Fit für Mitbestimmung

Bei den Foren der ver.di-Krankenhaustagung haben sich die 270 Teilnehmenden über verschiedene Themen informiert, die sie in ihrer Arbeit stärken.
26.11.2024

Neben den Vorträgen und Podiumsdiskussionen haben sich die 270 Betriebs- und Personalräte sowie Mitarbeitervertreter*innen bei der ver.di-Krankenhaustagung am 21. und 22. November 2024 in Berlin in zwölf parallel laufenden Foren in Mitbestimmungsthemen fit gemacht. Die Teilnehmenden konnten jeweils zwei Foren besuchen. Die Themen reichten von betriebswirtschaftlichen und berufspolitischen Fragen bis hin zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz und der Vorbereitung des Generationenwechsels im Gremium. Wir haben Referent*innen gebeten, zentrale Inhalte ihres Forums zu skizzieren.

 

Forum 1: Alles neu macht die Wahl – Generationenwechsel im Gremium

Meike Stiene, Trainee bei ver.di

»In vielen Betriebs- und Personalräten sowie Mitarbeitervertretungen ist das Durchschnittsalter ziemlich hoch. Oft fällt es ihnen schwer, Nachwuchs zu gewinnen. Das hat auch mit mangelnder Transparenz zu tun. Zum Teil ist Beschäftigten – und besonders jüngeren Kolleg*innen – gar nicht klar, was die betriebliche Interessenvertretung eigentlich macht. Es ist daher wichtig, zu informieren und dabei auch Kanäle zu nutzen, die Jüngere erreichen. Es gilt, Interessierte einzubinden, auch bevor sie auf der Wahlliste stehen, und neue Kolleg*innen im Gremium einzuarbeiten. Das heißt, Wissen weiterzugeben und auch Verantwortung abzugeben. Die Interessenvertretungen sollten gemeinsam mit den ver.di-Jugendsekretär*innen versuchen, Auszubildende an den Schulen anzusprechen. Generell gilt: Der Generationenwechsel sollte bewusst und frühzeitig angegangen werden.«

Meike Stiene, Trainee bei ver.di

 

Forum 2: Von der Erprobung zur verbindlichen Anwendung: Personalbemessung in der Pflege

Robert Spiller, ver.di-Bundesverwaltung, zuständig für Krankenhauspolitik

»Wir sind mitten in der Einführungsphase der von ver.di gemeinsam mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Deutschen Pflegerat entwickelten PPR 2.0. In manchen Kliniken empfinden Beschäftigte das zunächst als zusätzlichen Dokumentationsaufwand. Hier sollten die betrieblichen Interessenvertretungen auf eine gute digitale Umsetzung drängen. Wenn die PPR 2.0 sinnvoll ins Krankenhaus-Informationssystem eingebunden ist, minimiert sich der Aufwand. An der digitalen Umsetzung sollten Betriebs- und Personalräte sowie Mitarbeitervertretungen unbedingt von Beginn an beteiligt sein. Was allen wichtig ist: Die PPR 2.0 muss möglichst schnell verbindlich werden. Es braucht Sanktionen, wenn Kliniken die bedarfsgerechten Personalvorgaben nicht einhalten. Der erste Schritt ist eine konsequente und korrekte Datenerhebung. Das ist die Basis dafür, rasch unser gemeinsames Ziel zu erreichen: dass die versprochene Entlastung endlich in der Praxis ankommt.«

Robert Spiller, ver.di-Bundesverwaltung, zuständig für Krankenhauspolitik

 

Forum 3: Betriebswirtschaft und Mitbestimmung im Krankenhaus

Martin Stahl, Wirtschaftsprüfer

»Die wirtschaftliche Lage fast aller Krankenhäuser ist extrem angespannt. Es findet eine kalte Marktbereinigung statt – und die Politik schaut zu. Abteilungen und Standorte werden geschlossen, es drohen verstärkt Insolvenzen. Das bedroht besonders im ländlichen Raum die Versorgung. Um diese Entwicklung zu stoppen, braucht es dringend eine Überbrückungsfinanzierung für Krankenhäuser in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Ob es mit der geplanten Reform besser wird, ist zweifelhaft. Was genau auf die Kliniken zukommt, ist weitgehend noch eine Blackbox. Die Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen sollten versuchen, Einfluss zu nehmen, indem sie Öffentlichkeit schaffen und die lokale Politik mit der Situation konfrontieren.«

Martin Stahl, Wirtschaftsprüfer

 

Forum 4: Weiterentwicklung der Pflegeberufe: Stärkung der Berufsgruppe?

