Medizinische Versorgungszentren

Versorgungszentren als Profitquelle

28.08.2021

Im September 2011 stellte die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung fest, dass medizinische Entscheidungen im Bereich der ambulanten Versorgung von Kapitalinteressen beeinflusst werden könnten, und bezeichnete dies als »Gefahr«. Diese Gefahr wollte der Gesetzgeber mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz eindämmen, indem Investoren, die allein Kapitalinteressen verfolgen, von der Gründung Medizinischer Versorgungszentren ausgeschlossen werden sollten (Begründung zum Gesetzentwurf, Bundestagsdrucksache 17/6906 vom 5.9.2011). Aktiengesellschaften und »sonstige Leistungserbringer« (z.B. Arzneimittelhersteller) waren nach der damaligen Gesetzesänderung theoretisch nicht mehr berechtigt, MVZ zu gründen. Mindestens zwei Schlupflöcher haben aber dazu geführt, dass sich in der Praxis nahezu nichts veränderte. Private-Equity-Gesellschaften investieren weiterhin ungebremst in Medizinische Versorgungszentren.

»Dann kauf’ ich mir ein Krankenhaus«

Bisher wurden 31 Krankenhäuser gekauft, um in Besitz einer MVZ-Trägergesellschaft zu gelangen. Davon gingen 24 Häuser an Private-Equity-Gesellschaften.

  • Kaiserin-Auguste-Victoria-Krankenhaus Ehringshausen: Quadriga Capital (Frankfurt/M.) übernahm Ende 2015 gleichzeitig das Kaiserin-Auguste-Victoria-Krankenhaus Ehringshausen (Hessen) und die Zahnärztliche Tagesklinik Dr. Eichenseer MVZ II GmbH (München). Danach wurden der Krankenhaus-GmbH 100% der Anteile der MVZ-GmbH übertragen, sodass die Klinik inzwischen Trägergesellschaft für mindestens 11 MVZ in Hessen, Bayern und Baden-Württemberg ist.
  • Augenklinik Schweinfurt-Gerolzhofen: 2013 übernahm die im Portfolio von Palamon Capital Partners (London) befindliche Ober-Scharrer-Gruppe 10 Betten und die entsprechenden Räumlichkeiten von der Geomed-Klinik Gerolzhofen (Bayern). Die Ende 2012 zu diesem Zweck gegründete OSG Krankenhaus Träger GmbH wurde als Alleingesellschafterin der OSG Medizinische Versorgungszentren GmbH installiert. Zurzeit betreibt die Ober-Scharrer-Gruppe rund 50 augenärztliche MVZ in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen.
  • Klinik Dr. Havemann, Lüneburg: Seit 2015 gehört die inzwischen als Nordmed Klinik GmbH im Handelsregister Berlin-Charlottenburg eingetragene Klinik in Lüneburg (Nds.) zu den zahlreichen Töchtern der Medicover AB (Schweden). Medicover bezeichnet sich selbst als »leading international healthcare and diagnostic services company with main operations in Poland, Germany, Romania, Ukraine«, insgesamt etwa 15.000 Beschäftigte. Die Medicover AB befindet sich mehrheitlich in Besitz des Finanzinvestors Celox SA (Luxemburg). Am 1. Juni 2017 wurde der Medicover-Börsengang abgeschlossen, wobei Celox 54,2 Prozent der Stimmrechte behielt. Im unübersichtlichen deutschen Firmengeflecht aus Medicover GmbH, Nordmed Healthcare GmbH, Synevo GmbH und zahlreichen weiteren Gesellschaften gibt es deutliche Hinweise, dass die Klinik direkt oder indirekt Trägerin der bisher rund 20 MVZ in Deutschland sein dürfte.
  • St. Franziskus Krankenhaus Eitorf: Auctus Capital Partners (München) übernahm 2016 das insolvente St. Franziskus Krankenhaus Eitorf (NRW). Im »Transaktionsmonitor Gesundheitswesen« von PricewaterhouseCoopers (Februar 2017) steht: Diese Akquisition wurde getätigt, »um über einen Leistungserbringer zu verfügen, der Voraussetzung für den Erwerb von MVZs im ambulanten Bereich ist.«
  • SKH Stadtteilklinik Hamburg: 2014 übernahm die damals im Portfolio des Finanzinvestors Capiton AG (Berlin) befindliche ZytoService Deutschland GmbH (Eigenwerbung: »deutschlandweit führendes Unternehmen zur Herstellung von patientenindividuellen parenteralen Infusionslösungen«) die ehemalige Praxisklinik Mümmelsmannsberg von der Klinikgruppe Dr. Guth. 2015 und 2016 gründete/übernahm die SKH Stadtteilklinik Hamburg GmbH mindestens 10 MVZ-Töchter in Düsseldorf, Hamburg, Hannover, Mainz, München und Ulm. ZytoService wurde mit allen Tochtergesellschaften im Dezember 2016 vom schwedischen Finanzinvestor IK Investment Partners übernommen.

