Im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) gibt es einiges zu diskutieren. Am Donnerstag (25. August 2022) wird sich das Selbstverwaltungsgremium von Kliniken und Krankenkassen mit der Richtlinie »Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik« (PPP-RL) befassen. Wie groß der Diskussions- und vor allem der Handlungsbedarf sind, zeigt eine ver.di-Erhebung aus dem Frühjahr. Demnach werden die Vorgaben der PPP-RL durchschnittlich zu weniger als 78 Prozent erfüllt. »Das ist ein Alarmsignal«, sagt Heiko Piekorz, der bei ver.di für psychiatrische Einrichtungen zuständig ist. »Die Psychiatrien arbeiten flächendeckend mit zu wenig Personal – auf Kosten der Beschäftigten und zulasten der Versorgungsqualität. Das muss sich dringend ändern.«
Eigentlich sind die Einrichtungen verpflichtet, die Vorgaben der PPP-RL in diesem Jahr zu mindestens 90 Prozent zu erfüllen. Doch das wird laut ver.di-Erhebung nur in einer einzigen Berufsgruppe erreicht – bei den Psychotherapeut*innen. Alle anderen liegen darunter. So liegt der Erfüllungsgrad der PPP-RL bei Pflegefachpersonen unter 81 Prozent. Bei Ärzt*innen sind es gut 76, bei Physiotherapeut*innen sogar weniger als 55 Prozent. Verschärfend wirkt die Größe der Stationen: Diese sind nicht, wie in der PPP-RL empfohlen, mit durchschnittlich 18, sondern mit 22 Patientinnen und Patienten belegt. »Das zeigt: Empfehlungen reichen nicht, wir brauchen verbindliche Vorgaben, auch bei der Stationsgröße«, so Piekorz.
Er verweist zudem darauf, dass die Personalausstattung in kommerziellen Kliniken zumeist deutlich schlechter ist als in staatlichen: Während die PPP-RL in öffentlichen Einrichtungen immerhin zu gut 82 Prozent erfüllt wird, sind es bei privaten Trägern weniger als 75 Prozent. »Ganz offensichtlich setzen kommerzielle Kliniken in der Regel weniger Personal ein, um ihre Kosten zu drücken und so höhere Gewinne zu erzielen«, meint Piekorz. »Die Privatisierung schadet also der Versorgungsqualität.« Über die Situation in kirchlichen Einrichtungen lasse sich aufgrund der zu geringen Fallzahl in diesem Bereich keine Aussage treffen.
Die in 91 psychiatrischen Stationen mit insgesamt 1.809 Betten durchgeführte Erhebung deckt auf, dass die Besetzung der Nachtdienste besonders prekär ist. So ist nur in fünf Prozent der Stationen der Einsatz von mindestens zwei Pflegekräften sichergestellt. Bei fast der Hälfte ist es offenbar Standard, dass im Nachtdienst nur eine Fachkraft eingesetzt wird. »Das bedeutet eine massive Gefährdung von Beschäftigten Patient*innen«, kritisiert Piekorz. »Es braucht klare Vorgaben, die Alleinarbeit in der Psychiatrie verhindern.«
Doch auch die bestehende Personalbemessung wird systematisch unterlaufen, wie die Befragung dokumentiert. Eine zentrale Ursache hierfür dürfte sein, dass die Kliniken keinerlei Nachteile zu befürchten haben, wenn sie die PPP-RL ignorieren. Denn der G-BA hat im September 2021 beschlossen, das Inkrafttreten von Sanktionen zu verschieben – für die Psychiatrie auf den 1. Januar 2023, für die Psychosomatik auf den 1. Januar 2024. »Die Sanktionen müssen nun endlich wirksam werden. Eine Richtlinie, die nur auf dem Papier steht, hilft niemandem«, betont Piekorz.
Zudem fordert er, die noch aus den 1980ern stammenden Regelaufgaben und Minutenwerte der PPP-RL an den heutigen Behandlungsstandard anzupassen. Allein der administrative Aufwand habe sich seither massiv erhöht, was in der PPP-RL nicht abgebildet sei. »Wird das einbezogen, ist die tatsächliche Personalausstattung noch deutlich schlechter als die Befragung zeigt. Es liegt daher auf der Hand: Für eine gute psychiatrische Versorgung brauchen wir dringend verbindliche und bedarfsgerechte Personalvorgaben.«
veröffentlicht/aktualisiert am 23. August 2022