Privatisierung

Jecke Krankenhauspolitik

04.03.2021

Protest gegen Klinikschließungen in Nordrhein-Westfalen

 
Karnevals-Protest gegen Klinikschließungen am 14. Februar in Essen

Beim diesjährigen Karneval im Essener Norden zog nicht das Dreigestirn durch die Straßen. Stattdessen hielten die Aktivist*innen des »KrankenhausEntscheids Essen« bei einem Autokorso den »drei Coronas« den Narrenspiegel vor: dem Oberbürgermeister, dem Ruhrbischof und einem Aufsichtsratsmitglied der katholischen Contilia-Gruppe. »Wir wollten diejenigen benennen, die für die Schließung von zwei der drei Krankenhäuser im Essener Norden verantwortlich sind«, erklärt Jutta Markowski. Die Ergotherapeutin engagiert sich mit vielen anderen für ein Bürgerbegehren, das die Gesundheitsversorgung im sozial benachteiligten Nordteil der Ruhrgebietsstadt sichern will. Durch die Schließung des Marienhospitals und des St. Vincenz Krankenhauses sei eine gefährliche Versorgungslücke entstanden, warnt sie. »Jetzt muss die Stadt Verantwortung übernehmen und ein kommunales Krankenhaus aufbauen, um die Grund- und Regel- sowie die Notfallversorgung zu sichern.«

 
Karnevals-Protest gegen Klinikschließungen am 14. Februar in Essen

Dass der katholische Contilia-Konzern mitten in der Corona-Pandemie hunderte Krankenhausbetten abbaute, kann Markowski immer noch nicht fassen – und dass die politisch Verantwortlichen das zuließen. Jetzt versuche die schwarz-grüne Stadtratsmehrheit alles, um ein Bürgerbegehren zu verhindern. »Erst wurden langwierige Gutachten in Auftrag gegeben, dann wurde uns die für ein Bürgerbegehren notwendige Kostenschätzung verweigert«, kritisiert Markowski. Letzteres muss die Stadt laut einem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 3. März nun nachholen. »Wir lassen uns nicht unterkriegen und machen weiter Druck«, stellt die Ergotherapeutin klar. Das ist für sie auch eine Frage der sozialen Verantwortung. Schon jetzt erziele die rechtspopulistische AfD in einigen Stimmbezirken bis zu 20 Prozent. »Wenn der Essener Norden sozial und auch in der Gesundheitsversorgung noch weiter abgehängt wird, profitieren am Ende die rechten Rattenfänger«, befürchtet Markowski, die direkt neben dem geschlossenen St. Vincenz Krankenhaus wohnt.

 

»Es ist ein Unding, dass Contilia im Krankenhausplan vorgesehene Betten einfach einseitig schließen kann«, sagt Jan von Hagen von der Gewerkschaft ver.di, die die Proteste in Essen unterstützt. »Ähnliches droht in ganz Nordrhein-Westfalen, falls die Landesregierung ihre Pläne zum Umbau der Krankenhauslandschaft weiter verfolgt.« Die Erfahrungen in der Pandemie hätten gezeigt, wie wichtig eine wohnortnahe und breit aufgestellte Krankenhausversorgung sei. Dennoch wolle die Düsseldorfer CDU-FDP-Regierung viele kleine Krankenhäuser schließen und die Versorgung in Großkliniken zentralisieren. »Die Behauptung ist, dass damit das Problem des Fachkräftemangels gelöst werden könnte«, erläutert von Hagen. »Aber das ist völliger Quatsch. Der Versorgungsbedarf ändert sich dadurch nicht, es müssen die gleichen Patientinnen und Patienten mit denselben Erkrankungen behandelt werden. Eine Zentralisierung wird wenn überhaupt nur unwesentliche Personaleinsparungen bringen – bei gravierenden Nebenwirkungen.«

 

Der Gewerkschafter kritisiert zudem, dass die Landesregierung zwar durch Vorgaben für Mindestmengen und anderes in die Krankenhauslandschaft eingreifen, die konkreten Entscheidungen aber dem Markt überlassen will. »Statt anhand des Versorgungsbedarfs zu planen, wo welche Krankenhauskapazitäten benötigt werden, wird das Land mit dem neuen Gesetz dafür sorgen, dass kleinere Kliniken nicht mehr wirtschaftlich arbeiten können«, erklärt von Hagen. »Kommt das durch, werden reihenweise Krankenhäuser schließen – auch wenn sie vor Ort gebraucht werden.«

 
Karnevals-Protest gegen Klinikschließungen am 14. Februar in Essen

Dagegen regt sich Widerstand. So fordert die von ver.di und vielen anderen Organisationen unterstützte »Volksinitiative Gesunde Krankenhäuser in NRW – für ALLE!«, dass unter breiter Beteiligung aller Betroffenen mit ausreichend Zeit ein landesweiter Krankenhausplan erstellt – und bis dahin kein Krankenhaus geschlossen – wird. Zudem wird die Düsseldorfer Regierungskoalition aufgefordert, den Investitionsstau von über 12,5 Milliarden Euro zu beseitigen und sich im Bundesrat für die Abschaffung des Finanzierungssystems der Fallpauschalen (DRG) einzusetzen, das für die wirtschaftlichen Probleme der Krankenhäuser verantwortlich ist.

 

Wenn dafür mindestens 66.000 Wahlberechtigte unterschreiben, muss sich der Landtag mit den Forderungen befassen. »Dieses Quorum werden wir sicher bei Weitem übertreffen, auch wenn es wegen der Pandemie derzeit schwieriger ist, Unterschriften zu sammeln«, ist von Hagen überzeugt. Bis zum Sommer soll die Kampagne laufen, und auch danach wollen die Aktivist*innen keine Ruhe geben. Im Mai 2022 wird an Rhein und Ruhr ein neuer Landtag gewählt. »Wir werden die Parteien daran messen, was sie für eine gute Krankenhausversorgung tun«, sagt der Gewerkschafter und verweist auf die bundesweite Bedeutung der Auseinandersetzung um die Krankenhauspolitik in dem bevölkerungsreichsten Bundesland: »Die Schlussfolgerung aus der Pandemie muss die Ausrichtung des Gesundheitswesens am Bedarf sein, nicht eine noch stärkere Ökonomisierung. In welche Richtung es geht, wird sich in den kommenden Monaten auch in NRW entscheiden.«

Daniel Behruzi

 

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