Hanna Stellwag, ver.di-Bundesverwaltung, Bereich Berufspolitik/Jugend

»Mit der Etablierung des dualen Studiums, der bundesweit einheitlichen Pflegeassistenzausbildung und perspektivisch dem Advanced Practice Nursing ist klar: Die Entwicklung der Pflegeausbildungen geht in Richtung Differenzierung. Das wirft viele Fragen auf und schafft potenziell Konflikte. Wir meinen: Pflege ist Teamarbeit. Es darf keine Spaltung zwischen Pflegepersonen geben, die unterschiedliche Qualifikationswege durchlaufen. Das heißt zum Beispiel, dass für beruflich und hochschulisch ausgebildete Pflegepersonen gleich gute Bedingungen gelten müssen. Das geht am besten, indem dual Studierende in den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst für Auszubildende (TVAöD) einbezogen werden. Die gesamte Pflege muss aufgewertet werden!«

Hanna Stellwag, ver.di-Bundesverwaltung, Bereich Berufspolitik/Jugend

 

Forum 5: Akademisierung – Wandel der Ausbildung

Gerd Dielmann, Experte für die Pflegeausbildung

»Die neuen Ausbildungswege in der Pflege und den Therapieberufen werfen viele Fragen auf. Wie sieht eine gute Arbeitsteilung aus, bei der die Kompetenzen aller sinnvoll eingesetzt werden? Das können und sollten betriebliche Interessenvertretungen mitgestalten. Es ist gut, dass das duale Pflegestudium einen Ausbildungsvertrag mit der Einrichtung, die Zahlung einer angemessenen Ausbildungsvergütung und anderes festschreibt. Betriebs- und Personalräte sowie Mitarbeitervertretungen müssen darauf achten, dass die Vorgaben eingehalten werden. Ab 2025 werden im Pflegestudium auch ärztliche Tätigkeiten vermittelt, die studierte Pflegepersonen bei bestimmten Indikationen ausüben sollen. Ob sie das auch dürfen, ist bislang rechtlich allerdings nicht geklärt. Hier sind die Interessenvertretungen gefragt, Beschäftigte zu schützen.«

Gerd Dielmann, Experte für die Pflegeausbildung

 

Forum 6: Psychiatrie – Qualitätsvorgaben und Krankenhausreform

Grit Genster, Leiterin des ver.di-Bereichs Gesundheitspolitik/Gesundheitswesen

»Wir haben festgestellt, dass die Richtlinie Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik (PPP-RL) in den psychiatrischen Einrichtungen sehr unterschiedlich umgesetzt wird. Es gibt Kliniken, die sie zu hundert Prozent einhalten, auch wenn sie immer noch keine Sanktionen zu befürchten haben. Und es gibt etliche, die viel zu wenig Personal einsetzen. Zum Beispiel eine kleine Fachklinik in Bayern, in der nachts zwei Pflegekräfte – manchmal auch nur eine Pflegekraft – für 60 Patientinnen und Patienten zuständig sind. Das ist von der vorgegebenen Relation für den Nachtdienst von 1 zu 18 meilenweit entfernt. Es braucht endlich Verbindlichkeit und Konsequenzen, wenn die PPP-RL unterschritten wird. Genug Beschäftigte braucht es auch in der ambulanten Versorgung. Die Ambulantisierung ist kein Sparmodell – im Gegenteil: Wenn es gut gemacht wird, ist eher mehr, nicht weniger Personal nötig.«

Grit Genster, Leiterin des ver.di-Bereichs Gesundheitspolitik/Gesundheitswesen

 

Forum 7: Erfolgreich mitbestimmen in Krankenhaus-Servicebetrieben

Knud Danger, Betriebsratsvorsitzender Asklepios Objektbetreuung Hamburg

»Ohne uns in den Servicebetrieben läuft im Krankenhaus nichts. Ohne Reinigung können keine Zimmer belegt, keine Menschen operiert werden. Ohne Handwerker gibt es keinen Strom und kein Wasser. Alle Berufsgruppen werden benötigt, wir sind nicht weniger wichtig als Ärztinnen und Ärzte oder Pflegekräfte. Doch die Bedingungen in den Servicegesellschaften sind unzumutbar. Sehr viele haben befristete Verträge. Etliche müssen Zweit- und Drittjobs machen, weil sie nicht über die Runden kommen. Der Grund dafür: fehlende Tarifverträge. Wir müssen stärker werden, die Organisationsgrade erhöhen, um das zu ändern. Dafür brauchen wir die Unterstützung der ver.di-Hauptamtlichen, aber auch der Kolleginnen und Kollegen in den Mutterhäusern. Denn Krankenhaus ist Teamarbeit!«

