Ich erinnere mich noch gut an den 1. April 1975, meinen ersten Arbeitstag auf der „unruhigen Aufnahmestation für Frauen“ in einer psychiatrischen Großklinik. Zur Einweisung erhielt ich einen unförmigen weißen Kittel, der mir viel zu groß war, und – gegen Unterschrift – zwei überdimensionale und mir Ehrfurcht einflößende Schlüssel an einem breiten Lederband. Gleich nach Beginn meiner Schicht schickte mich die Stationsschwester in den „Wachsaal“ der weitläufigen Station. Der Arbeitsauftrag lautete: Aufpassen und für Ruhe sorgen!
Mein erster Eindruck: schwere Eisenbetten dicht an dicht, lediglich getrennt durch weitgehend leere Nachtschränke aus Metall. Im hinteren Bereich des Raumes mehrere Isolierzellen zur Einzel- oder Doppelbelegung, mit schweren dunklen Holztüren, separater Schließanlage, am Steinfußboden fixierten Betten und herabhängenden Fixiergurten. Im angrenzenden und sehr spärlich mit einigen Tischen, Bänken und Stühlen möblierten Tagesraum herrschte eine kaum vorstellbare Unruhe. Eine für mich im ersten Augenblick unüberschaubare Anzahl dort untergebrachter Patientinnen jeglichen Alters schrien, schimpften, sangen, tanzten und weinten durcheinander, oder saßen mit versteinerter Mimik hin- und herschaukelnd in Fixierung auf schweren Holzstühlen.
Ein rastloses, lärmendes Wirrwarr und Durcheinander in den verschiedenen Räumen, das mir große Angst machte. Durch die schmalen, vergitterten Fenster drang nur unzureichend frische Luft in die Räume des alten Gebäudes. Der Geruch war entsprechend und kaum erträglich. Ich sehnte das Dienstende herbei und war überzeugt, dort gehe ich kein zweites Mal hin. Am Morgen des darauffolgenden Tages kurz nach 6 Uhr schloss ich mit einem der beiden riesigen Schüssel erneut die Stationstür auf.
Petra Bode
Eine unvergessliche Geburtstagsfeier
1971 absolvierte ich ein Praktikum in einem Jugendamt in Nordrhein-Westfalen. Meine Praxisanleiterin nahm mich zu einem Gespräch mit einem jungen Klienten mit, der in der Jugendpsychiatrie behandelt wurde. Es war mein erster Besuch in einem Psychiatrischen Krankenhaus:
Das Pflegepersonal bot uns als Gesprächsort das „Besucherzimmer“ an – machte uns aber darauf aufmerksam, dass dort eine Mutter mit ihrem erkrankten Sohn Geburtstag feiern würde. Wir wurden über lange Flure geführt, oftmals wurden schwere Eisengittertüren mit großen Schlüsseln auf- und zugeschlossen.
Das Besucherzimmer erwies sich als neonröhrenbeleuchteter Raum, hatte vergitterte Fenster, vier Holztische mit Stühlen und keinerlei Raumschmuck. Während unseres Klienten-Gespräches musste ich immer wieder zum „Geburtstagstisch“ blicken: Mutter und Sohn saßen sich gegenüber, tranken Limonade und rauchten beide unaufhörlich. Als wir nach 30 Minuten das Besucherzimmer verließen, war am Nachbartisch immer noch kein Wort gefallen.
Auf der Rückfahrt gingen mir viele Gedanken durch den Kopf: Hier sollen Menschen wieder gesund werden? Kann man es aushalten, an diesem Ort zu arbeiten? Zu dieser Zeit wusste ich noch nicht, dass ich über drei Jahrzehnte in der Psychiatrie arbeiten würde. Die „Geburtstagsfeier“ habe ich bis heute nicht vergessen!
Andreas Wörner, Dipl.-Sozialarbeiter Rhein-Mosel Fachklinik Andernach und Vorsitzender GPR Landeskrankenhaus (AÖR)