Interview

»Noch lange nicht am Ziel«

13.06.2022

Die neue Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag angekündigt, die Ausbildung zum/zur Rettungssanitäter*in bundesweit einheitlich regeln zu wollen. Zwei Expert*innen aus der Bundesfachkommission Rettungsdienst positionieren sich dazu.

 

Die neue Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag überraschend angekündigt, die Ausbildung zum/zur Rettungssanitäter*in bundesweit einheitlich regeln zu wollen. Was haltet ihr davon? Und wie sieht die Situation bei euch aus?

 
Berit Ameskamp Notfallsanitäterin aus Bayern

Marco: Prinzipiell finde ich sehr gut, dass die Bundesregierung sich mit der Ausbildung im Rettungsdienst beschäftigt. Aber klar steht fest, dass wir uns bei ver.di grundsätzlich gegen Ausbildungen von unter drei Jahren positionieren. Bei Rettungssanitäter*innen sieht die Lage aktuell nicht gut aus. Sie sind überhaupt nicht richtig ausgebildet, sondern haben lediglich eine Zusatzqualifikation. Je nach Bundesland sind die Bedingungen sehr unterschiedlich, in der Regel dauern die Lehrgänge nur ein paar Wochen. Ich arbeite als Notfallsanitäter durchaus mit guten Rettungssanitäter*innen zusammen, die genau wissen, worauf es ankommt. Allerdings haben sie ihr Wissen aufgrund ihrer Erfahrung, nicht aufgrund ihrer Qualifikation.

Berit: Ich bin bei uns in München selber an der Ausbildung von Rettungssanitäter*innen beteiligt und weiß aus Erfahrung: Sie lernen von allem ein bisschen. Ihr Theorielehrgang dauert gerade mal vier Wochen, das ist definitiv zu kurz. Das meiste ist learning-by-doing. Rettungssanitäter*innen arbeiten zurzeit in sehr unterschiedlichen Bereichen: Sie sind in Bundesfreiwilligendiensten ebenso wie haupt- und ehrenamtlich im Rettungsdienst zu finden, und sie arbeiten im Katastrophenschutz mit. Deshalb gibt es unterschiedliche Interessen an einer Regelung der Ausbildung. Zudem sind für den Katastrophenschutz die Länder verantwortlich. Daher wird es spannend, wie die Ausbildung überhaupt auf Bundesebene geregelt werden kann.

 
Marco Kerbs Notfallsanitäter aus Brandenburg

Was braucht es für eine gute Versorgung  im Rettungsdienst?

Berit: Idealerweise sind zwei Notfallsanitäter*innen, also mit dreijähriger Ausbildung, zusammen unterwegs. An glücklichen Tagen kommt so etwas manchmal vor. Dabei erlebe ich, dass wir gerade in schwierigen Situationen besonders gut arbeiten können. So eine Doppelbesetzung finde ich ideal. An zweiter Stelle folgt der Einsatz zusammen mit einem/einer gut ausgebildeten und erfahrenen Rettungssanitäter*in. Sie sollten Notfallsanitäter*innen zusätzlich unterstützen können – und sie nicht ersetzen. In Bayern wurde bis vor kurzem lediglich ein Führerschein benötigt, um einen Rettungswagen fahren zu dürfen. Das hat sich zum Glück geändert. Aber am Ziel sind wir noch lange nicht.

Worauf legt ihr besonders Wert bei der Ausbildung?

Marco: Die Durchlässigkeit ist ein wesentlicher Punkt. Absolute Voraussetzung ist, dass eine Weiterqualifizierung zum/zur Notfallsanitäter*in möglich ist. Am besten berufsbegleitend, damit die Kolleg*innen in der Zeit nicht zu große Gehaltseinbußen in Kauf nehmen müssen. Bis jetzt müssen Rettungssanitäter*innen dafür noch mal komplett bei Null anfangen. Aber kaum jemand kann sich leisten, noch einmal drei Jahre mit einem Ausbildungsgehalt über die Runden zu kommen. So hätten wir gut ausgebildete Kolleg*innen mit viel Erfahrung.

Welche Gefahren gilt es bei dem Vorhaben zu vermeiden?

Berit: Es besteht das Risiko, dass der politische Wille größer werden könnte, stärker auf die Ausbildung von Rettungssanitäter*innen zu setzen – auf Kosten der Notfallsanitäter*innen und der Qualität. Schließlich ist ihre Ausbildung viel kürzer und kostet weniger Geld. Das darf nicht passieren! Darunter leidet die Patientenversorgung.

Warum muss es auch darum gehen, den Beruf der Notfallsanitäter*innen zu stärken?

Marco: Das ist sehr wichtig. Ohne geht es nicht. Nach drei Jahren Ausbildung haben Notfallsanitäter*innen ein tiefes Hintergrundwissen und die Verbindung zur Praxis. Sie tragen die Verantwortung für die medizinische Notfallversorgung. Wir haben bei unserem Rettungsdienst in diesem Jahr acht Ausbildungsplätze ausgeschrieben – und 187 Bewerbungen. Das zeigt, wie beliebt der Beruf ist. Doch im Arbeitsalltag ist die Belastung viel zu hoch. Es kommen ständig neue Aufgaben hinzu, die Erwartungen wachsen. Zudem sind die Arbeitszeiten einfach nicht mehr zeitgemäß.

Berit: Gute Notfallsanitäter*innen sind das A und O im Rettungsdienst. Das größte Problem ist, dass viele den Beruf aufgrund der starken Belastung und der geringen Weiterbildungsmöglichkeiten schnell wieder verlassen. Im Schnitt bleiben Notfallsanitäter*innen nur sieben Jahre dabei. Die Arbeitszeiten lassen sich schwer mit Familie und Privatleben vereinbaren. 48 Stunden pro Woche gehen zulasten des persönlichen Lebens und der Gesundheit. Deshalb muss die Arbeitszeit dringend auf ein normales Maß angepasst werden. Wir müssen dafür sorgen, dass wir gutes Personal nicht schnell wieder verlieren. Dafür braucht es sozial- und gesundheitsverträgliche Arbeitsbedingungen und hochwertige Weiterbildungen. Auch die Ausbildung darf gerne verbessert werden, insbesondere was Praxisanleitung betrifft. Hier besteht bei dem Notfallsanitätergesetz noch Luft nach oben!

 

veröffentlicht/aktualisiert am 13. Juni 2022

 

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