Die bedarfsgerechte Personalbemessung für die Pflege in Akutkrankenhäusern, PPR 2.0, ist auf den Weg gebracht. Das ist gut und ein großer Erfolg für ver.di. Ein Blick in die Psychiatrie zeigt allerdings: Ein Instrument zur Bemessung des notwendigen Personals reicht nicht, es braucht auch verbindliche Vorgaben für dessen Umsetzung. Denn die Richtlinie Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik (PPP-RL) gilt schon seit einigen Jahren. Angesichts fehlender Verbindlichkeit werden die Vorgaben jedoch flächendeckend unterlaufen, wie eine ver.di-Befragung von Psychiatriebeschäftigten erneut belegt.
Zwar beteiligten sich weniger Beschäftigte an der Umfrage als in den vergangenen Jahren, die Ergebnisse decken sich jedoch weitgehend mit den bisherigen. Demnach wird die PPP-RL durchschnittlich nur zu 75 Prozent erfüllt. Besonders in der Pflege, aber auch zum Beispiel bei Spezial- und Physiotherapeut*innen werden die Vorgaben deutlich unterschritten. »Wie viel Personal in der Psychiatrie gebraucht wird, ist seit Jahren bekannt«, betont der Sozialpädagoge Christof Liertz, der in der LVR-Klinik Bonn arbeitet und derzeit als Personalrat freigestellt ist. »Doch solange es keine Konsequenzen hat, dass Kliniken die notwendige Personalausstattung nicht einhalten, geschieht das auch nicht.«
Der stellvertretende Sprecher der ver.di-Bundesfachkommission Psychiatrische Einrichtungen macht dafür vor allem Kliniken und Krankenkassen verantwortlich, die im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) den Ton angeben. »Beide haben offensichtlich kein Interesse daran, die Vorgaben endlich wirksam werden zu lassen«, kritisiert Liertz. »Die Klinikleitungen nicht, weil sie Investitionen weiterhin durch Einsparungen beim Personal und in der Versorgung finanzieren wollen. Die Krankenkassen nicht, weil bei einem bedarfsgerechten Personaleinsatz natürlich die Kosten steigen würden.« Es sei dieser Konstellation geschuldet, dass der G-BA die volle Erfüllung der PPP-RL und Sanktionen bei Unterschreitung immer wieder verschoben hat, zuletzt im Oktober 2023.
»Wenn die Personalbemessung nicht verbindlich ist, ist sie ein reines Budgetierungsinstrument, das weder eine hochwertige Versorgung noch gute Arbeitsbedingungen sichert«, betont der Gewerkschafter. »Ich arbeite seit 25 Jahren in der Psychiatrie und ich muss sagen: So schlecht wie derzeit habe ich die Personalsituation noch nie erlebt.« Eine Folge sei zum Beispiel, dass Beschäftigte oft kurzfristig in anderen Bereichen eingesetzt werden müssen, um dort Lücken zu stopfen. »So etwas ist schon in Akutkliniken nicht so toll, in psychiatrischen Einrichtungen geht es gar nicht«, findet Liertz. »Beziehungen sind in der psychiatrischen Behandlung der größte Wirkfaktor. Doch wie sollen Beziehungen entstehen, wenn die Teams ständig wechseln und die Zeit für Gespräche fehlt?«
»Wir brauchen bedarfsgerechte und verbindliche Personalvorgaben und eine Finanzierung, die die nötigen Ausgaben vollständig abdeckt.«
Zudem seien feste Teams für die Beschäftigten extrem wichtig. »Wenn man mit zwei Examinierten eine geschlossene Station mit 20 Patientinnen und Patienten betreut, muss man sich aufeinander verlassen können«, betont der Personalrat. »Wenn dann kurzfristig einer aus einem ganz anderen Bereich kommt, funktioniert das einfach nicht.« Ihr Team und die Kollegialität sei oft das einzige, was Beschäftigte noch im Beruf halte. »Wer die Arbeitsmotivation erhalten und die Berufsflucht stoppen will, muss für bessere Bedingungen sorgen. Verbindliche Personalvorgaben mit Stationsbezug sind dafür entscheidend.«
Eine Voraussetzung ist freilich, dass psychiatrische Einrichtungen angemessen finanziert werden. Doch auch in dieser Hinsicht besteht Handlungsbedarf. Laut einer Befragung des Deutschen Krankenhausinstituts, deren Ergebnisse im Juni 2024 veröffentlicht wurden, bewerten 61 Prozent der Psychiatrien ihre wirtschaftliche Situation als schlecht oder sehr schlecht. Jede dritte Einrichtung geht davon aus, dass sie ihr Leistungsangebot in den nächsten sechs Monaten einschränken müssen.
Die Zahlen decken sich mit den Erfahrungen von Liertz und seinen Kolleg*innen in der ver.di-Bundesfachkommission. »Wir spüren die Probleme im Alltag. Die Daumenschrauben werden angedreht. Es wird gespart, wo immer es möglich ist.« Zugleich müssten die Kliniken oft viel Geld für Leiharbeiter ausgeben, weil sie nicht genug eigenes Personal haben. »Der Teufelskreis muss endlich durchbrochen werden«, fordert Liertz. »Wir brauchen bedarfsgerechte und verbindliche Personalvorgaben und eine Finanzierung, die die nötigen Ausgaben vollständig abdeckt. Dafür setzen wir uns mit ver.di weiter ein.«
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