzteren geht es auch darum, für einen möglichen »bias«, also eine unbewusste Benachteiligung von Frauen bei der Personalauswahl und -entwicklung zu sensibilisieren. Als ver.di-Mitglied im Beirat des vom Europäischen Sozialfonds (ESF) initiierten Projekts »Fachkräftesicherung durch Gleichstellungspolitik im Krankenhaus« stellte Ina Colle klar, dass Gewerkschaft und Interessenvertretungen an dem Thema dranbleiben wollen.
Rebecca Stüdemann vom Vorbereitungsteam und Nico Baumann von der konzernweiten Jugend- und Auszubildendenvertretung (KJAV) bei Helios diskutierten mit dem Teilnehmer*innen des Forums 3 der ver.di-Krankenhaustagung 2021 über die Herausforderungen, die sich aus der neuen Pflegeausbildung seit 2020 ergeben. Sie betonten, dass das neue Pflegeberufegesetz einige Regelungslücken enthalte, den Betriebs- und Personalräten sowie Mitarbeiter- und Jugendvertretungen damit aber auch viel Spielraum und Gestaltungsmöglichkeiten lasse. So könne beispielsweise per Betriebs- oder Dienstvereinbarungen eine gute und strukturierte Praxisanleitung gesichert werden – auch bei externen Ausbildungseinsätzen. Zudem sollten die Interessenvertretungen vor Ausbildungsbeginn auf einem konkreten Ausbildungsplan beharren. So kann beispielsweise dem sogenannten Stationshopping – also kurzfristige Wechsel des Einsatzorts zur Kompensation von Personalmangel – ein Riegel vorgeschoben werden. Denn klar ist: Eine hohe Ausbildungsqualität ist eine wichtige Voraussetzung dafür, den Fachkräftemangel einzudämmen.
Getrud Breuker vom ver.di-Bildungswerk Niedersachsen, Laura Schoer vom Institut Arbeit und Technik in Gelsenkirchen, Jürgen Breitkreuz vom Klinikum Osnabrück und Uwe Ostendorff vom Vorbereitungsteam befassten sich gemeinsam mit den Teilnehmer*innen des Forums 4 der ver.di-Krankenhaustagung 2021 mit dem Thema Digitalisierung. Zunächst erläuterten sie die Grundzüge des Projekts DigiKiK, das Beschäftigte von Krankenhäusern im digitalen Wandel stärken soll. Dann berichtete Jürgen Breitkreuz von den positiven Projekterfahrungen in seinem Betrieb. Demnach haben die Betriebsparteien dort ein gemeinsames Verständnis für die Digitalisierung als fortwährenden – und beteiligungsorientiert zu gestaltenden – Prozess entwickelt. Der Betriebsrat ist in diesen intensiv einbezogen – von der Auswahl neuer Soft- und Hardware bis hin zu deren Evaluation, was sich auch in einer Reihe von Betriebsvereinbarungen ausdrückt. Die Teilnehmer*innen berichteten hingegen von sehr unterschiedlichen Erfahrungen und Entwicklungsständen bei der Digitalisierung in ihrer Klinik. Auch die Einbeziehung der Interessenvertretungen unterscheidet sich deutlich. Der Aufklärungs- und Handlungsbedarf beim Thema Digitalisierung bleibt groß.
Das von Ivan Topic und Karsten Knoke geleitete Forum 5 der ver.di-Krankenhaustagung 2021 war interaktiv angelegt. Statt einem Vortrag zuzuhören sammelten die Teilnehmer*innen miteinander Ideen, wie geeignete Kandidatinnen und Kandidaten für die Mitarbeitervertretung, den Betriebs- oder Personalrat gewonnen werden können. Neben den »üblichen« Mitteln der persönlichen Ansprache, Infotischen etc. gab es auch Vorschläge wie Patenschaften und Mentoringprogramme. Es wurde offen diskutiert, was Kolleg*innen davon abhält, sich in der Interessenvertretung zu engagieren. Klar wurde dabei aber auch, dass die Gremien einiges zu bieten haben – und das auch vermitteln sollten. Ein Weg, darauf aufmerksam zu machen, kann zum Beispiel eine »Stellenanzeige« für den Betriebsrat sein. Mit dieser und vielen weitere kreativen Ideen können die Teilnehmer*innen die kommende Wahl angehen.
