»Die Leistungen an das vorhandene Personal anzupassen, ist das einzige Mittel, das wirkt. Alles andere hilft letztlich nicht.«
In den grundlegenden Zielen waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Podiumsdiskussion bei der ver.di-Krankenhaustagung am Freitag (15. November 2019) in Berlin zumindest verbal einig. Mit ihrer Aussage, das Personal sei »die wichtigste Ressource, die wir im Krankenhaus haben«, erntete die Personalmanagerin Gunda Dittmer vom Klinikum Itzehoe ebenso Zustimmung wie Michael Kiens vom Vorstand des Uniklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), der »eine gute Patientenversorgung zu guten Rahmenbedingungen« als gemeinsames Ziel ausgab. Auch Franz Knieps vom Dachverband der Betriebskrankenkassen (BKK) rannte bei den mehr als 350 Teilnehmenden mit seiner Kritik am durch das Finanzierungssystem der Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRG) hervorgerufenen »wilden, ungesteuerten Wettbewerb« offene Türen ein. Doch es gab auch Kontroversen. So zu der Frage, ob Bettenschließungen bei Personalmangel ein probates Mittel sind.
»Ich setze im Wettbewerb darauf, dass die Arbeitsbedingungen so sind, dass die Menschen gerne zum Arbeitsplatz kommen und sich mit ihrer Arbeit identifizieren.«
»Ich habe einen der schönsten Berufe der Welt, und ich würde ihn immer wieder wählen«, brachte es eine seit Jahrzehnten aktive Krankenpflegerin aus dem Jüdischen Krankenhaus Berlin auf den Punkt. »Aber Politik und Arbeitgeber müssen Verantwortung dafür übernehmen, dass die Bedingungen besser werden.« Die auf dem Podium versammelten Manager*innen zeigten sich allesamt einsichtig, dass Veränderungen dringlich sind. Man habe die »Hilfeschreie« des Personals »in den vergangenen Jahren konsequent ignoriert und Vertrauen verspielt«, sagte Michael Kiens vom UKSH selbstkritisch. Auch auf politischer Ebene gebe es einen Vertrauensverlust, ergänzte Franz Knieps und stellte klar: »Wir haben kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Vollzugsdefizit.« Der BKK-Funktionär plädierte für weitere gemeinsame Aktivitäten von Klinikbetreibern, Versicherern und ver.di, die über die Zusammenarbeit in der »Konzertierten Aktion Pflege« hinausgehen sollten.
»Argumente allein – und seien sie noch so gut und überzeugend – bewegen die Politik nicht. Was wir bisher erreicht haben, ist dem großen Engagement in den Betrieben zu verdanken. Wir mussten in 15 Kliniken Vereinbarungen zur Entlastung durchsetzen, weil die Politik ihre Hausaufgaben nicht macht und sich die Geschäftsführungen hinter dieser Politik verstecken.«
Zum Motto der Podiumsdebatte »Fachkräfte halten – Fachkräfte gewinnen« hatte Stephanie Hollaus von der Pysma Health and Care GmbH zuvor wichtige Hinweise geliefert. In einer Studie hat sie gezeigt, dass fast die Hälfte der Pflegekräfte, die ihren Beruf in den vergangenen Jahren aufgegeben haben, zur Rückkehr bereit wären – unter Bedingungen. So müssten sich die »Strukturen und Arbeitsbedingungen« verbessern, vor allem brauche es mehr Personal und eine bessere Bezahlung. »Da sucht man mühevoll im Ausland nach Pflegekräften, dabei hat man im eigenen Land viele qualifizierte Kräfte, die unter bestimmten Voraussetzungen zurückkommen würden«, stellte die Marktforscherin fest. Ihren Berechnungen zufolge wären zwischen 120.000 und 200.000 ehemalige Pflegekräfte potenziell bereit, diese Arbeit wieder zu machen.