Weitere bisher bekannt gewordene Übernahmen von Krankenhäusern, um sie als MVZ-Träger zu nutzen:

  • St. Marien Krankenhaus Lampertheim (Hessen): Eurofins Scientific SE (Luxemburg, Laborkonzern), Übernahme von bisher 3 MVZ-Standorten
  • Klinik an der Weißenburg (Uhlstädt-Kirchhasel, Thüringen): Sonic Healthcare Limited (australischer Laborkonzern), mindestens 24 MVZ in Deutschland
  • Fachklinik 360° (ehemaliges Themistocles-Gluck-Hospital, Ratingen, NRW): Med 360° AG, zurzeit 42 Standorte in 24 Städten in NRW
  • Krankenhaus Plettenberg (NRW): Radprax Gesellschaft für Medizinische Versorgungszentren mbH, zurzeit 12 Standorte in 8 Städten in NRW
  • Klinik Klosterstraße (ehemalige Klinik Dr. Scholtz, Neumünster, Schleswig-Holstein): 2014 Curagita Holding AG, 2015 Einbringen der Klinik in die Deutsche Radiologienetz AG (DeRaG), Ende 2015 war Curagita mit 46,36 Prozent an der DeRaG beteiligt. Zurzeit 8 MVZ-Standorte. Siehe auch die Freigabe des Bundeskartellamtes am 24. Mai 2017 zum Verfahren B3-66/17: »Siemens Aktiengesellschaft, mittelbarer Erwerb einer kontrollierenden Beteiligung in Höhe von 30% an der Curagita Holding AG, Heidelberg«
  • Augenklinik Dardenne (Bonn-Bad Godesberg): Limbach-Laborgruppe (Heidelberg), fast 50 MVZ-Gesellschaften

»Dann mach’ ich einen Asset Deal«

Die deutlich häufiger vorkommende Methode, mit der Finanzinvestoren weiterhin MVZ übernehmen, sind die sogenannten Asset Deals. Hierbei kauft der Investor nur die Wirtschaftsgüter (engl. Assets) eines Unternehmens, z.B. Praxis- oder Laborgebäude, Patientenkartei, Geräte, Computer usw. Vom übernommenen Unternehmen (z.B. der Ärztlichen Partnerschaftsgesellschaft Dr. A & Dr. B oder der Dr. C MVZ GbR oder GmbH) bleibt eine leere gesellschaftsrechtliche Hülle.

Die vor dem Verkauf zugelassenen selbstständigen ÄrztInnen arbeiten als angestellte ÄrztInnen weiter und bleiben unverändert die zugelassenen ÄrztInnen. Über Gewinnabführungsverträge wird sichergestellt, dass die Gewinne auch beim Investor ankommen.

