Endloser Übergang

Erneut verlängert der Gemeinsame Bundesausschuss die »Übergangsregelungen« zur vollen Umsetzung bedarfsgerechter Personalvorgaben in der Psychiatrie.
26.03.2024

Das Spiel auf Zeit geht weiter. Erneut hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) das volle Inkrafttreten der Richtlinie »Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik« (PPP-RL) auf die lange Bank geschoben. Das Gremium, in dem Kliniken und Krankenkassen den Ton angeben, entschied vergangene Woche, dass die Personalvorgaben erst ab 2027 zu 95 Prozent und ab 2029 vollständig umgesetzt werden müssen. Zuvor hatte der G-BA die Umsetzung der seit Anfang 2020 bestehenden Richtlinie bereits mehrfach verzögert – zuletzt im Oktober 2022. Wie stets begründete er das auch dieses Mal damit, »die Einrichtungen beim teilweise noch notwendigen Personalaufbau nicht überfordern« zu wollen.

 
Die Krankenpflegerin Lilian Kilian berichtet in Friedrichshafen über die Personalnot in der Psychiatrie.

Mit derselben Begründung haben Kliniken und Krankenkassen auch die Sanktionierung von Verstößen abgeschwächt. Erst ab 2026 soll die Unterschreitung der Mindestvorgaben geahndet werden, zugleich wurde der Faktor für Strafzahlungen reduziert. »Im Grunde müssen betroffene Kliniken dann nur die Kosten zurückzahlen, die sie durch zu geringen Personaleinsatz eingespart haben«, erläutert Heiko Piekorz, der bei ver.di für psychiatrische Einrichtungen zuständig ist. »Das ist alles andere als ein starker Anreiz, den dringend benötigten Personalaufbau vorzunehmen.« In manchen Psychiatrien könne der Effekt sogar sein, dass Personal abgebaut werde. Denn bei den Sanktionen unterscheidet der G-BA nicht zwischen Einrichtungen, die insgesamt genug Beschäftigte einsetzen, nicht aber entsprechend der Vorgaben zu den einzelnen Berufsgruppen, und denjenigen, die die Vorgaben komplett ignorieren. »Das setzt einen Anreiz, in diesen Berufsgruppen zu reduzieren, obwohl es insgesamt an Personal fehlt«, kritisiert Piekorz.

Treffen könnte das zum Beispiel die Psychotherapeut*innen, von denen laut einer ver.di-Erhebung zum Teil mehr eingesetzt werden als in der PPP-RL verlangt. Zum Beispiel bei Pflegefachpersonen liegt der Umsetzungsgrad hingegen durchschnittlich bei lediglich 81 Prozent. Über alle Berufsgruppen hinweg wird die PPP-RL laut der Befragung aus dem vergangenen Jahr im Durchschnitt zu 77 Prozent eingehalten. Wie es 2024 aussieht, will ver.di mit einer weiteren Befragung feststellen.

 

»Es ist doch glasklar: Wenn Arbeitgeber die PPP-RL nicht vollständig erfüllen müssen und keine Sanktionen drohen, dann setzen sie die Vorgaben nicht um – zu Lasten von Patient*innen und Beschäftigten«, kommentiert Piekorz. Auch die Krankenschwester Lilian Kilian betont den Zusammenhang von guter Personalausstattung und guter Versorgung. »Nur wenn genug Kolleginnen und Kollegen da sind, können wir individuell auf die psychisch kranken Menschen eingehen und sie so unterstützen, wie sie es brauchen«, erklärt die Personalratsvorsitzende im Zentrum für Psychiatrie (ZfP) Weinsberg in Baden-Württemberg. 

 

Mit der neuerlichen Verschiebung belohne der G-BA vor allem private Träger, die am Personal sparen, kritisiert die Sprecherin der ver.di-Bundesfachkommission Psychiatrische Einrichtungen. Denn in kommerziellen Kliniken liegt der Erfüllungsgrad der Richtlinie laut Befragung bei nur 69 Prozent, während es in öffentlichen Einrichtungen immerhin 81 Prozent sind. »Die G-BA-Entscheidung ist ein Freibrief für private Arbeitgeber, die auf Arbeitsverdichtung setzen und das dadurch gesparte Geld an ihre Aktionäre ausschütten«, sagt Kilian. Sicherlich sei es überall ein Problem, genug Fachkräfte zu gewinnen und zu halten. »Dafür müssen Arbeitgeber gute Bedingungen bieten. Gerade die kommerziellen Träger tun das allzu oft nicht.«

Piekorz verweist auf das aktuelle Beispiel von Asklepios in Brandenburg, wo Beschäftigte am heutigen Dienstag (26. März 2024) bereits zum fünften Mal in den Warnstreik treten müssen, um ihrer Forderung nach Angleichung der Gehälter an den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) Nachdruck zu verleihen. »Solche Konzerne steigern ihre Gewinne dadurch, dass sie unterhalb des Branchenniveaus bezahlen und zu wenig Personal einsetzen«, kritisiert der Gewerkschafter. »Und vom Gemeinsamen Bundesausschuss werden sie dafür noch belohnt. Das Bundesgesundheitsministerium muss eingreifen und Schluss machen mit diesen endlosen Übergangsregelungen, die nirgendwo hinführen. Wir brauchen in der psychiatrischen Versorgung endlich bedarfsgerechte und verbindliche Personalvorgaben.«