Knud Danger, Betriebsratsvorsitzender Asklepios Objektbetreuung Hamburg

 

Forum 8: Integration internationaler Fachkräfte

Stefan Härtel, Betriebsrat im Klinikum Frankfurt (Oder)

»In der Gesundheits- und Krankenpflege hat sich der Anteil internationaler Kolleg*innen zwischen 2013 und 2023 von 4,9 auf 14,5 Prozent fast verdreifacht. Auch in anderen Berufsgruppen wächst die Zahl migrantischer Beschäftigter. Dass ihre Integration gelingt, ist für alle Seiten wichtig. Es gilt, sprachliche, kulturelle und andere Barrieren zu überwinden. Absolut entscheidend dafür ist, dass sich die Menschen bei der Arbeit verständigen können. Deshalb müssen Arbeitgeber die Kolleg*innen für Sprachkurse freistellen und diese finanzieren, und auch sonst nötige Ressourcen für die Integration zur Verfügung stellen. Und auch die Betriebs- und Personalräte sowie Mitarbeitervertretungen sind gefragt. Sie sind die Interessenvertretung der gesamten Belegschaft. Das sollte sich möglichst auch in der Zusammensetzung der Gremien widerspiegeln. Das Bunte muss auch in den Interessenvertretungen ankommen.«

Stefan Härtel, Betriebsrat im Klinikum Frankfurt (Oder)

 

Forum 9: Gewalt gegen Beschäftigte – Beschäftigte zwischen Akzeptanz und Angst

Rebecca Stüdemann, Mitglied des Gesamtbetriebsrats bei Asklepios in Hamburg

»Die Zahl der Gewaltvorfälle in Krankenhäusern steigt stetig. Doch viele Kliniken tun bislang noch zu wenig. Arbeitgeber müssen für Arbeits- und Gesundheitsschutz sorgen, wozu auch Prävention und Umgang mit Gewalt gehören. Betriebs- und Personalräte sowie Mitarbeitervertretungen sollten auf konsequente Maßnahmen drängen. An erster Stelle stehen technische Maßnahmen, wie Schutzräume und Notruftelefone. Dann kommen organisatorische und personenbezogene Maßnahmen. Ganz zentral ist ein bedarfsgerechter Personaleinsatz. Dass es bei Personalmangel häufiger zu Übergriffen kommt, ist hinlänglich bewiesen. Sinnvoll ist es, wenn sich die Interessenvertretungen zu dem Thema vernetzen und voneinander lernen. Es gibt viele gute Konzepte, an denen man sich orientieren kann. Keine Klinik kann es sich leisten, Beschäftigte infolge von Übergriffen zu verlieren. Die Arbeitgeber stehen in der Verantwortung.«

Rebecca Stüdemann, Mitglied des Gesamtbetriebsrats bei Asklepios in Hamburg

 

Forum 10: Krankenhausreform

Peter Sztatelman, ver.di-Bundesverwaltung, zuständig für Krankenhäuser

»Die Beschäftigten der Krankenhäuser werden von der geplanten Reform massiv betroffen sein. Deshalb ist es sehr wichtig, dass sie ihre Stimme erheben und ihre Anforderungen deutlich machen. Zum Beispiel sind die Beschäftigten keine Verschiebemasse, die einfach ins nächste Krankenhaus transferiert werden kann. Eine Krankenhausreform ist unbedingt nötig – aber nicht so, wie sie bislang vorliegt. Es braucht Druck aus den Betrieben, damit die versprochene Entökonomisierung wirklich kommt. Die Vorhaltebudgets in der bisherigen Form sind ein Etikettenschwindel. Das System der Fallpauschalen muss überwunden und durch die volle Refinanzierung aller nötigen Kosten bei wirtschaftlicher Betriebsführung ersetzt werden. Ganz unmittelbar brauchen notleidende Kliniken eine Überbrückungsfinanzierung. Kein versorgungsrelevantes Krankenhaus darf wegfallen!«

Peter Sztatelman, ver.di-Bundesverwaltung, zuständig für Krankenhäuser

 

Forum 11: KI im Krankenhaus – Fluch oder Segen?

