Druck raus drehen!

Kita-Alltag entlasten: Tipps und Infos
14.08.2024
Druck raus drehen!

Entlastungsschrauben

Niemand leugnet mehr den Fachkräftemangel in der frühkindlichen Bildung. Beschäftigte gehen in Teilzeit, zu Zeitarbeitsfirmen oder verlassen ganz den Beruf. Immens hohe Krankheitsquoten belasten die verbliebenen Kolleg*innen. Die sichtbarste Auswirkung ist, wenn dann gar kein Personal mehr da ist.

Es knirscht fast überall – und manchmal dreht sich gar nichts mehr. Gruppen oder gar ganze Einrichtungen machen dann dicht.

Doch so weit muss es nicht kommen. Denn es gibt Möglichkeiten einzugreifen und das Personal zu entlasten.

Der Personalmangel ist eine Belastung für die gesamte Branche – für die Kinder, die Eltern und die Beschäftigten.

Dies ist eine Sammlung von Möglichkeiten für mehr Entlastung in der frühkindlichen Bildung. Viele unterschiedliche Schrauben können zur Entlastung gedreht werden.

Unser Ziel sind bessere Arbeitsbedingungen – zum Wohl der Kinder, der Eltern, der Beschäftigten und letztendlich der Gesellschaft.

Wir danken den Mitgliedern der Fachkommission Kita Hamburg, dass wir ihre Broschüre mit kleinen Änderungen so übernehmen durften, um sie allen Interessierten bundesweit zur Verfügung zu stellen.

 

  • Was hat die Reduktion von Dokumentation mit Entlastung zu tun?

    Entwicklungsbögen sind ein wichtiges Instrument um die Entwicklung von Kindern zu dokumentieren. Durch die Beobachtung von Kindern können Stärken und Schwächen erkannt werden. Mögliche psychische und physische Gefahren werden so dokumentiert. Dies ist absolut notwendig.

    Fast jeder Träger verwendet eigene Materialien, um Entwicklungswege zu dokumentieren. Häufig verwenden sogar Kitas von einem Träger unterschiedliche  Dokumentationsbögen.

    Einen liebevoll gestalteten Portfolio-Ordner betrachten viele Kinder und Eltern noch Jahre später sehr gerne.

    Eine gute Dokumentation und das Erstellen von Portfolios sind sehr zeitintensiv. In vielen Kitas fehlen zurzeit aber pädagogische Fachkräfte. DasDokumentieren wird somit während des Kita-Alltags schwer durchführbar, da hierdurch den Kindern „die Zeit gestohlen wird“.

    In den 16 Bundesländern gibt es für die Fachkräfte meist nur einen tariflichen Anspruch von 30 Stunden (pro Jahr! – und das auch nur in den nach TVöD tarifierten Betrieben) für Dokumentation, Elternarbeit, Vorbereitung und Portfolioarbeit. Klare, bundesweit einheitliche Regeln hierfür fehlen komplett.

    Die fehlende Vor- und Nachbereitungszeit für Dokumentation, Elternarbeit und Portfolioarbeit kompensieren viele Fachkräfte damit, dass sie Arbeit mit nach Hause nehmen und in ihrer Freizeit daran weiter arbeiten.

    Durch die Mitnahme von personenbezogen Daten und Fotomaterial machen sich die Kolleg*innen unter Umständen sogar strafbar (Datenschutz/DSGVO).

    Ein Ausweg aus diesem Dilemma könnte die Reduktion von Dokumentation sein. Zumindest, bis für jede pädagogische Fachkraft ausreichend voll refinanzierte Vor- und Nachbereitungszeit vorhanden ist.

    Standardisierte Formulare könnten helfen, die Qualität der Beobachtungen sicherzustellen.

    Im Falle eines Kitawechsels könnten diese mit zur neuen Kita mitgegeben werden.

    Wir fordern eine klare -am besten gesetzliche- Regelung der Vorbereitungszeit. Die Anforderungen müssen sich den Umständen (Personalmangel) anpassen!

     

  • Was haben Gefährdungsanzeigen oder Notstandsanzeigen mit Entlastung zu tun?

    Wer kennt es nicht?!? Der typische Kita-Morgen: Ein*e Kolleg*in hat Urlaub und zwei sind krank. Alles Geplante für den Tag wird über den Haufen geworfen und nun steht man da… allein mit 22-24 Elementarkindern oder 12-13 Krippenkindern.

