»Irgendwann gab es einen Schub«

    Nach jahrelangem Frust kämpfen die Beschäftigten der Servicegesellschaft am Städtischen Krankenhaus Kiel für die Angleichung an den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst.
    13.09.2021
    Beschäftigte der Servicegesellschaft des Städtischen Krankenhauses Kiel am 9. September 2021 im Warnstreik
    © Rolf Olsowski
    Beschäftigte der Servicegesellschaft des Städtischen Krankenhauses Kiel am 9. September 2021 im Warnstreik

    Jahrelang herrschte unter den Beschäftigten der Servicegesellschaft des Städtischen Krankenhauses Kiel vor allem eins: Frust. »Die Löhne sind extrem niedrig, es fehlt an Personal, wir arbeiten am Limit. Es war schon lange klar, dass im Service etwas passieren muss – aber wie?«, blickt die Reinigungskraft Simone Hofmann zurück. Ende 2019 fand sich schließlich eine kleine Gruppe von Beschäftigten zusammen, die die Zustände nicht länger hinnehmen wollte. »Mich hat eine Kollegin angesprochen und als ich dann beim Treffen war, war ich sofort Feuer und Flamme«, sagt Simone Hofmann. Sie trat ver.di bei und begann gemeinsam mit ihren Mitstreiter*innen, die Kolleginnen und Kollegen anzusprechen. »Das war ein schwerer Weg und es hat lange gedauert, wir haben viel Freizeit geopfert, aber irgendwann gab es einen Schub und die Leute haben Mut gefasst«, berichtet die 54-Jährige, die seit 2009 in der Servicegesellschaft angestellt ist. »Inzwischen ist etwa die Hälfte gewerkschaftlich organisiert und wir haben schon zwei kraftvolle Warnstreiks auf die Beine gestellt.«

    Zum ersten Mal legten die Kieler Servicekräfte im Mai für einen Tag die Arbeit nieder. Da sich nichts bewegte, folgte am 9. und 10. September 2021 ein zweitägiger Warnstreik, an dem sich gut 50 Kolleg*innen beteiligten. »Das fühlt sich sehr gut an«, sagt Simone Hofmann. »Sich gegen den Arbeitgeber zu stellen, hat zwar auch Überwindung gekostet. Aber es ist richtig und gerecht, das treibt uns an.« Eine neue Erfahrung sind die Streiks nicht nur für die Beschäftigten, sondern auch für die Leitung der Service-GmbH, in der es seit der Ausgliederung 2006 noch nie einen Arbeitskampf gab. Das erste Arbeitgeberangebot empfinden Simone Hofmann und ihre Kolleg*innen aber eher als Provokation. Mit diesem würde der Stundenlohn einer Reinigungskraft ab 2022 um gerade mal 22 Cent steigen. Und in den nächsten Jahren würde auch nur weitere solcher Mini-Erhöhungen geben.

     

    »22 Cent brutto pro Stunde mehr – das ist eine Verhöhnung der Mitarbeiter und nicht verhandelbar«

    Simone Hofmann, Beschäftigte der Servicegesellschaft des Städtischen Krankenhauses Kiel

    »22 Cent brutto pro Stunde mehr – das ist eine Verhöhnung der Mitarbeiter und nicht verhandelbar«, sagt Simone Hofmann. »Unser Ziel ist klar: die Angleichung an den öffentlichen Dienst.« Derzeit erhalten die Beschäftigten der Servicegesellschaft monatlich bis zu 800 Euro weniger als nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). Auch die Jahressonderzahlung, verschiedene Zuschläge und der Urlaubsanspruch sind deutlich geringer. Simone Hofmann ist in der höchsten Entgeltstufe und kommt in Vollzeit auf gerade mal 1.800 Euro brutto. »Nach Hause gehe ich mit 1.300 Euro. Jeder kann sich ausrechnen, was das bedeutet. Urlaube mache ich schon lange nicht mehr, und die Altersarmut ist mir sicher – wenn sich nicht schnellstens etwas tut.« So wie ihr gehe es auch den anderen Kolleginnen und Kollegen. Etliche hätten Zweit- und Drittjobs oder müssten staatliche Unterstützung beantragen. »Und das für eine harte und sehr verantwortungsvolle Arbeit im Krankenhaus. Ob in der Küche, im Bistro, im Krankentransport, in der Sterilisation, beim Hol- und Bringedienst, in der Zentralversorgung, im Wirtschaftslager oder eben in der Reinigung – ohne uns geht es nicht«, betont die Reinigungskraft. »Das muss endlich anerkannt werden.«

    Der ver.di-Verhandlungführer Christian Godau verweist auf die Verantwortung der Stadt Kiel: »Die politisch Verantwortlichen dürfen nicht länger zulassen, dass in der hundertprozentigen Tochtergesellschaft des Städtischen Krankenhauses Niedriglöhne gezahlt werden«, fordert er. Schließlich habe die Ratsversammlung bereits im Mai 2020 beschlossen, dass ein Konzept entwickelt werden soll, mit dem die Servicegesellschaft ins Krankenhaus eingegliedert und eine Bezahlung nach TVöD erfolgen kann. Passiert sei seitdem jedoch nichts.

     
    Servicekräfte in Kiel fordern Bezahlung nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst.
    © Rolf Olsowski
    Servicekräfte in Kiel fordern Bezahlung nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst.

    Beim Warnstreik im Mai hatten über 800 Beschäftigte die Ratsfraktionen in einem Offenen Brief aufgefordert, für eine angemessene Bezahlung in der Service-GmbH zu sorgen. 600 Unterschriften kamen dabei von Beschäftigten der Muttergesellschaft, die sich mit ihren Kolleg*innen im Dienstleistungsbereich solidarisch erklärten. Sollte der Arbeitgeber auch bei der nächsten Verhandlungsrunde am 13. September 2021 kein verhandelbares Angebot machen, wollen die Beschäftigten den Druck auch in Richtung Politik verstärken.

    Ein Vorbild ist dabei die Belegschaft der Klinikum Nürnberg Service-Gesellschaft (KNSG), die mit Streiks und vielen öffentlichkeitswirksamen Aktionen erreichte, dass die Stadt Nürnberg die Finanzierung des TVöD ab 2024 zusagte. Inzwischen ist dort ein entsprechender Tarifvertrag unterschrieben. Zum Warnstreik im September schickten die Kolleg*innen aus Franken per Video eine Solidaritätsbotschaft an die Ostsee, ebenso wie die streikenden Beschäftigten der Vivantes-Tochtergesellschaften in Berlin. »Das hat uns nochmal einen Motivationsschub gegeben«, berichtet die Reinigungskraft Simone Hofmann. »Die Kollegen haben gezeigt, dass wir in den ausgegliederten Servicegesellschaften etwas erreichen können. Das wollen wir jetzt auch schaffen.«

     

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