Psychotherapeut/innen

"Reform ist überfällig"

11.01.2017

Die Psychotherapie-Ausbildung soll neu gestaltet werden. ver.di fordert unter anderem klare Regeln und angemessene Bezahlung in der praktischen Tätigkeit. Ein Gespräch mit Klaus Thomsen, Sprecher der ver.di-Bundesfachkommission Psychologische Psychotherapeut/innen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut/innen (PP/KJP).

Das Bundesgesundheitsministerium hat Ende Oktober 2016 Eckpunkte für eine Novellierung der Ausbildung zum/zur Psychologischen Psychotherapeuten/-therapeutin vorgelegt. Kommt das überraschend?

Nein, im Gegenteil, das war überfällig. Über die Reform des Psychotherapeutengesetzes wird seit weit mehr als zehn Jahren öffentlich nachgedacht. ver.di hat 2006 das erste Mal Anforderungen an eine Reform der Psychotherapieausbildung publiziert. Erstmals hat das Bundesgesundheitsministerium mit den nun vorliegenden Eckpunkten seine politischen Vorstellungen konkretisiert. Eigentlich war die Reform für diese Legislatur vorgesehen, daher hatten wir mit einem Referentenentwurf und nicht nur mit Eckpunkten gerechnet. Leider wird es mit dem neuen Gesetz in dieser Wahlperiode wohl jetzt nichts mehr.

 
Klaus Thomsen, Sprecher der ver.di-Bundesfachkommission Psychologische Psychotherapeut/innen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut/innen (PP/KJP)

Warum ist die Reform nötig?

Unter anderem müssen die Zugangsberechtigungen zum Studium, die Finanzierung der Ausbildung – insbesondere der praktischen Tätigkeit – sowie die Struktur des Psychotherapiestudiums geklärt werden. Vor allem muss es endlich klare Regeln zur Vergütung und zum Status der Psychotherapeut/innen in Ausbildung (PiA) während der praktischen Tätigkeit geben. Die PiA haben das mit Protestaktionen immer wieder eingefordert. ver.di hat sich daran stets beteiligt.

Psychotherapeuten und -therapeutinnen sollen ihren Beruf künftig in einer Direktausbildung erlernen. Was bedeutet das?

Bislang folgt auf ein Studium der Psychologie eine mehrjährige Ausbildung in Psychotherapie. Direktausbildung heißt, dass es stattdessen nun ein konzentriertes Psychotherapiestudium von Anfang an geben soll. Dieses soll sich nach den Vorstellungen des Ministeriums an die Struktur anderer Heilberufe, insbesondere des Medizinstudiums annähern. ver.di tritt dafür ein, dass sich eine Weiterbildung zum Fachpsychotherapeuten an das Studium anschließt, die wie bei Ärztinnen und Ärzten tariflich angemessen vergütet wird. Bislang haben Psychotherapeut/innen in Ausbildung nämlich keinen Vergütungsanspruch, bei der praktischen Tätigkeit handelt es sich um eine rechtlich ungeregelte Grauzone. Das ist unhaltbar. Dies sind Akademiker/innen, die über viele Jahre unbezahlt oder unterbezahlt in den Kliniken arbeiten, obwohl sie in den Behandlungsablauf zumeist ebenso verantwortlich eingebunden sind wie Assistenzärztinnen und -ärzte.

Das neue Studium soll praktische Tätigkeiten im Umfang von mindestens 2.300 Stunden beinhalten. Wie beurteilst du diesen Plan?

Das hat auch viele Fachleute erstaunt. Damit soll der praktische Anteil des zehnsemestrigen Studiums fast so groß werden wie der theoretische. Eigentlich ist das in diesem Fall eine gute Herangehensweise. Aber: Das Studium sollte weiterhin ein wissenschaftliches sein, denn Psychotherapie braucht viel begleitende Forschung. Und die praktische Ausbildung muss leistbar sein. Womöglich drohen hier Engpässe, die wir im Blick behalten müssen. Es muss zudem genug Geld eingeplant werden und die Studierbarkeit muss gewährleistet sein.

Wie kann in den praktischen Teilen eine gute Ausbildungsqualität gesichert werden?

Das ist für ver.di ein ganz wichtiger Punkt. Die Psychotherapieabteilungen der Universitäten brauchen viel Fachpersonal, also approbierte, klinisch erfahrene Psychotherapeut/innen für den Erwachsenen- sowie den Kinder- und Jugendbereich, die Lehre, Anleitung wie auch Supervision gewährleisten können. Das muss – anders als im jetzigen Psychologiestudium – in dem Psychotherapiestudium eher engmaschig laufen. Das heißt: sehr kleine Seminare oder auch Eins-zu-Eins-Betreuung (Mentoring). Die begleitete psychotherapeutische Arbeit mit Patient/innen, wie sie nach dem Eckpunktepapier schon in ersten Zügen für das Masterstudium geplant wird, bedarf eines besonderen Vertrauensschutzes. Die »richtige« Patientenbehandlung erfolgt dann in der Weiterbildung. In beiden Fällen müssen Schutzrechte und Standards  geregelt und gewährleistet werden.