    Ob eine Pause gemacht werden kann steht in den Sternen. Aber egal – wir sind ja Profis... wir schaffen das schon!

    Nein! STOP! So einfach ist das nicht. Denn wusstest du: Dies ist der Moment, deinem Arbeitgeber, deinen Vorgesetzten und ggf. deiner Interessensvertretung anzuzeigen, dass eine Gefährdung besteht. Denn eine Fachkraft auf so viele Kinder geht einfach nicht!

    Nicht nur, dass du ein hohes Stresslevel hast, welches sich negativ auf deine Gesundheit auswirken kann. NEIN! Wenn etwas passiert, bist du unter Umständen haftbar. Denn du bist verpflichtet, auf die Missstände aufmerksam zu machen.

    Außerdem zeigt jede Anzeige, dass im System etwas nicht stimmt – es werden dadurch die Situationen, bzw. Notstände bewiesen und dokumentiert.

    Hier findest du mehr Materialien.

     

  • Was hat Supervision mit Entlastung zu tun?

    Eigentlich sollte sie Standard in unserem Arbeitsalltag sein, denn sie ist ein wichtiges Werkzeug zur Konzept- und Teamentwicklung, sie hilft bei Konflikten und ist unabdingbar bei Fallbesprechungen. Die Supervision!

    Keine Kita sollte ohne sie sein. Jedoch kann sie nicht stattfinden, ohne dass Gelder zweckentfremdet werden oder der Träger bzw. die Einrichtung draufzahlt.

    Denn Supervision ist in den Vergütungssystemen für Kita-Leistungen, ob Gutscheinsysteme, Pauschalen oder Spitzabrechnungen, nicht einberechnet. Klingt komisch? Ist aber so! Und das an einem Ort, an dem Bildung und Entwicklung auf höchstem Niveau stattfinden sollen und wo täglich hinter jeder Ecke Herausforderungen lauern.

    Wir sagen: Die Einführung regelmäßiger Supervisionen ist längst überfällig und muss Standard in jeder Kita sein.

     

  • Was haben Kita-Schließzeiten mit Entlastung zu tun?

    Es gibt kaum ein Thema, dass so emotional diskutiert wird, wie die Länge und die Lage der Schließzeiten in Kitas. Hierbei stehen häufig subjektive Perspektiven im Vordergrund. Diese haben auf jeden Fall ihre Berechtigung. Auch aus pädagogischer Sicht finden sich Argumente für und gegen eine Schließzeit.

    Betrachtet man die personelle Besetzung in den Kitas über ein Jahr, führt eine Schließzeit von z.B. 3 Wochen im Sommer zu Entlastung aller: Nimmt jede*r Beschäftigte die 6 Wochen Urlaub nacheinander wird deutlich, dass nie im Jahr so viele Kolleg*innen anwesend sind, wie der Personalschlüssel vorsieht. Je nach Größe der Kita können eigentlich gleichzeitig nicht mehrere Kolleg*innen Urlaub nehmen, ohne Personalknappheit zu verursachen.

    Bei 3 Wochen Schließzeit halbiert sich diese Zeit schon. Weitere Vorteile sind, dass während der Schließzeit niemand für seine Kolleg*innen mitarbeiten muss.

    Jede*r kann ohne schlechtes Gewissen einmal im Jahr mehrere Wochen am Stück Urlaub nehmen – das ist in vielen Kitas im laufenden Betrieb kaum möglich.

    Es ist erwiesen, dass ein wahrer Erholungswert erst nach mehreren Wochen Urlaub eintritt.

     

  • Was hat die Höhe des Kita-Vergütung mit Entlastung zu tun?

    Für jedes Kind erhält die Kita einen bestimmten Betrag für die Refinanzierung von Erzieher*innen-Wochenstunden. Dabei sind die Fachkräfteschlüssel der jeweiligen Bundesländer von entscheidender Bedeutung. Als Rechenbeispiel hier eine Gruppe mit 20 Elementarkindern: Angenommen, alle 20 Kinder haben jeweils einen 5-Stunden-Gutschein oder eine entsprechende Vergütung.