Mit gut 9.000 habe die Zahl der im Ausland rekrutierten Pflegekräfte 2017 weniger als ein Zehntel dieses Potenzials ausgemacht, rechnete Niko Stumpfögger, Bereichsleiter in der ver.di-Bundesverwaltung und Mitorganisator der Tagung, vor. »Bei der Gewinnung von Pflegekräften im Ausland wird ein riesiger Aufwand betrieben, dabei ist nicht einmal gesichert, wie viele von ihnen nach ein paar Jahren noch da sind. Diese Energie in die Rückgewinnung hiesiger Pflegekräfte zu stecken, wäre sehr viel wichtiger.«
»Wir haben die Hilfeschreie in den vergangenen Jahren konsequent ignoriert und Vertrauen verspielt. Doch es ist unser gemeinsames Ziel, eine gute Patientenversorgung zu guten Rahmenbedingungen zu gewährleisten.«
Der Geschäftsführer der St. Marienstift Magdeburg GmbH, Johannes Brumm, erklärte, er setze vor allem darauf, Personal durch gute Arbeitsbedingungen und Identifikation im Betrieb zu halten. Zudem müssten sich Führungsverhalten und Hierarchien im Krankenhaus ändern, die Beschäftigten beteiligt werden: »Erst kommt der Professor, dann der Oberarzt, dann die Stationsschwester und der Rest hat mit der Arbeitsgestaltung nichts zu tun – das funktioniert im Jahr 2019 nicht mehr.« Die Personalmanagerin Gunda Dittmer betonte ebenfalls, wie wichtig ein »kooperatives, fortschrittliches Führungsverständnis« sei. Das gelte auch gegenüber Auszubildenden. Die seit Jahren hohen Abbrecherquoten seien »nicht nur für das Unternehmen, sondern auch gesellschaftspolitisch und vor allem für die jungen Menschen ein Desaster«. In Itzehoe versuche die Klinikleitung, dem unter anderem durch einen verbesserten Auswahlprozess und durch Coachingangebote für Auszubildende zu begegnen.
»Der Personalmangel ist nicht das einzige Thema. Wir brauchen auch eine bessere berufsgruppenübergreifende Zusammenarbeit und ein kooperatives, fortschrittliches Führungsverständnis.«
Für viel Kritik unter den Interessenvertreter*innen sorgte die Managerin allerdings mit der Aussage, Bettenschließungen bei Personalmangel seien für sie »kein Thema«, da diese mit Erlöseinbußen einher gingen. An diesem Punkt wurden die verschiedenen Rollen trotz gemeinsamer Ziele sehr deutlich. Die stellvertretende Personalratsvorsitzende am Uniklinikum Essen, Petra Bäumler-Schlackmann, hielt dem entgegen: »Die Leistungen an das vorhandene Personal anzupassen, ist das einzige Mittel, das wirkt. Alles andere hilft letztlich nicht.« Sylvia Bühler vom ver.di-Bundesvorstand betonte: »Wenn sie dauerhaft in Überlastung arbeiten, verlieren die Kolleginnen und Kollegen noch etwas ganz anderes: ihre Gesundheit.« Die von den Manager*innen in der Debatte immer wieder propagierte Verbesserung der Arbeitsabläufe sei sinnvoll und nötig, stellte die Gewerkschafterin klar. »Aber wenn zu wenig Personal da ist, können die Abläufe noch so gut sein – dann ist die Arbeit trotzdem nicht zu schaffen.«
»Das Betriebswirtschaftliche dominiert, aber die Summe des Betriebswirtschaftlichen ergibt keine volkswirtschaftliche Rationalität. Im Finanzierungssystem werden wir immer Limitationen haben, aber wir können nicht weitermachen wie bisher, mit einem wilden, ungesteuerten Wettbewerb.«
Den Klinik-Geschäftsleitungen warf Bühler vor, den von der Politik geschaffenen ökonomischen Druck jahrelang an die Belegschaften weitergeben zu haben, statt sich gemeinsam mit ihnen zur Wehr zu setzen. Als Konsequenz daraus habe ver.di in mittlerweile 15 Kliniken Vereinbarungen für mehr Personal und Entlastung durchgesetzt – teils mit wochenlangen Streiks. Die in Berlin versammelten Betriebs- und Personalräte sowie Mitarbeitervertreter*innen forderte Bühler auf, die Proteste und betrieblichen Aktionen fortzusetzen. Wer noch nicht zu einem Arbeitskampf für Entlastung bereit sei, habe andere Handlungsmöglichkeiten: »Schon wenn die Beschäftigten auf die Einhaltung der Gesetze und Tarifverträge, auf ihre Pausen, Dienstpläne und Arbeitszeiten pochen, müssen Betten geschlossen werden.« ver.di werde nicht nachlassen, für bessere Bedingungen Druck zu machen – gegenüber der Politik, im Betrieb und über Tarifforderungen. Und das nicht nur in der Pflege, sondern in allen Berufsgruppen der Krankenhäuser.
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