Marc Lienow, Betriebsrat Asklepios Hamburg

»Die KI hält in der Medizin immer stärker Einzug. Natürlich hat das Auswirkungen auf die Beschäftigten – im Guten wie im Schlechten. Einerseits kann sich die Versorgungsqualität verbessern, andererseits können sich Tätigkeiten verändern oder sogar wegfallen. Deshalb ist KI für Betriebs- und Personalräte sowie Mitarbeitervertretungen ganz klar ein Thema. Sie sollten sich damit befassen – und zwar frühzeitig, bevor neue Systeme etabliert werden. Bei neuen Technologien und insbesondere KI schwingen viele Ängste mit. Umso wichtiger ist das Engagement der betrieblichen Interessenvertretungen. Sie sollten dem Arbeitgeber nicht blind vertrauen, sondern sich aktiv einmischen und ihre Mitbestimmungsrechte nutzen.«

Marc Lienow, Betriebsrat Asklepios Hamburg

 

Forum 12: Lebensphasenorientierte Arbeitszeitgestaltung

Doreen Lindner, Abteilungsleiterin bei ver.di Bildung und Beratung

»Es geht darum, Beschäftigte mit einer an ihre Bedürfnisse angepassten Arbeitszeitgestaltung zu entlasten. Wir brauchen Arbeitszeitmodelle, die an die jeweiligen Lebensphasen angepasst werden können. So kann die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben verbessert werden. Das sollte eigentlich auch im Sinne der Arbeitgeber sein, um Personal zu binden. Doch immer noch geschieht hier viel zu wenig. Umso wichtiger, dass die betrieblichen Interessenvertretungen ihre Mitbestimmungsrechte nutzen und Vereinbarungen treffen, die Arbeitszeiten so gestalten, dass sich Vereinbarkeit und Gesundheitsschutz verbessern und an die jeweiligen Lebensphasen angepasst sind.«

Doreen Lindner, Abteilungsleiterin bei ver.di Bildung und Beratung

 

Herausforderung Klimawandel

Was hat der Klimawandel mit der Arbeit im Krankenhaus zu tun? Eine ganze Menge! Dies machten Lilly Leppmeier und Michael Stier von der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) bei ihrem Vortrag auf der ver.di-Krankenhaustagung am 21. November 2024 in Berlin deutlich. »Der Klimawandel ist für das Gesundheitswesen eine Herausforderung, mit der sich die Einrichtungen auseinandersetzen müssen«, sagte Lilly Leppmeier. Vulnerable Gruppen, sowohl unter den Patient*innen als auch unter den Beschäftigten, müssten zum Beispiel vor zunehmender Hitze geschützt werden.

Krankenhäuser seien aber nicht nur von den Folgen der Klimakrise betroffen, sie gehörten auch zu den Verursachern. Das Gesundheitswesen sei für sechs Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich, wovon wiederum 30 Prozent aus den Krankenhäusern stammten, rechnete die Referentin vor. Den Gesundheitssektor klimafreundlich zu gestalten, habe auch positive Effekte auf die Gesundheit von Beschäftigten, zum Beispiel durch gesünderes Essen und die Förderung öffentlicher Mobilität.

»Allein durch Hitze sind 2021 in Deutschland 21 Millionen Arbeitsstunden verloren gegangen«, berichtete Michael Stier. »Bei Temperaturen über 30 Grad steigt die Wahrscheinlichkeit von Arbeitsunfällen um 7,4 Prozent.« Bei hohen Temperaturen nehme auch die Sterblichkeitsrate messbar zu. Der BGW-Referent wies darauf hin, dass Arbeitgeber ab 26 Grad geeignete Getränke zur Verfügung stellen sollen. Aber 30 Grad müssen sie das tun und weitere Maßnahmen ergreifen. Ab 35 Grad ist ein Raum ohne Maßnahmen gegen die Temperaturüberschreitung nicht mehr zum Arbeiten geeignet. Die Arbeitgeber stünden bei dem Thema in der Verantwortung.

 

Informationen zum Hitzeschutz am Arbeitsplatz finden sich hier.

Hitzeschutz für Beschäftigte im Gesundheitsdienst ist auch Thema eines BGW-Podcasts

 

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