Allianz für Personal

Trotz zum Teil unterschiedlicher Positionen suchen Akteurinnen und Akteure nach Wegen, die Arbeitsplätze in der Psychiatrie attraktiver zu machen.
16.05.2023

Wie kann die Personalnot bekämpft, wie können mehr Beschäftigte für die Arbeit in psychiatrischen Einrichtungen gewonnen und gehalten werden? Dies war – wie in jedem Jahr – auch bei der 15. Fachtagung Psychiatrie am 11. und 12. Mai 2023 eine der zentralen Fragen. Dennoch drehen sich die Akteur*innen, die alljährlich in Berlin zusammenkommen, nicht im Kreis. »Wir sind vorangekommen«, verkündete Peter Brückner-Bozetti vom Forum für Gesundheitswirtschaft, das die Tagung organisiert. Gemeint war die »Allianz für Personal«, in der Interessierte aus Kostenträgern, Klinikleitungen, Fachgesellschaften und ver.di seit November regelmäßig zusammenkommen. Den Stand ihrer Diskussionen stellten sie am Freitag bei der Fachtagung vor.

 
Fachtagung Psychiatrie 2023

In der Allianz werde »sehr konstruktiv diskutiert«, betonte Brückner-Bozetti, auch strittige Fragen würden nicht ausgespart. Dies soll auch für die am Vortag geführte Kontroverse darüber gelten, ob Verstöße gegen die Richtlinie »Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik« (PPP-RL) sanktioniert werden müssen. Die unterschiedlichen Meinungen wurden auch im Forum am Freitag ausgetauscht, zugleich wurden Gemeinsamkeiten deutlich. Letzteres zum Beispiel beim Thema Ambulantisierung: Alle Seiten halten es für sinnvoll, stationäre Einweisungen durch eine bessere ambulante Versorgung zu reduzieren.

Göran Lehmann von der Techniker Krankenkasse machte nicht nur klar, wie weit man von diesem Ziel noch entfernt ist, sondern auch, dass die derzeitigen Steuerungsformen diesem auch noch entgegenwirken. »Wir bezahlen falsch«, sagte der Fachreferent. Statt auf die Verbesserung der ambulanten Versorgung sei die Finanzierung auf die Zahl stationärer Betten ausgerichtet. Und bei den niedergelassenen Psychotherapeut*innen gebe es zum einen Anreize, möglichst keine schweren Fälle zu behandeln. Zum anderen passe die Verteilung der von den Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) verteilten Sitze nicht zum Bedarf. »Die KV macht ihren Job nicht«, kritisierte Lehmann. Er forderte, die erfolgreichen Modellprojekte zu verallgemeinern, bei denen sich Kliniken stärker in der ambulanten Versorgung engagieren und den stationären und ambulanten Bereich besser miteinander verzahnen. Dadurch könnten hochgerechnet 13.000 Klinikbetten überflüssig werden.

Meinolf Noeker vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) stimmte dieser Analyse weitgehend zu. Ursache der im internationalen Vergleich hohen Zahl an Psychiatrie-Betten sei vor allem die unzureichende ambulante Versorgung. »Insgesamt gibt es in der Psychiatrie keine Überkapazitäten, es gibt aber eine Fehlallokation von Ressourcen«, sagte der LWL-Dezernent und plädierte dafür, Ressourcen innerhalb der Krankenhäuser von stationären auf ambulante Angebote »klug umzuschichten«. Der stellvertretende Pflegedirektor der LWL-Klinik Gütersloh, Michael Schulz, schlug in dieselbe Kerbe: »Die psychiatrische Pflege ist ins Krankenhaus genagelt und kommt dort nicht raus, obwohl alle wissen, dass das falsch ist.«

 
Fachtagung Psychiatrie 2023

Teamarbeit und Partizipation

Die entscheidende Zukunftsfrage ist für ihn: »Wie können wir Arbeitsbedingungen schaffen, damit Menschen in Zukunft noch bei uns arbeiten wollen?« Teil dessen seien »partizipative Hierarchien« und eine Kooperation der Professionen auf Augenhöhe. Auch der Personalratsvorsitzende des Pfalzklinikums, Bernhard Dobbe, betonte die große Bedeutung von Teamarbeit und Beteiligung in Entscheidungsprozessen. Er verwies darauf, dass die Befragten in der Studie »Ich pflege wieder wenn…« eine Rückkehr in den Pflegeberuf nicht nur von einer angemessenen Bezahlung und genug Personal abhängig machen, sondern auch von guter Führungskultur und Kollegialität. »Es bestehen noch viele Möglichkeiten, den Erosionsprozess zu stoppen«, meinte der Gewerkschafter. Man müsse nicht nach Malaysia fliegen, um dort Pflegekräfte anzuwerben, sondern die Bedingungen vor Ort verbessern.

Der kaufmännische Direktor der LWL-Klinik Langenfeld, Stefan Thewes, beklagte hingegen »den leergefegten Markt«. Vor diesem Hintergrund sei die PPP-RL, die »einen starken Anstieg des Personalbedarfs« bedeute, nicht immer zu erfüllen, zumal deren Finanzierung durch die Krankenkassen bislang nicht gesichert sei.

 

Personalbemessung muss sich am Bedarf orientieren

Der Umgang mit der PPP-RL bleibt also umstritten. In anderen Fragen ziehen die Beteiligten der Allianz für Personal hingegen an einem Strang. So sind sich die Akteur*innen laut Thewes grundsätzlich einig darin, dass mehr in Ausbildung und Qualifizierung investiert werden und das System der psychiatrischen Versorgung grundlegend umgestaltet werden muss. Gemeinsame Forderung sei auch, dass die Länder ihrer Verantwortung bei der Investitionsfinanzierung endlich voll nachkommen müssten. Und: »Wer mehr Personal will, muss auch mehr Personal bezahlen.«

Um etwas zu bewegen, sei gemeinsames Handeln von Manager*innen, Beschäftigtenvertretungen, Kosten- und Leistungsträgern nötig, betonte Brückner-Bozetti zum Abschluss der Debatte. Die Personalbemessung müsse sich am Bedarf der Patientinnen und Patienten orientieren. Ob aber eine leitliniengerechte Behandlung mit den Vorgaben der PPP-RL möglich ist, die sich auf die veraltete Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) stützt, sei empirisch nicht untersucht. Die Fachgesellschaften haben deshalb das sogenannte Plattformmodell entwickelt, das sich am tatsächlichen Patientenbedarf orientiert. Die derzeit laufende Evaluation zeige bereits positive Ergebnisse. Der so ermittelte »strategisch erforderliche Personalbedarf« müsse Ausgangspunkt gemeinsamer Aktivitäten der Allianz werden. Diese will den Zwischenstand ihrer Diskussionen im Herbst veröffentlichen und darüber in den Verbänden und mit politischen Entscheidungsträger*innen ins Gespräch kommen.

 

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