Wird es auch künftig möglichst breite Zugangswege zur Ausbildung geben?

Wir hoffen das. Patient/innen haben verständlicherweise hohe Erwartungen daran, dass Psychotherapeut/innen eine gewisse Lebenserfahrung mitbringen. Die ver.di-Fachkommission hat daher schon immer gefordert, dass gegenüber Quereinsteiger/innen aus anderen, akademisch verwandten Studiengängen nicht zu hohe Hürden aufgebaut werden. Da der Beruf sehr beliebt ist, wird es wohl weiterhin einen hohen Numerus Clausus geben. Das allein garantiert aber noch keine Eignung für den Beruf. Wir brauchen daher eine durchlässige Psychotherapieausbildung.

Wer soll die Ausbildung künftig finanzieren?

Der Staat steht in der Pflicht. Psychotherapeut/innen werden für das gemeinschaftliche Gesundheitswesen ausgebildet. Das darf – anders als derzeit – keine Privatangelegenheit der angehenden Psychotherapeut/innen sein. Heute müssen sie nach dem Studium die Ausbildungskosten von 30.000 Euro und mehr allein tragen. Und sie arbeiten in der praktischen Ausbildungsphase nicht selten jahrelang ohne Vertrag und Gehalt. Dieser Skandal gehört schleunigst beendet.

Die Kosten der neuen Ausbildung sollen teilweise durch eine Umschichtung von Mitteln aus dem Psychologiestudium gedeckt werden. Was hältst du davon?

Psychologie darf nicht zum Orchideenfach werden. Psychologinnen und Psychologen werden in vielen Bereichen unserer Gesellschaft gebraucht. Und die heutigen Lehrstuhlinhaber/innen, auch in der klinischen Psychologie, können nicht einfach »umgepolt« werden. Ein wirtschaftliches Ausspielen von Psychotherapie gegen andere Fächer wäre unseriös. Die in den Eckpunkten errechneten Kosten erscheinen uns allerdings nicht schlüssig. Das Ministerium muss eine transparente und realistische Kostenrechnung vorlegen.

Die Eckpunkte aus dem Gesundheitsministeriums umfassen nur die Ausbildung. Die Frage der Weiterbildung wird nur kurz erwähnt. Ein Problem?

Klar. Wir wüssten schon jetzt gern, wie es nach Master und Staatsexamen weitergeht. Auch dafür muss in Kliniken, Praxen und Beratungsstellen genug Fachpersonal als Ausbilder/innen und Supervisor/innen zur Verfügung stehen. Zudem müssen die Psychotherapeut/innen in der Weiterbildung für ihre Arbeit anständig bezahlt werden.

Wie sollte die Weiterbildung grundsätzlich gestaltet sein?

Um den theoretischen Weiterbildungsteil machen wir uns weniger Sorgen. Wir brauchen aber hochqualifizierte Mentorinnen und Mentoren, die den Psychotherapeut/innen in der Weiterbildung die praktische Behandlung von komplex erkrankten Menschen beibringen. Es braucht engmaschige Anleitung und Supervision. Niemand möchte mit seinem Leiden zum Experimentierfall werden. Die Weiterbildung muss zudem in einem gesicherten arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Status erfolgen – also im Angestelltenverhältnis. Und: Die Weiterbildung muss der Berufsqualifikation entsprechend bezahlt werden. Grundsätzlich muss Zeit für Weiterbildung als Arbeitszeit gelten.

Wie will sich die ver.di-Fachkommission in die weiteren Diskussionen einbringen?

Das Thema hatte für uns schon immer einen hohen Stellenwert – siehe unsere vielen Veröffentlichungen. Unserer Einschätzung nach zielt die derzeitige Ausbildung zu sehr auf eine spätere Tätigkeit in der niedergelassenen Praxis. Fast die Hälfte der Psychotherapeutinnen und -therapeuten arbeitet jedoch als Angestellte im Team mit Kolleg/innen aus anderen Gesundheitsberufen – ihr Anteil dürfte in Zukunft noch steigen. Ein Problem ist, dass es für die hochqualifizierten Psychotherapeut/innen im Gesundheitswesen zu wenige Aufstiegsmöglichkeiten gibt.

Zudem muss die Aus- und Weiterbildung von Psychotherapeut/innen den gesellschaftlichen Notwendigkeiten stärker gerecht werden. Stichwort ist die zunehmende Arbeitsunfähigkeit aufgrund psychischer Erkrankungen. Die Belastungen im Arbeitsleben wachsen. Psychotherapeut/innen müssen das erkennen und bei ihrer Arbeit berücksichtigen. Denn Psychotherapie dient nicht der Anpassung, sondern der Stärkung der Erkrankten, damit sie Selbstverantwortung wiedergewinnen und Kompetenzen erlangen, um an der Veränderung krankmachender Bedingungen zu arbeiten.

Broschüre der Fachkommission PP/KJP zur Reform der Psychotherapieausbildung (Stand März 2015)