    Das ergibt z.B. nach den Hamburger Personalvorgaben:

    • 28 Erzieher*innen-Wochenstunden für eine Erstkraft
    • 12 Erzieher*innen-Wochenstunden für eine Zweitkraft

    Angenommen, alle 20 Kinder haben haben nach den gleichen beispielhaften Vorgaben jeweils einen 6-Stunden-Gutschein. Das ergibt:

    • 34 Erzieher*innen-Wochenstunden für eine Erstkraft
    • 24 Erzieher*innen-Wochenstunden für eine Zweitkraft

    An diesem Rechenbeispiel wird deutlich, dass eine Belegung der Gruppen mit „5-Stunden-Gutschein-Kindern“ dazu führt, dass die Gruppen größer sein müssen, damit die Fachkräfte refinanziert werden können.

    Eine Vergütung für mindestens 6 Stunden für jedes Kind würde zu einer geringeren Belegungszahl in den Gruppen führen und damit zu einer Entlastung aller Kolleg*innen. Die Fachkräfteschlüssel und die damit verbundenen Vergütungssätze sind also von entscheidender Bedeutung.

     

  • Was hat die Anleitung von Auszubildenden mit Entlastung zu tun?

    Jede*r von uns wünscht sich, dass die Person die den Tag mit dem eigenen Kind in der Kita verbringt gut ausgebildet ist. Nun gut, es gibt ja die Fachschulen für angehende Fachkräfte, doch wenn es um den echten Umgang mit Schutzbefohlenen geht, hilft kein Buch und auch kein Manuskript, da muss ein echter Mensch ran.

    Doch wann soll sich ein*e Auszubildende*r im laufenden Betrieb an seine*n oder ihre*n Anleiter*in wenden? In der Theorie wird verlangt, dass sich die Anleiter*in eine Stunde pro Woche Zeit nehmen soll um ein Anleiter*innen-Gespräch zu führen. In der Praxis ist das meist schwer bis unmöglich.

    Besonders, wenn mal wieder Urlaubs- und Krankheitszeiten zusammenfallen, liegt der Fokus auf den Kindern, da kommt eine gute Anleitung erst später dran.

    Erschwerend kommt dazu, dass Auszubildende üblicherweise nur 1 – 2 Tage in der Woche in der Einrichtung sind – und dann oft nur während der vollsten Zeit. Das ist aber nicht der Anspruch, den die Anleiter *innen an ihre Aufgabe haben.

    Die fehlende Zeit setzt viele unter Druck. Das ist eine weitere Belastung, die die Kolleg*innen zusätzlich zu ihren Aufgaben zu tragen haben.

    Warum reagierte ein Kind auf diese oder jene Situation, wie kann ich als Berufsneuling gewisse Klippen umschiffen, was muss ich über die praxisnahe Anwendung von pädagogischen Konzepten wissen? Warum lief mein Angebot so aus dem Ruder und wie setze ich mich bei den Kindern angemessen durch? All diese Fragen stellen sich Tag für Tag und Woche für Woche. Oft bleiben die Auszubildenden mit diesen Fragen alleine und die Anleiter*innen wissen darum.

    Ein Ergebnis der SuE-Tarifrunde 2022 von ver.di war die finanzielle Würdigung der Anleiter*innen. Das reicht uns jedoch nicht aus.

    Nur mit einer Refinanzierung und mehr Zeit für die Ausbilder*innen wird gewährleistet, dass es auch weiterhin Menschen gibt, die sich dazu bereit erklären, neues Personal auszubilden, ohne dabei das Gefühl zu haben verheizt zu werden.

    Wir fordern weiterhin die Refinanzierung und die Zeit, die für die Ausbildung von zukünftigen Kolleg*innen aufgewendet werden muss.

     

  • Was hat die "pädagogische Fläche" mit Entlastung zu tun?

    In der Vergangenheit waren weniger Menschen in den Gruppenräumen. Doch mit veränderten Rechtsansprüchen hat sich auch die Nachfrage deutlich erhöht. Inzwischen werden in der Krippe z.B. in Hamburg 15 Kinder (früher 12) betreut. Im Elementarbereich stieg die Anzahl von 22 auf 25 Kinder. Geändert hat sich, zumindest in der Krippe, die Anzahl der betreuenden Erwachsenen.

    Wir haben nun einen theoretischen 1:4 Schlüssel. Leider wachsen die Räume aber nicht mit. In anderen Bundesländern sieht es ähnlich aus.

    Laut den Richtlinien für den Betrieb von Kindertageseinrichtungen vom 01.08.2012, auch hier am Beispiel Hamburg, ist folgende pädagogische Nutzfläche je Kind vorgeschrieben:

     

    Warum jemand davon ausgeht, dass ein Kind, das nicht den ganzen Tag in die Kita geht, ein geringeres Bewegungsbedürfnis hat, als ein Kind das z.B. 8 Stunden in die Kita geht, wird in den Richtlinien leider nicht erklärt.