Viele »Aha-Erlebnisse« hatten die Teilnehmer*innen des Forums 6 der ver.di-Krankenhaustagung 2021. Unter dem Motto »Sich durchsetzen ohne formale Macht« vermittelten die Kommunikationstrainerin Kristina Böhlke und Katharina Ries-Heidtke vom Vorbereitungsteam, dass es bei Diskussionen und Konflikten im Betrieb oft nicht nur um Inhalte, sondern auch um Hierarchien und persönliche Beziehungen geht. Das gelte es zu durchschauen, um als Interessenvertretung noch wirksamer zu agieren. So berichtete beispielsweise ein Arzt und Betriebsratsmitglied, dass er mit Arztkittel vom Arbeitgeber viel ernster genommen werde als ohne. Wer solche Mechanismen verstehe, könne sie sich zunutze machen, so der Tenor des interaktiv gestalteten Forums. Neben der vertikalen Interaktion – bei der dem Modell zufolge auch »Rangfolgen« und »Reviere« abgesteckt werden –, gibt es die horizontale Interaktion, bei der sich Menschen auf Augenhöhe begegnen. Hier ist es unter anderem sinnvoll, Nähe zu schaffen, Ähnlichkeiten zu betonen und dem Gegenüber bei Fehlern gesichtswahrende Auswege zu eröffnen. Die Teilnehmer*innen nahmen einige praktische Kommunikationsstrategien mit nach Hause und in ihre Betriebe.
Die Dienstplangestaltung ist in den Kliniken eines der zentralen Konfliktthemen. Im Forum 7 der ver.di-Krankenhaustagung 2021 betonten Doreen Lindner von der ver.di Rat.geber GmbH und Cordula Kiank von der ver.di-Bundesverwaltung, dass die Interessenvertretungen ihre Mitbestimmungsrechte bei der Dienstplangestaltung intensiv nutzen sollten. Konkret befassten sich die Teilnehmer*innen des Forums vor allem mit von Arbeitgebern initiierten Ausfallkonzepten. Die zum Beispiel als Stand-by- oder Flexi-Dienste bezeichneten Modelle können ganz unterschiedlich wirken, wie die Diskussion verdeutlichte. Es gebe positive Beispiele, aber auch problematische Entwicklungen, bei denen Anreize geschaffen werden, dass Beschäftigte die eigene Gesundheit aufs Spiel setzen. Die Verantwortung dafür, den Betrieb am Laufen zu halten, sollte dem Arbeitgeber zurückgegeben werden, so der Tenor. Das kann beispielsweise mit einer kollektiven Verabredung im Team geschehen, nicht mehr außerhalb des Dienstplans einzuspringen, und per Ultimatum eine bessere Personalausstattung zu erzwingen. Grundsätzlich setzt sich die Interessenvertretung für faire Instrumente ein, die Dienstpläne verlässlicher machen. Eine angemessene Personalausstattung können diese freilich nicht ersetzen.
