Im September 2011 stellte die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung fest, dass medizinische Entscheidungen im Bereich der ambulanten Versorgung von Kapitalinteressen beeinflusst werden könnten, und bezeichnete dies als »Gefahr«. Diese Gefahr wollte der Gesetzgeber mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz eindämmen, indem Investoren, die allein Kapitalinteressen verfolgen, von der Gründung Medizinischer Versorgungszentren ausgeschlossen werden sollten (Begründung zum Gesetzentwurf, Bundestagsdrucksache 17/6906 vom 5.9.2011). Aktiengesellschaften und »sonstige Leistungserbringer« (z.B. Arzneimittelhersteller) waren nach der damaligen Gesetzesänderung theoretisch nicht mehr berechtigt, MVZ zu gründen. Mindestens zwei Schlupflöcher haben aber dazu geführt, dass sich in der Praxis nahezu nichts veränderte. Private-Equity-Gesellschaften investieren weiterhin ungebremst in Medizinische Versorgungszentren.
Bisher wurden 31 Krankenhäuser gekauft, um in Besitz einer MVZ-Trägergesellschaft zu gelangen. Davon gingen 24 Häuser an Private-Equity-Gesellschaften.
Weitere bisher bekannt gewordene Übernahmen von Krankenhäusern, um sie als MVZ-Träger zu nutzen:
Die deutlich häufiger vorkommende Methode, mit der Finanzinvestoren weiterhin MVZ übernehmen, sind die sogenannten Asset Deals. Hierbei kauft der Investor nur die Wirtschaftsgüter (engl. Assets) eines Unternehmens, z.B. Praxis- oder Laborgebäude, Patientenkartei, Geräte, Computer usw. Vom übernommenen Unternehmen (z.B. der Ärztlichen Partnerschaftsgesellschaft Dr. A & Dr. B oder der Dr. C MVZ GbR oder GmbH) bleibt eine leere gesellschaftsrechtliche Hülle.
Die vor dem Verkauf zugelassenen selbstständigen ÄrztInnen arbeiten als angestellte ÄrztInnen weiter und bleiben unverändert die zugelassenen ÄrztInnen. Über Gewinnabführungsverträge wird sichergestellt, dass die Gewinne auch beim Investor ankommen.
Der 2015 vom Finanzinvestor BC Partners an den Finanzinvestor Cinven verkaufte Laborkonzern Synlab erklärt dies ausführlich (Synlab International GmbH, Konzernabschluss 2015, Konzernanhang, Kap. 2.4 g) Konsolidierung von ärztlichen Laborgemeinschaften und strukturierte Unternehmen):
»Eine Vielzahl von Laboruntersuchungen wird von niedergelassenen Ärzten aufgrund der gebührenrechtlichen Bestimmungen in Deutschland in ärztlichen Laborgemeinschaften (›LGs‹) erbracht oder über diese abgerechnet. Die alleinigen Gesellschafter dieser Laborgemeinschaften sind dabei ausschließlich die niedergelassenen Ärzte, die sich zur gemeinschaftlichen und kostendeckenden Leistungserbringung zusammengeschlossen haben. […]
Zum Zwecke einer Zusammenarbeit wird zwischen der Synlab-Gruppe und den LGs eine vertragliche Vereinbarung geschlossen, bei welcher die Synlab-Gruppe bzw. eines ihrer medizinischen Versorgungszentren (›MVZs‹) die Laborräumlichkeiten sowie Geräte entgeltlich zur Verfügung stellt, während die Laborgemeinschaft das Personal für die Befundung beschäftigt und die Abrechnung mit den Einsendern (= Gesellschaftern der Laborgemeinschaft) übernimmt. Regelmäßig ist ein Mitarbeiter der Synlab-Gruppe auch ärztlicher Leiter und/oder Geschäftsführer der LG. Die Laborgemeinschaft dient dem MVZ dabei als Abrechnungsvehikel.
Vor dem Hintergrund, dass Laborgemeinschaften nur kostendeckend arbeiten und selbst keine Gewinne oder Verluste erwirtschaften dürfen, erhält das MVZ als Vergütung für seine Leistungen faktisch den Nettoertrag der Laborgemeinschaft. Das impliziert, dass sämtliche Erträge und ggf. Verluste aus der Tätigkeit der LGs den MVZs zugerechnet werden müssen, die somit schwankenden Renditen unterliegen. Das MVZ ist dadurch Risiken ausgesetzt, die mit der Geschäftstätigkeit der LGs verbunden sind.
Das MVZ ist exklusiver Partner für die Laborgemeinschaft, d.h. die LG darf nur mit dem kontrahierten MVZ zusammenarbeiten und die ihr in dieser Konstellation übertragenen Aufgaben erbringen. Somit wird die Geschäftstätigkeit der LG zu Gunsten des MVZ entsprechend dessen Geschäftsbedürfnissen geführt, sodass das MVZ/die Synlab-Gruppe wesentlich die Rendite aus der Geschäftstätigkeit der LGs beeinflusst.
Das MVZ stellt grundsätzlich laut Nutzungsvereinbarungen für die Laborgemeinschaft räumliche, apparative und sonstige sachliche Ressourcen zur Verfügung. Ohne MVZ kann die Laborgemeinschaft die Leistungen nicht erbringen.
Zudem wird die Geschäftsführung der Laborgemeinschaft in den meisten Fällen durch einen Mitarbeiter des MVZ gestellt. Das MVZ zieht die Mehrheit des Nutzens aus der Geschäftstätigkeit der LG. Aus Sicht der Synlab-Gruppe wird daher Beherrschung über die Laborgemeinschaften ausgeübt, auch wenn rechtlich kein Anteilsbesitz vorliegt.«
Da die MVZ-Statistiken der Kassenärztlichen und der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigungen nur die direkte Trägerschaft in den groben Kategorien »Vertragsarzt als Träger«, »Krankenhaus als Träger« und »Sonstige Träger« veröffentlichen, ist es unmöglich, einen Überblick zu bekommen, ohne jedes einzelne der etwa 2.400 MVZ unter die Lupe zu nehmen. Die Tabelle ist deshalb unvollständig und gibt nur einen groben Einblick. Außerdem handelt es sich nur um eine Momentaufnahme (Stand 2017), denn viele der Investoren stehen erst am Anfang ihrer Akquisitionsphase.
Krankenhäuser mit Schwerpunkt Unikliniken, MVZ
030/6956-1827
Peter.Sztatelman@verdi.de