»Bürokratisches Monster«, »Katastrophe«, »Gefährdung der Versorgung« – die bei der diesjährigen Fachtagung Psychiatrie in Berlin versammelten Klinikmanager*innen waren sich weitgehend einig in ihrer Kritik an der Richtlinie »Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik« (PPP-RL). Auch ver.di sieht die Richtlinie kritisch – allerdings aus anderen Gründen, wie in der kontrovers geführten Debatte während der Pre Conference am Mittwoch (11. Mai 2022) deutlich wurde.
Es sei unstrittig, dass die seit Anfang 2020 geltende PPP-RL weiterentwickelt werden müsse, erklärte der Geschäftsführer des Forums für Gesundheitswirtschaft und Mitorganisator der Tagung, Peter Brückner-Bozetti, zur Eröffnung. Darüber, in welche Richtung die Veränderungen gehen sollen, gingen die Meinungen allerdings auseinander. Die zahlreich vertretenen Klinikvorstände geißelten vor allem die »Kleinteiligkeit« der Personalvorgaben, die sich auf einzelnen Stationen und Abteilungen sowie Berufsgruppen beziehen. Die Leitungen bräuchten mehr Flexibilität und Freiheit beim Personaleinsatz, so der Tenor. Sie agierten so verantwortungsvoll, dass schlechte Situationen für Patient*innen und Personal ohnehin vermieden würden, argumentierte Stefan Günther, der das Controlling bei den Medizinischen Einrichtungen des Bezirks Oberpfalz (medbo) leitet.
Die Personalratsvorsitzende des Klinikums am Weissenhof in Baden-Württemberg, Lilian Kilian, betonte hingegen, dass die Zustände in den psychiatrischen Einrichtungen alles andere als gut sind. »Kollegen berichten uns von Fällen, in denen nachts eine Pflegekraft auf einer Akut-Aufnahmestation allein mit 28 Patienten ist«, sagte die Sprecherin der ver.di-Bundesfachkommission Psychiatrische Einrichtungen. Das sei kein Einzelfall. Ihre Schlussfolgerung: »Eine gute Versorgung psychisch kranker Menschen ist in Deutschland nicht gesichert. Das muss sich ändern.« Die PPP-RL sei ein Instrument, um wenigstens eine personelle Mindestbesetzung sicherzustellen. Deren Einhaltung müsse auch kontrolliert und sanktioniert werden.
Bislang werden Verstöße gegen die Personalvorgaben laut Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) nicht sanktioniert. Geht es nach den Klinikleitungen, soll das auch so bleiben. Zumindest müssten die Vorgaben zunächst grundlegend überarbeitet werden, bevor Sanktionen greifen. Mit dem »starren Korsett« der PPP-RL würden insbesondere kleinere Einrichtungen »plattgemacht«, kritisierte Stefan Günther. Zugleich berichtete der Controller von einer Erhebung des Verbands der Krankenhausdirektoren Deutschlands (VDK), wonach die Kliniken weit davon entfernt sind, die PPP-RL vollständig zu erfüllen. Der Erfüllungsgrad der Mindestvorgaben liegt demnach in den meisten Einrichtungen zwischen 75 und 85 Prozent.
Das decke sich mit den Erkenntnissen der Gewerkschaft, berichtete Heiko Piekorz, der bei ver.di für psychiatrische Einrichtungen zuständig ist. Wie schon zuvor die Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) werde nun auch die weitgehend identische PPP-RL in der Praxis unterlaufen. Die permanente Überbelegung und Überlastung der Beschäftigten habe die Arbeit in den Kliniken unattraktiv gemacht. »Die Leute brennen aus und verlassen ihre Berufe. Sie brauchen Rahmenbedingungen, unter denen sie gute Arbeit leisten können«, erklärte der Gewerkschafter. Mindestbesetzungen könnten dabei helfen – wenn sich die Einrichtungen daran halten.
Reinhard Belling, Geschäftsführer der Vitos GmbH, sieht im Personalmangel ebenfalls die zentrale Herausforderung. »Wir reden heute über das Fachkräfteproblem, befinden uns aber noch in einer demografischen Blütephase«, betonte der Manager. Die geburtenstärksten Jahrgänge gingen erst Ende des Jahrzehnts in den Ruhestand. »Jetzt gehen die Probleme also erst richtig los.« Seine Schlussfolgerungen sind allerdings andere als bei Piekorz. Der Vitos-Manager plädierte unter anderem dafür, die vollstationäre Versorgung, die besonders personalintensiv sei, »signifikant abzubauen« und die Strukturen in Richtung einer stärker ambulanten Versorgung zu verändern. Innerhalb der Kliniken müssten zudem die Tätigkeiten neu geordnet werden. Einerseits plädierte Belling für die Absenkung der Fachkraftquote, andererseits solle die Pflege mehr Verantwortung und Aufgaben erhalten, wobei das Krankenhaus »eine ärztegeleitete Organisation« bleiben müsse. Eine solche Neuordnung der Tätigkeiten könne »moderne, attraktive Arbeitsplätze« schaffen. »Dafür reicht es nicht, mehr Menschen in eine überholte Versorgungsstruktur reinzuholen.«
Piekorz hingegen stellte klar, dass es unbedingt mehr Personal in den Einrichtungen braucht. Andernfalls müssten die Leistungen reduziert werden, um die Gesundheit der Beschäftigten zu schützen und die Versorgungsqualität zu erhalten. Zugleich fordert die Gewerkschaft die Weiterentwicklung der PPP-RL, die die veränderten und gewachsenen Aufgaben in den Psychiatrien nicht mehr adäquat abbilde. Zudem müsse das geforderte Personal von den Kassen vollständig refinanziert werden. In diesem Punkt herrschte unter den Teilnehmer*innen dann wieder Einigkeit.
veröffentlicht/aktualisiert am 12. Mai 2022
Psychiatrie, Servicebetriebe
030 6956 - 1842
Charlotte.Ciesielski@verdi.de