Wenige Wochen vor der ver.di-Krankenhaustagung 2021 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beschlossen, dass es 2022 in der Psychiatrie – in der Psychosomatik auch im Jahr 2023 – noch keine Sanktionen gibt, wenn Einrichtungen die Richtlinie »Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik« (PPP-RL) nicht erfüllen. Das prägte die Diskussionen des Forums 8, bei dem klar wurde, dass die Personalvorgaben in etlichen psychiatrischen Kliniken und Fachabteilungen unterschritten werden. Dennoch können Interessenvertretungen die PPP-RL in der Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber zumindest als gewichtiges Argument nutzen, wie Heiko Piekorz von der Asklepios-Fachklinik Lübben und Diana Sgolik von der ver.di-Bundesverwaltung deutlich machten. Zugleich stellten Teilnehmer*innen klar, dass es sich bei den Personalvorgaben um Untergrenzen handeln und die PPP-RL weiterentwickelt werden müsse. So seien beispielsweise Ausfall- und Anleitungszeiten nicht adäquat berücksichtigt.
Die Beschäftigten von Tochterfirmen der Krankenhäuser sind für eine gute Versorgung ebenso unerlässlich wie ihre Kolleg*innen, die direkt in den Muttergesellschaften angestellt sind. Darin waren sich die Teilnehmer*innen des Forums 9 der ver.di-Krankenhaustagung 2021 einig, das von Ivo Garbe vom ver.di-Landesbezirk Berlin-Brandenburg und Diana Sgolik von der ver.di-Bundesverwaltung geleitet wurde. Sie stellten klar: Auch in den Tochtergesellschaften braucht es gute Arbeitsbedingungen. Allerdings haben die Interessenvertretungen der Kliniken kaum rechtliche Möglichkeiten, sich für die Beschäftigten der Tochtergesellschaften einzusetzen. Öffentlicher Druck ist oft der einzige Weg, Verbesserungen zu erreichen. Vor diesem Hintergrund diskutierten die Teilnehmer*innen über die Erfahrungen in den Tarifbewegungen bei der Klinikum Nürnberg Service Gesellschaft und bei den Vivantes-Tochtergesellschaften. Kolleg*innen berichteten von diesen erfolgreichen Arbeitskämpfen um Angleichung der Löhne und Arbeitsbedingungen an den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). Einige dabei eingesetzte Methoden – zum Beispiel Ultimaten und Mehrheitspetitionen – könnten auch in betrieblichen Konflikten genutzt werden, hieß es in der Debatte. Den Beschäftigten die Angst zu nehmen und sie zu motivieren, sich für die eigenen Belange einzusetzen, sei entscheidend. Ebenso die konsequente Nutzung der gesetzlich verbrieften Mitbestimmungsrechte.
Die Teilnehmer*innen des Forums 10 der ver.di-Krankenhaustagung 2021 verschafften sich zunächst einen Überblick über die Struktur und Funktionsweise der bedarfsgerechten Personalbemessung in der Krankenhauspflege, die PPR 2.0. Grit Genster und Robert Spiller vom ver.di-Bereich Gesundheitswesen/Gesundheitspolitik sowie Annette Boldt vom Vorbereitungsteam stellten dar, in welchen Punkten die PPR 2.0 gegenüber der einstigen Pflegepersonalregelung (PPR) weiterentwickelt wurde. Gemeinsam trugen die Teilnehmer*innen die gegen die verbindliche Personalbemessung ins Feld geführten Argumente zusammen und entkräfteten diese. Doch die Debatte im Forum fokussierte nicht nur auf den politischen Prozess, sondern auch und vor allem auf die Handlungsmöglichkeiten im Betrieb. Denn auch wenn der Gesetzgeber die PPR 2.0 bislang nicht auf den Weg gebracht hat, kann das Instrument dazu dienen, den Personaleinsatz in den Kliniken abzubilden und zu verbessern. Schließlich wird die PPR-Systematik in vielen Krankenhäusern ohnehin zur internen Kalkulation eingesetzt. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat die PPR 2.0 gemeinsam mit dem Deutschen Pflegerat und ver.di vorgelegt. Vor diesem Hintergrund können Belegschaftsvertretungen die Klinikleitungen dazu auffordern, nicht auf das Gesetzgebungsverfahren zu warten, sondern die gemeinsam befürwortete Personalbemessung bereits jetzt freiwillig umzusetzen.
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