Harter Kampf um Angleichung

Servicekräfte der Göttinger Uniklinik streiken für Lohnerhöhung und perspektivisch die Übernahme des Länder-Tarifvertrags. Arbeitgeber reagiert mit Einschüchterungsversuchen.
01.03.2023


Die Geschäftsführung der UMG Klinikservice GmbH (KSG) Göttingen zieht alle Register: Sie verweigert ihren streikbereiten Beschäftigten eine Notdienstvereinbarung zu den üblichen Konditionen, verschickt sogenannte Dienstverpflichtungen und droht damit, den kampfstärksten Bereich, die Reinigung im Zentral-OP (ZOP), an eine externe Firma zu vergeben. Doch die Kolleginnen und Kollegen lassen sich nicht einschüchtern. Sie organisieren einseitig Notdienste, nehmen trotz »Dienstverpflichtung« ihr Streikrecht wahr und lassen sich auch von der angekündigten Fremdvergabe nicht ins Bockshorn jagen. Bei einer Streikversammlung am Montag (27. Februar 2023) diskutierten gut 150 Kolleg*innen, wie sie ihren Arbeitgeber in dieser sehr harten Auseinandersetzung zum Einlenken bewegen können.

 
Streikversammlung der Servicebeschäftigten an der Uniklinik Göttingen am 27. Februar 2023

Kurz vor dem mittlerweile 14. Streiktag kündigte die KSG-Geschäftsführung an, die ZOP-Reinigung bis Ende des Jahres an ein externes Unternehmen zu vergeben. »Aus meiner Sicht ist das ganz klar ein Versuch, die Menschen einzuschüchtern«, sagt Jens Andreas Schmidt, der als Rettungssanitäter im Zentral-OP arbeitet und sich in der ver.di-Tarifkommission engagiert. »Das ist ein sehr sensibler Bereich, bei dem es in der Reinigung auf hohe Qualität ankommt. Sie war schon mal fremdvergeben und wurde wieder zurückgeholt – sicher nicht ohne Grund.«

Unbesetzte Stellen, hohe Arbeitsbelastung

Ingo Butter vom Personalrat der Universitätsmedizin Göttingen betont ebenfalls, dass gerade in den OP-Sälen eine qualifizierte Reinigung nötig ist. »Mit externem Personal hat es schon zweimal nicht funktioniert, das wird man schnell wieder feststellen«, ist er überzeugt. Der Streik habe in der Klinik große und sichtbare Auswirkungen, berichtet der Personalrat und Gewerkschafter. Auch die Beschäftigten der Servicegesellschaft hätten in der Corona-Pandemie viel geleistet. »Das muss honoriert werden, wir unterstützen euch.«

 

Durch eine Fremdvergabe der ZOP-Reinigung könne die KSG gar keinen Spareffekt erzielen, gibt Jens Andreas Schmidt zu bedenken. Selbst wenn die Löhne noch weiter abgesenkt werden könnten – was angesichts der Arbeitsmarktlage nicht gesagt ist – würden die Kosten auf der anderen Seite dadurch steigen, dass bei Beauftragung einer Fremdfirma Mehrwertsteuer fällig wird und das externe Unternehmen auch noch Gewinn machen will. Der KSG-Betriebsratsvorsitzende Daniel Wölfer fügt hinzu, dass die Beschäftigten in der ZOP-Reinigung selbst bei Fremdvergabe nicht einfach entlassen werden könnten. Schließlich gebe es im Unternehmen fast 50 unbesetzte Stellen. Das Management könne betriebsbedingte Kündigungen daher rechtlich nicht begründen. Die Probleme, Stellen neu zu besetzen, führt der Pflegehelfer auch auf die schlechte Bezahlung zurück, die um monatlich mehrere hundert Euro unter dem Niveau des Flächentarifvertrags TV-L liegt. »Unbesetzte Stellen erhöhen wiederum die Arbeitsbelastung – ein weiterer Grund, warum neue Beschäftigte oft schnell wieder weg sind.«

 
Streikversammlung der Servicebeschäftigten an der Uniklinik Göttingen am 27. Februar 2023

Eine, die geblieben ist, ist die Reinigungskraft Stephanie Mitbauer. Mindestens ein Drittel der Kolleginnen habe schnell wieder hingeworfen, berichtet die 30-Jährige. Auch sie ist enttäuscht und wütend über die hohe Arbeitsbelastung. »In der Corona-Zeit war es richtig schlimm. Trotz Schutzkleidung wurde das Pensum nicht verringert, das war unglaublich anstrengend«, berichtet Stephanie Mitbauer, die auf einer Corona-Intensivstation reinigt. Dennoch will sie ihre Stelle nicht aufgeben. Stattdessen kämpft sie mit ver.di für bessere Bedingungen. Dazu haben sich auch viele andere entschieden. Im Zuge der Auseinandersetzung sind 127 Beschäftigte der Gewerkschaft beigetreten, und mit jeder Aktion kommen neue hinzu. 375 Kolleg*innen – die Mehrheit der vom Tarifkonflikt Betroffenen – hat sich per Unterschrift hinter die Tarifforderungen von ver.di gestellt.

»Ich habe keine Angst mehr«

Eine von ihnen ist Christina Vicente. Früher habe sie sich für solche Themen nicht interessiert, sagt die Hauswirtschaftlerin. »Es ist das erste Mal, dass ich mich für meine Interessen einsetze und laut meine Meinung sage – das fühlt sich gut an.« Wie die meisten arbeitet die 56-Jährige in Teilzeit und geht mit 1.000 Euro netto nach Hause. Über die Runden kommt sie nur mit einem weiteren Minijob. »Ohne den könnte ich mir nie irgendwas für mich leisten.« Das Unternehmen hat in den Verhandlungen bislang nur Lohnerhöhungen angeboten, die die Preissteigerungen bei Weitem nicht ausgleichen. ver.di fordert, dass die Entgelte an den Länder-Tarifvertrag angeglichen, zumindest aber um 20 Prozent erhöht werden.

Die KSG-Beschäftigten, von denen die meisten unter der offiziellen Niedriglohnschwelle von 2.344 Euro brutto bei Vollzeit liegen, haben die geforderte Erhöhung dringend nötig. Das gilt auch für die ZOP-Reinigerin Daniela Gerke, die berichtet: »Gerade erst habe ich eine Mieterhöhung bekommen. Das bedeutet, dass ich mein gesamtes Gehalt von knapp 1.000 Euro für Wohnen ausgeben muss.« Deshalb will sie weiter für eine bessere Bezahlung kämpfen, auch wenn sie wegen der angedrohten Fremdvergabe zunächst Bedenken hatte. »Ich hatte schon Zweifel, ob ich weiter streiken soll, aber dann habe ich mich nach vielen Gesprächen dafür entschieden«, erklärt Daniela Gerke. Und so hat es auch die überwältigende Mehrheit ihrer Kolleginnen in der ZOP-Reinigung gemacht, die fast komplett zur Streikversammlung erschienen sind. »Wir haben es angefangen, da hören wir jetzt nicht auf«, sagt die Reinigerin. Und ihre Kollegin betont: »Ich habe keine Angst mehr. Wenn sie mich kündigen, dann kündigen sie mich halt.«

 

veröffentlicht am 1. März 2023

 

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