Der 2015 vom Finanzinvestor BC Partners an den Finanzinvestor Cinven verkaufte Laborkonzern Synlab erklärt dies ausführlich (Synlab International GmbH, Konzernabschluss 2015, Konzernanhang, Kap. 2.4 g) Konsolidierung von ärztlichen Laborgemeinschaften und strukturierte Unternehmen):

»Eine Vielzahl von Laboruntersuchungen wird von niedergelassenen Ärzten aufgrund der gebührenrechtlichen Bestimmungen in Deutschland in ärztlichen Laborgemeinschaften (›LGs‹) erbracht oder über diese abgerechnet. Die alleinigen Gesellschafter dieser Laborgemeinschaften sind dabei ausschließlich die niedergelassenen Ärzte, die sich zur gemeinschaftlichen und kostendeckenden Leistungserbringung zusammengeschlossen haben. […]

Zum Zwecke einer Zusammenarbeit wird zwischen der Synlab-Gruppe und den LGs eine vertragliche Vereinbarung geschlossen, bei welcher die Synlab-Gruppe bzw. eines ihrer medizinischen Versorgungszentren (›MVZs‹) die Laborräumlichkeiten sowie Geräte entgeltlich zur Verfügung stellt, während die Laborgemeinschaft das Personal für die Befundung beschäftigt und die Abrechnung mit den Einsendern (= Gesellschaftern der Laborgemeinschaft) übernimmt. Regelmäßig ist ein Mitarbeiter der Synlab-Gruppe auch ärztlicher Leiter und/oder Geschäftsführer der LG. Die Laborgemeinschaft dient dem MVZ dabei als Abrechnungsvehikel.

Vor dem Hintergrund, dass Laborgemeinschaften nur kostendeckend arbeiten und selbst keine Gewinne oder Verluste erwirtschaften dürfen, erhält das MVZ als Vergütung für seine Leistungen faktisch den Nettoertrag der Laborgemeinschaft. Das impliziert, dass sämtliche Erträge und ggf. Verluste aus der Tätigkeit der LGs den MVZs zugerechnet werden müssen, die somit schwankenden Renditen unterliegen. Das MVZ ist dadurch Risiken ausgesetzt, die mit der Geschäftstätigkeit der LGs verbunden sind.

Das MVZ ist exklusiver Partner für die Laborgemeinschaft, d.h. die LG darf nur mit dem kontrahierten MVZ zusammenarbeiten und die ihr in dieser Konstellation übertragenen Aufgaben erbringen. Somit wird die Geschäftstätigkeit der LG zu Gunsten des MVZ entsprechend dessen Geschäftsbedürfnissen geführt, sodass das MVZ/die Synlab-Gruppe wesentlich die Rendite aus der Geschäftstätigkeit der LGs beeinflusst.

Das MVZ stellt grundsätzlich laut Nutzungsvereinbarungen für die Laborgemeinschaft räumliche, apparative und sonstige sachliche Ressourcen zur Verfügung. Ohne MVZ kann die Laborgemeinschaft die Leistungen nicht erbringen.

Zudem wird die Geschäftsführung der Laborgemeinschaft in den meisten Fällen durch einen Mitarbeiter des MVZ gestellt. Das MVZ zieht die Mehrheit des Nutzens aus der Geschäftstätigkeit der LG. Aus Sicht der Synlab-Gruppe wird daher Beherrschung über die Laborgemeinschaften ausgeübt, auch wenn rechtlich kein Anteilsbesitz vorliegt.«

Da die MVZ-Statistiken der Kassenärztlichen und der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigungen nur die direkte Trägerschaft in den groben Kategorien »Vertragsarzt als Träger«, »Krankenhaus als Träger« und »Sonstige Träger« veröffentlichen, ist es unmöglich, einen Überblick zu bekommen, ohne jedes einzelne der etwa 2.400 MVZ unter die Lupe zu nehmen. Die Tabelle ist deshalb unvollständig und gibt nur einen groben Einblick. Außerdem handelt es sich nur um eine Momentaufnahme (Stand 2017), denn viele der Investoren stehen erst am Anfang ihrer Akquisitionsphase.

 
Übersicht: MVZ und Investoren