Die Arbeitsbelastung in der Sozialarbeit ist hoch. Das war auch schon vor der Corona-Pandemie so. Als eine Ursache für die hohe Arbeitsintensität gelten neue Steuerungsmodelle in der Arbeitsorganisation. Die Verantwortung für das Erreichen der geforderten Leistungen wird dabei an die Beschäftigten delegiert. Die Mitarbeitenden werden also immer stärker nach den von ihnen erzielten Erfolgen bewertet, während Einsatz und Zeitaufwand für eine Aufgabe in den Hintergrund treten. Gleichzeitig aber werden den Beschäftigten bei solchen Steuerungsmodellen nicht die nötigen Gestaltungsspielräume eingeräumt. Im Berufsfeld der Sozialarbeiter*innen und Sozialpädagog*innen sind die neuen Formen der Leistungssteuerung deutlich stärker verbreitet als in anderen Bereichen des Dienstleistungssektors.
Eine ver.di- Studie von 2019 belegte bereits, dass die Arbeitsverdichtung steigt, je mehr unterschiedliche Steuerungsformen in einem Betrieb angewandt werden. Besonders belastend für die Beschäftigten sind dabei indirekte Steuerungsformen. So gaben 74 Prozent der befragten Sozialarbeiter*innen und Sozialpädagog*innen an, dass ihre Leistung über Ziele oder Ergebnisse gesteuert wird. Im Dienstleistungssektor insgesamt trifft dies nur für 58 Prozent der Befragten zu. Und auch die Arbeitsmenge wird in der Sozialarbeit wesentlich stärker durch äußere Faktoren, wie z.B. die Bedürfnisse der Adressat*innen, geprägt, als im restlichen Dienstleistungssektor (78 Prozent bzw. 61 Prozent). In der Sozialarbeit ist darüber auch die Leistungsteuerung durch gemeinsame Absprachen im Team weit verbreitet (71 vs. 53 Prozent) (vgl. Abb. 54).
In einer aktuellen Stellungnahme bezieht sich der der Europäische Gewerkschaftsverband für den Öffentlichen Dienst (EGÖD/EPSU) auf eine Umfrage, die von „Recognize“ unter Sozialarbeiter*innen[1 in verschiedenen Bereichen durchgeführt wurde, darunter Krankenhäuser, Schulen und Gemeindezentren. Die Umfrage ergab, dass ein beträchtlicher Anteil der Sozialarbeiterinnen unter Burnout-Symptomen leidet, welche ihre psychische Gesundheit beeinträchtigen und ihre Arbeitsleistung beeinflussen. Die Befragten gaben zudem an, sich oft isoliert und nicht ausreichend unterstützt zu fühlen. Es wurden nur begrenzte Möglichkeiten zur Zusammenarbeit, Überwachung und Nachbesprechung angegeben.
Über die Auswirkungen einer solchen Arbeitsorganisation sagt der Sozialpädagoge Philipp Heinze, er fühle sich »immer hin und her gerissen zwischen den Bedürfnissen der Klient*innen, den Anforderungen der Organisation und dem eigenen Wohlbefinden. Man hat ständig das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen, weil man nicht alles gleichzeitig schafft. Besonders die Dokumentation – die in ein sehr komplexes IT-Programm eingegeben werden muss – kostet viel Zeit, die anderswo fehlt. Man muss alles selbst managen.«
Die Arbeitsmenge wird in der Sozialarbeit auch durch die hohe Anzahl an Adressat*innen bestimmt, welche die einzelnen Beschäftigten betreuen. 34 Prozent der Befragten geben an, es komme sehr häufig oder oft vor, dass sie die Arbeitsmenge nicht in der vorgegebenen Zeit schaffen können (vgl. Abb. 55). Ein Grund hierfür liegt in der Personalplanung. So müssen 47 Prozent sehr häufig oder oft wegen fehlendem Personal eine höhere Arbeitsmenge schaffen oder länger arbeiten (vgl. Abb. 56).
Diesen Arbeitsdruck beschreibt der Betriebsrat Thomas Maier für die Jugendhilfe: »Statt zwei bis drei Jahre betreut man eine Familie oft nur noch ein Jahr. Für eine empathische und ganzheitliche Unterstützung fehlt einfach die Zeit. Das bringt die Beschäftigten in ein Dilemma: Sie können die Familien nur noch ‚managen‘, statt sie dabei zu unterstützen, selbstbestimmt zu leben. Oder sie gehen über ihre eigenen Grenzen und werden auf Dauer krank.«
Die Ergebnisse der ver.di-Studie belegen, dass zu hohe Leistungsanforderungen und eine zu hohe Arbeitsintensität bei den Beschäftigten zu unbezahlter Mehrarbeit sowie zum Verzicht auf Pausen und Urlaubstage führen können. Und diese Selbstgefährdung wiederum hat negative Auswirkungen auf die physische wie psychische Gesundheit der Beschäftigten. Sie können häufiger auch in ihrer arbeitsfreien Zeit nicht richtig abschalten, sich nicht richtig erholen und fühlen sich nach der Arbeit eher leer und ausgebrannt. Gemäß der aktuellen Recognize-Umfrage fühlten sich landesweit 60,8 Prozent der Befragten häufig oder sogar sehr häufig an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Das Burnout-Risiko der Beschäftigten ist dabei in allen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit hoch.
Können Beschäftigte jedoch Einfluss auf ihre Arbeitsmenge nehmen, wird dies als positiv wahrgenommen. Dieses Mitgestalten kann ein Baustein sein, um den enormen Belastungen entgegen zu wirken. Doch auch wenn die befragten Sozialarbeiter*innen und Sozialpädagog*innen in diesem Bereich etwas besser dastehen als ihre Kolleg*innen im Dienstleistungssektor insgesamt: 43 Prozent von ihnen haben gar keinen oder lediglich einen geringen Einfluss auf die Arbeitsmenge (vgl. Abb. 57;verdi/input).
Über ihre Arbeitssituation sagt die Sozialpädagogin Karin Bartolain: »Der Leistungsdruck in der ambulanten Behindertenhilfe hat sich deutlich erhöht. Es wird jetzt eine bestimmte Zahl an Fachleistungsstunden vorgegeben, die man bei den Klient*innen zu sein hat. Dazu gibt es jeweils 15 Minuten für Kommunikation, Dokumentation und so weiter – aber das haut überhaupt nicht hin. Manche arbeiten unbezahlt länger, um den Menschen dennoch gerecht werden zu können. Auch, weil sie sich sonst für die Überstunden rechtfertigen müssen. Für mich ist die größte Belastung, dass man alleingelassen wird.«
Die Ergebnisse sowohl der ver.di- Studie als auch der aktuellen Recognize-Umfrage zeigen einmal mehr: Die Beschäftigten in der Sozialen Arbeit brauchen Entlastung durch unmittelbare Belastungsausgleiche, wirksamem Gesundheitsschutz und vor allem mehr Personal. Für all das setzt ver.di sich ein – in Tarifverhandlungen, auf betrieblicher Ebene und gegenüber dem Gesetzgeber.