On Tour für gute Pflege

350 Kilometer in fünf Tagen: Die »Tour de Pflege« macht mit elf Aktionen in vier Bundesländern auf Missstände im Gesundheitssystem aufmerksam.
05.07.2024

Die Stimmung ist gut, das Wetter manchmal nicht. Als die Teilnehmenden der »Tour de Pflege« am Mittwoch – dem dritten Tag ihrer fünftätigen Radtour – am Klinikum Darmstadt Station machten, goss es in Strömen. So war es schon am ersten Tag am Klinikum Worms gewesen, wo die Pflegedirektorin den Aktivist*innen vom Bündnis Pflege.Auf.Stand Rheinland-Pfalz spontan im Foyer des Klinikums Unterstand gewährte. Ganz anders in Darmstadt: Hier verbot die Geschäftsführung den Zutritt. Ganz anders als die Darmstädter Klinikleitung verhielt sich die Geschäftsführung der Kreiskliniken im nahegelegenen Groß Gerau. Diese stellte Beschäftige frei, um nach Darmstadt zu fahren und die Radler*innen zu begrüßen – eine starke Unterstützung der »Tour de Pflege«, die in diesem Jahr das Motto hat: »Weg von der Ökonomisierung, Kommerzialisierung und Privatisierung des Gesundheitswesens – hin zu einer verantwortungsvollen Daseinsvorsorge!«

 
Tour de Pflege am 2. Juli 2024 in Speyer

Bei der Kundgebung in Darmstadt berichteten die Kolleg*innen von Plänen, das kommunale Klinikum mit dem Elisabethenstift des kirchlichen Agaplesion-Konzerns zusammenzuschließen. Der Betriebsrat, die Mitarbeitervertretung und ver.di fordern unter anderem, dass der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) und die Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz gilt. Keinesfalls dürfe stattdessen das kirchliche Arbeitsrecht zur Anwendung kommen.

 

Kritik am Sonderrecht der Kirchen

Dessen Nachteile hatten die Teilnehmenden der Tour bereits am Vortag vor den Toren des Diakonissen Stiftungs-Krankenhauses in Speyer thematisiert. Michael Hemmerich, Vorsitzender der Gesamt-Mitarbeitervertretung der Evangelische Diakonissenanstalt Speyer-Mannheim-Bad Dürkheim, erklärte: »Aus Gesprächen mit Kolleg*innen haben wir festgestellt, dass die Beschäftigten überall die gleichen Probleme haben. Wir haben aber auch festgestellt, dass die kirchlichen Einrichtungen ihre Sonderrechte nutzen um die Mitbestimmung der Beschäftigten zu schwächen.« So seien kirchliche Mitarbeitervertretungen im Vergleich zu Betriebsräten schlechter gestellt. »Auch bei der Unternehmensmitbestimmung gelten die staatlichen Gesetze nicht«, erläuterte Hemmerich, der seit zwei Jahren bei der Tour de Pflege mitfährt. Stattdessen gebe es für kirchliche Unternehmen lediglich eine unverbindliche Verbandsempfehlung.

 

Spätestens seit die Gesundheit und Sozialbranche dem Wettbewerb ausgesetzt wurde, seien die kirchlichen Sonderregeln nicht mehr zeitgemäß, ergänzte die Vorsitzende der Mitarbeitervertretung im Diakonie-Zentrum Pirmasens, Anne Jacobi-Wirth. Bei ihrer Begrüßung der Radfahrer*innen betonte sie: »Der Mensch darf kein Kostenfaktor sein.« Für die Langzeitpflege sei endlich eine stabile Finanzierung nötig. »Es braucht eine Bürgerversicherung, in die alle einzahlen«, forderte die Gewerkschafterin. »Wir brauchen eine solidarische Pflegegarantie.«

 

