Wicker zieht alle Register

Beschäftigte des Reha-Betreibers fordern Tarifvertrag. Geschäftsführung will stattdessen mit den Betriebsräten über Lohn verhandeln. Diese lehnen ab.
23.02.2024

An der Wicker-Wirbelsäulenklinik in Bad Homburg ist gerade eine langjährige Kollegin verabschiedet worden. Die Physiotherapeutin wechselte in ein kommunales Krankenhaus, wo sie monatlich hunderte Euro mehr verdient als bei dem privaten Reha-Betreiber. Auch ihr Mann, ein Ergotherapeut, der ebenfalls für Wicker arbeitete, ging in eine andere Einrichtung, in der besser bezahlt wird. »So geht es nicht weiter«, findet die Physiotherapeutin Camilla Florschütz, die sich im Betriebsrat der Bad Homburger Reha-Klinik und in der ver.di-Tarifkommission engagiert. »Wir brauchen dringend einen Tarifvertrag, der eine angemessene Bezahlung sicherstellt. Sonst verlieren wir immer mehr Beschäftigte und sind nicht attraktiv für neue.«

Man möchte meinen, dass dies auch im Sinne des Arbeitgebers ist. Denn keine Klinik lässt sich ohne Personal betreiben. Dennoch verweigert das Wicker-Management beharrlich, mit ver.di in Tarifverhandlungen einzusteigen. Das hat bei dem familiengeführten Unternehmen schon eine ungute Tradition. Bereits 2012 hatte sich die Belegschaft auf den Weg gemacht, ihre Arbeitsbedingungen per Tarifvertrag zu regeln. Doch der Arbeitgeber stellte auf stur. Immerhin erreichten die Beschäftigten, dass über mehrere Jahre die prozentualen Lohnsteigerungen aus dem Ärztetarifvertrag des Marburger Bundes auf das nicht-ärztliche Personal übertragen wurden.

 
Auf der Straße für faire Bezahlung.

2019 beendete Wicker diese Praxis. Stattdessen drängte das Unternehmen die Betriebsräte zu einer Lohnvereinbarung. Das Mittel der Wahl: Erpressung. Eine Inflationsausgleichsprämie von 1.000 Euro würde nur ausgezahlt, wenn die Betriebsräte einer neuen Entgelttabelle zustimmten, mit der die sehr unterschiedlichen Lohnstrukturen in den Häusern einander angeglichen werden sollten. Für einige wenige Berufsgruppen war das eine Verbesserung, andere mussten mittelfristig auf Zulagen verzichten, die nach und nach abgeschmolzen wurden. »Diese Erfahrung hat gezeigt, dass wir als Betriebsräte in Lohnverhandlungen keinerlei Durchsetzungsmacht haben«, erklärt Camilla Florschütz. »Nicht ohne Grund hat der Gesetzgeber vorgesehen, dass die Gewerkschaften die Bezahlung in Tarifverhandlungen regeln. Wir brauchen ver.di, um unsere Arbeitsbedingungen zu verbessern.«

Als Schlussfolgerung daraus traten viele ver.di bei und wählten eine Tarifkommission. Jetzt machen sie Druck. »Bei einer Buttonaktion haben drei von vier Kolleg*innen die Tarifforderungen öffentlich unterstützt – das war extrem gut«, berichtet der ver.di-Sekretär Florian Dallmann. »Die Mitgliedszahlen bei Wicker gehen steil nach oben.« Am 23. Januar traten insgesamt rund 500 Beschäftigte an den Wicker-Standorten in Hessen und Nordrhein-Westfalen in den Warnstreik und demonstrierten am Firmensitz in Bad Wildungen. Bei einem zweitägigen Warnstreik Mitte Februar war die Beteiligung ähnlich gut.

 
Wicker-Beschäftigte demonstrieren für den Tarifvertrag.

Am Anfang sei die Mobilisierung zäh gewesen, berichtet die Logopädin Ursula Groß aus dem Wicker-Stammhaus im nordhessischen Bad Wildungen. Manche hätten Angst, anderen sei der Gewerkschaftsbeitrag zu hoch. »Das ist zu kurz gedacht«, findet das ver.di-Tarifkommissionsmitglied. »Nur wenn wir uns zusammentun, können wir eine gute Bezahlung erreichen.« Dass die aktuelle Entlohnung alles andere als angemessen ist, hat die Logopädin auf einer Internetplattform für Jobbewertungen herausgefunden: »Da lag ich mit meinem Gehalt 800 Euro monatlich unter dem Durchschnitt. Um das zu ändern, lohnt sich der ver.di-Beitrag allemal.« Ohne ver.di werde das Wicker-Management den Beschäftigten sicher keine annehmbaren Angebote machen. Mittlerweile beteiligten sich immer mehr Kolleg*innen an den Warnstreiks, von denen sie das zunächst nicht erwartet habe, berichtet Ursula Groß. »Wir bleiben dran und machen tolle Aktionen – steter Tropfen höhlt den Stein.«

Das ist auch nötig, denn bislang pocht die Geschäftsleitung darauf, nicht mit ver.di, sondern mit den Betriebsräten über »klinikindividuelle Vergütungssysteme« zu verhandeln. Zum Verhandlungsführer hat die Wicker-Spitze ausgerechnet Lutz Hammerschlag bestimmt, der einst für die Ärzteorganisation Marburger Bund Tarifverhandlungen führte und nun eine arbeitgebernahe Beratungsfirma führt. Die Antwort der Betriebsräte ist eindeutig: Fast alle Gremien haben Beschlüsse gefasst, nicht über Löhne zu verhandeln. Sie erwarten, dass die Geschäftsführung um Anna-Carina Jungermann und Christopher Leeser ver.di ein verhandlungsfähiges Angebot vorlegt. Andernfalls wird die Gewerkschaft die Streiks ausweiten.

 

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