»Ein fatales Signal«

ver.di-Aktive kritisieren vom Bund geplanten Kürzungen bei der Kinder- und Jugendhilfe, politischer Bildung und Unterstützung von Migrant*innen.
25.09.2023
Hannah Trulsen (links) arbeitet als Sozialpädagogin und Sozialmanagerin in der Erwachsenenbildung. Feli Traudes (rechts) ist Sozialpädagogin im AWO-Bezirksverband Hessen-Süd.

Die Bundesregierung plant Kürzungen bei der Kinder- und Jugendhilfe, der politischen Bildung, der Unterstützung von Migrant*innen und vielem mehr. Ihr habt beim ver.di-Bundeskongress einen Antrag gestellt, dagegen zu mobilisieren und sich für eine auskömmliche Finanzierung stark zu machen. Was hat euch dazu motiviert?

Hannah Trulsen: Es geht um die Jobs unserer Kolleginnen und Kollegen. In diesen Bereichen gibt es viele prekäre Beschäftigungsverhältnisse, die im Rahmen von Projekten oft auf ein, zwei oder drei Jahre befristet sind. Kürzungen sorgen hier direkt zu Arbeitsplatzverlusten, wenn Projekte auslaufen und befristete Verträge nicht verlängert werden. Dabei besteht in der Sozialen Arbeit ein gravierendes Fachkräfteproblem. Und jetzt sollen die wenigen Fachkräfte, die wir haben, auf die Straße gesetzt werden?

Feli Traudes: Bei uns betrifft es hauptsächlich Kolleg*innen im Jugendmigrationsdienst und in der Migrationsberatung. Darunter die »Respect Coaches«, die jungen Menschen mit Fluchterfahrung helfen sollen, die deutsche Gesellschaft zu verstehen und Teil von ihr zu werden. Hier zu kürzen, ist ein fatales Signal. Gleiches gilt für die psychosoziale Beratung von Asylsuchenden, die um 60 Prozent reduziert werden soll. Ich weiß aus eigener Erfahrung bei meiner Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten: Es ist jetzt schon äußerst schwierig, Therapieplätze für sie zu bekommen. Das ist aber bitter nötig, denn fast alle leiden unter posttraumatischen Belastungsstörungen.

 

Wie passt das damit zusammen, dass derzeit sehr viele Geflüchtete in Deutschland integriert werden müssen?

Hannah Trulsen: Gar nicht. Genauso wenig wie die Kürzungen bei der politischen Jugendbildung in die Zeit passen. Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird aktiv infrage gestellt, vor allem durch die Faschisten. Die AfD ist im Umfragehoch. Die etablierten Parteien jammern darüber und streichen bei der politischen Bildung. Finde den Fehler.

Euch geht es also um beide Seiten: die Folgen für die Beschäftigten und um diejenigen, denen die Unterstützung wegbricht.

Hannah Trulsen: Ganz genau. Und das nach Corona! In der Pandemie sind Kinder und Jugendliche völlig hinten runtergefallen. Dann gab es im letzten Jahr ganz viele Mittel, um das auszugleichen. Und jetzt werden sie wahrscheinlich dauerhaft gekürzt. Nachhaltig geht anders.

Feli Traudes: Und Wertschätzung geht anders! Bei uns sollen die Fachkräfte, deren Projekte gestrichen werden, woanders eingesetzt werden. Dabei haben die meisten ihre Arbeitsbereiche ganz bewusst gewählt, Projekte entwickelt etc. Die machen nicht einfach eine andere Tätigkeit, sondern suchen sich einen anderen Job. Diese Fachkräfte sind auf Dauer weg, obwohl sie in der Sozialen Arbeit dringend gebraucht werden.

Hannah Trulsen: Das gilt auch für die politische Bildung. Viele sind ganz oder teilweise selbstständig. Schon während der Corona-Pandemie haben etliche aufgehört und sich anderswo eine Festanstellung gesucht. Wir brauchen also dringend Fachkräfte, und jetzt wird das Problem durch die Kürzungen noch verschärft.

Begründet werden diese damit, dass im Haushalt gespart werden müsse.

Hannah Trulsen: Bei Kindern, Jugendlichen, Geflüchteten und anderen Hilfsbedürftigen wird gekürzt, um Steuererleichterungen für Unternehmen zu finanzieren. Und dann stellt sich Bundeskanzler Olaf Scholz hier beim ver.di-Bundeskongress hin und behauptet, es gebe keinen Sozialabbau. Das ist schlicht Umverteilung von unten nach oben.

Feli Traudes: Für Rüstung werden ganz schnell 100 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Wo bleibt das Sondervermögen für Bildung und Soziales?