    Gemeint ist hier die pädagogische Nutzfläche. Dies soll eigentlich eine Fläche sein, die tatsächlich jederzeit pädagogisch genutzt wird.

    In der Realität werden Flure häufig als pädagogische Nutzfläche betitelt – z.B. Eingangshallen, weil diese groß genug sind um gemeinsames Singen zu ermöglichen.

    Bei der Berechnung werden kaum die Stellflächen von Einrichtungsgegenständen, Möbeln oder von Hilfsmitteln herausgerechnet. Es finden auch die Erwachsenen keine Berücksichtigung.

    Wenn sich die Berechnung nur an den Gruppenräumen orientieren würde, dürften die Kitas wohl viel weniger Kinder betreuen. Einberechnet werden jedoch häufig auch die Flure, Kinderrestaurants, Bewegungsräume oder Waschräume.

    Der Stress in den Gruppen steigt nicht nur durch den permanenten Personalmangel, sondern auch durch die steigende Lautstärke, den gestiegenen Bewegungsdrang und das wachsenden Bedürfnis der Kinder nach Aufmerksamkeit.

    Weniger Stress kann nicht erreicht werden, indem die Anzahl der Kinder weiter erhöht wird um wirtschaftlich zu arbeiten. Es muss, ganz im Gegenteil, ein Umdenken im Erarbeiten und Umsetzen der behördlichen Vorgaben geben.

    Alle Angaben in den Richtlinien nennen die Mindestmaße an pädagogischer Fläche. Diese Maße müssen an die neuen Lebenswelten der Kinder angepasst werden. Außerdem muss davon weggegangen werden, jeden Quadratmeter in der Kita, an dem theoretisch ein Angebot stattfinden könnte, gleich als pädagogische Fläche zu benennen. Dies führt nur zu einer Überbelegung im pädagogischen Sinne.

    Damit die Kita ein Ort der Bildung bleibt und nicht nur ein Ort der Aufbewahrung, muss ein Umdenken stattfinden.

     

  • Was haben Notfallpläne mit Entlastung zu tun?

    Notfallpläne (in einigen Betrieben auch Belastungsampel) zeigen an, wie die aktuelle personelle Ausstattung ist.

    Je nach Farbsystem grün (alles in Ordnung) bis rot kann angezeigt werden, welche Angebote ausfallen, ob Bereiche geschlossen oder Randzeiten gekürzt werden müssen.

    Diese Transparenz führt zur Entlastung, weil sie den Druck von den Kolleg*innen nimmt, alles schaffen zu müssen. Mit einem Notfallplan wird legitimiert, dass Dinge nicht gemacht werden müssen. Es ist planbar und nachvollziehbar für Eltern und Kolleg*innen.

    ver.di fordert, dass es in allen Einrichtungen Notfallpläne geben muss. Die Konkretisierung der Maßnahmen sollte unbedingt unter Einbeziehung der Fachkräfte erfolgen.

     

  • Was hat die ver.di-Mitgliedschaft mit Entlastung zu tun?

    Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse sagen, dass ein Merkmal für Zufriedenheit am Arbeitsplatz der Grad der Selbstbestimmung ist.

    Natürlich kann nicht jede*r von uns selbst regeln, wie und wann und wo wir was arbeiten.

    Wir können auch nicht alle in den gewählten Interessenvertretungen in den Betrieben mitarbeiten und dort unsere Arbeitsbedingungen mitbestimmen.

    Aber wir können uns alle solidarisieren und ver.di-Mitglied werden. Dies ist auch ein Weg heraus aus der gefühlten Hilflosigkeit. Gegen die hilft: Ärmel hochkrempeln, mitdenken und mitgestalten.

    Bei ver.di tauschen wir uns darüber aus, was an unseren Arbeitsbedingungen dringend geändert werden muss.

    Aktiv gegen Missstände anzugehen macht zufriedener als sich nur über die Missstände zu beklagen oder die Flucht aus dem Beruf zu ergreifen.

    Und ein kleines bisschen mehr Zufriedenheit bringt auch Entlastung.

    Wir setzen uns gemeinsam für Verbesserungen ein, streiten für bessere Tarife und streiken auch, wenn es nicht anders geht. Wir diskutieren mit Ministerien und Behörden, richten Forderungen an die Politik und gestalten so mit!

     

 

Weiterlesen

1/22