»Ein Betrieb, eine Gewerkschaft, ein Tarifvertrag«

Die »Tour de Pflege« soll den Austausch befördern und Kolleg*innen Mut machen, sich für ihre Interessen einzusetzen. Ein tolles Beispiel dafür erlebten die Radler*innen am Dienstag am Uniklinikum Heidelberg. Dort streiten die Beschäftigten gemeinsam mit ihren Kolleg*innen in Ulm, Tübingen und Freiburg für ein »Zukunftspaket«, das mehr Geld, Zeit, Entlastung und bessere Ausbildungsqualität bringen soll. In der ersten Wochenhälfte beteiligten sich an den vier baden-württembergischen Unikliniken in der Spitze mehr als 2.000 Beschäftigte an Warnstreiks. Konkret fordert die ver.di-Tarifkommission unter anderem, dass Beschäftigte bei mehrfacher Arbeit in unterbesetzten Schichten einen zusätzlichen freien Tag als Belastungsausgleich erhalten. Der Fachkrankenpfleger Udo Haas, der die gesamte Strecke Tour mitfährt, betonte mit Blick auf Erfahrungen in der Psychiatrie: Personalvorgaben, bei denen Verstöße nicht sanktioniert werden, blieben letztlich »eher warme Bettvorleger anstatt große Tiger für die Beschäftigten«.

 
Tour de Pflege am 3. Juli 2024 in Mannheim

Bei einer Aktion am dritten Tag der Tour vor dem Universitätsklinikum Mannheim wurde deutlich, wie wichtig alle Beschäftigtengruppen für eine funktionierende Versorgung sind. Ob Reinigung, Spülküche, Küche, Bettenaufbereitung, Patientenlogistik, Wachschutz, Stationsservice, Lager oder Logistik – ohne die Beschäftigten der Servicegesellschaft KMD würde all das im Mannheimer Uniklinikum nicht laufen, erklärte der Betriebsratsvorsitzende Christoph Kramer bei der Kundgebung. Dennoch werden die KMD-Beschäftigten gegenüber ihren Kolleg*innen in der Muttergesellschaft wegen fehlender Tarifverträge systematisch benachteiligt. Der Betriebsratsvorsitzende der Uniklinik, Ralf Heller, betonte: »Ein Betrieb, eine Gewerkschaft, ein Tarifvertrag – so sollte es sein!«

 

In Aschaffenburg droht Tarifflucht

Am Klinikum Aschaffenburg-Alzenau, wo die »Tour de Pflege« am Donnerstag Halt machte, geht die Entwicklung allerdings in eine andere Richtung: in Richtung Tarifflucht und Spaltung der Belegschaft. Just am Vorabend hatte die Klinikleitung verkündet, aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband auszutreten. Dadurch wolle man »den Anforderungen des Arbeitsmarkts gerecht werden«, so die abstruse Begründung des Vorstands. Am ver.di-Infostand, der zur Begrüßung der Radler*innen aufgebaut worden war, gab es viele Nachfragen besorgter Beschäftigter. Der ver.di-Sekretär Stefan Kimmel nannte das Vorgehen der Klinikleitung ein »absolutes Eigentor«. Einsparungen nach Arbeitsmarktlage dürften vor allem die unteren Entgeltgruppen treffen – »unsozial und nicht akzeptabel«. Zwar gelten die bisherigen Tarifregelungen für Gewerkschaftsmitglieder zunächst weiter, Neueinstellungen können aber zu anderen Konditionen erfolgen. Es wird darauf ankommen, ob die Beschäftigten in Alzenau bereit sind, sich gemeinsam mit ver.di gegen die Tarifflucht zur Wehr zu setzen.

»Die Situation der Beschäftigten in Aschaffenburg hängt uns allen noch emotional nach«, berichtete die Mainzer Fachkinderkrankenschwester und Sprecherin des Bündnisses Pflege.Auf.Stand Rheinland-Pfalz, Julia-C. Stange, am nächsten Tag. Zum Glück hätten die Beschäftigten durch den wegen der Aktion zufällig präsenten ver.di-Stand eine erste Anlaufstelle gehabt, um mit ihren Vertrauensleuten zu sprechen. »Hier wie überall gilt: Wir Beschäftigte müssen uns gut organisieren. Wir brauchen die Gewerkschaft wie die Butter auf dem Brot. Nur so können wir bessere Bedingungen und eine gute Gesundheitsversorgung für alle durchsetzen.«

 

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  • Daniel Wenk

    Kir­chen, Dia­ko­nie und Ca­ri­tas

    030/6956-1049

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