Personalrichtlinie bleibt Papiertiger

23.09.2021

Personelle Unterbesetzung in psychiatrischen Krankenhäusern bleibt ein weiteres Jahr ohne Konsequenzen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat am 16.September 2021 beschlossen, das Inkrafttreten von Sanktionen bei Nichterfüllung der Richtlinie »Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik« (PPP-RL) um jeweils ein Jahr zu verschieben – für die Psychiatrie auf den 1. Januar 2023, für die Psychosomatik auf den 1. Januar 2024. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hatte im G-BA beantragt, die Sanktionen bis zu einer grundlegenden Überarbeitung der PPP-RL auszusetzen. Der Antrag wurde erst wenige Tage vor der Sitzung bekannt. In einem Entwurf, der im August an die Verbände zur Stellungnahme verschickt worden war, war der Vorschlag noch nicht enthalten. ver.di hatte sich im Vorfeld klar gegen eine Verschiebung ausgesprochen. Mit der Entscheidung bleibt die Unterschreitung der Personalmindeststandards auch 2022 sanktionslos. Die Richtlinie droht, zum Papiertiger zu werden.

 

In vielen Kliniken wurde in den letzten anderthalb Jahren die Umsetzung der PPP-RL nicht oder nur sehr schleppend angegangen. Die Klinikleitungen ruhen sich darauf aus, dass eine Nichterfüllung keine Konsequenzen nach sich zieht. Auch wenn die Situation Anfang 2020 durch die Corona-Pandemie unübersichtlich war, gab es seither genügend Zeit, eine entsprechend Personalbedarfsplanung vorzunehmen und mit genügend Einsatz sowie dem Angebot guter Arbeitsbedingungen das benötigte Personal aufzubauen. Die Weigerung, die PPP-RL ernsthaft umzusetzen, schadet der Qualität und erschöpft, gefährdet und demotiviert die Beschäftigten.

 

Diese zeigte sich auch im Ergebnis des ver.di-Versorgungsbarometers Psychiatrie, das 2019 und 2021 durchgeführt wurde. Seit Inkrafttreten der Richtlinie Anfang 2020 hat sich die Situation in den Psychiatrien demnach nicht entscheidend verbessert. 69 Prozent der rund 1.800 teilnehmenden Psychiatriebeschäftigten schätzen die Personalbesetzung aktuell als knapp oder viel zu gering ein (2019: 74,2 Prozent). Fast drei von vier können sich nicht vorstellen, unter den derzeitigen Bedingungen bis zur Rente weiterzuarbeiten. Nach wie vor beklagen Beschäftigte in den Psychiatrien viele Übergriffe: 43 Prozent haben in den vier Wochen vor der Befragung körperliche Übergriffe gegen sich selbst erlebt, über 75 Prozent waren in diesem Zeitraum mit Beschimpfungen konfrontiert. Die Frage, ob eine Eins-zu-eins-Betreuung zur Verhinderung von Zwangsmaßnahmen vorausschauend gewährleistet werden kann, wird deutlich positiver beantwortet, wenn die Kolleg*innen die Personalausstattung als gut einschätzen.

Die Aussetzung der Sanktionen bedeutet: Wo die Geschäftsführung nicht im Interesse der Patient*innen und Beschäftigten selbst konstruktiv an der Umsetzung der Richtlinie arbeitet, muss diese im Betrieb erstritten werden. Interessenvertretungen können sich in Seminaren von ver.di b+b zum Thema schulen lassen – auch vor Ort im Betrieb. Für sie ist es wichtig, Informationen zum Grad der Umsetzung zu erhalten und diese zu kontrollieren. Eine vernünftige Personalplanung mit Blick auf die Richtlinie ist eine notwendige Voraussetzung für die Einhaltung der Dienstpläne. Es sollte ein Kriterium der Dienstplankontrolle werden, ob eine ausreichende Besetzung zur Erfüllung der PPP-RL eingeplant ist. Das ist auch aus Gründen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes wichtig. Zudem ist die Mitbestimmung bei Einführung von Software zu beachten: Wenn die PPP-RL gut dokumentiert werden soll, ergeben sich hier voraussichtlich mitbestimmungspflichtige Tatbestände.

ver.di wird auch weiterhin die mindestens 100-prozentige Umsetzung der Richtlinie und darüber hinausgehend politische Entscheidungen für eine bedarfsgerechte Personalbemessung in den psychiatrischen Krankenhäusern mit allen ihren Versorgungsangeboten einfordern. Denn nur mit genügend Personal, das auch tatsächlich vor Ort ist, können eine gute Patientenversorgung und gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten erreicht werden.

 

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