Die Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe bleibt auf der Agenda. Das hatten die ver.di-Bundesvorstandsmitglieder Christine Behle und Sylvia Bühler bei der Kasseler Konferenz 2019 versprochen. Danach kam die Corona-Pandemie und die Tarifbewegung für Entlastung, eine bessere Eingruppierung und Gesundheitsschutz musste zunächst unterbrochen werden. Nun will die Gewerkschaft einen neuen Anlauf machen. Um diesen vorzubereiten, kamen am 5. und 6. November 2021 rund 150 Beschäftigte der Sozialen Arbeit aus Kindertageseinrichtungen, Jugendämtern, Schulen, Einrichtungen der Behindertenhilfe, Hilfen zur Erziehung und anderen Arbeitsfeldern erneut in Nordhessen zur mittlerweile 15. Kasseler Konferenz zusammen. Sie stellten klar: Aufwertung der sozialen Berufe ist für ver.di – die Gewerkschaft für die Soziale Arbeit – nicht nur eine Parole, sondern ein konkretes Ziel, das ab Januar 2022 in einer Tarifbewegung für die kommunalen Einrichtungen angegangen wird.
Dabei wird entscheidend sein, die Beschäftigten und ihre Anliegen öffentlich sichtbar zu machen. Denn diese seien wie auch in anderen Bereichen der Sorgearbeit »strukturell unsichtbar«, diagnostizierte der Soziologe Yalcin Kutlu vom Stuttgarter IMU-Institut. Trotz ihrer hohen Fachlichkeit und Professionalität würden Erzieher*innen oft als »Basteltanten« gesehen und ihre Leistungen missachtet. Zwar habe die Sorgearbeit in der Corona-Krise eine »diskursive und symbolische Aufwertung« erfahren, die materielle Aufwertung stehe aber immer noch weitgehend aus. Der Soziologe betonte die besondere Bedeutung »gesellschaftlicher Macht« bei Arbeitskämpfen in der Sozialen Arbeit. Da die dort Beschäftigten kaum ökonomische Druckmittel hätten, seien sie stark auf öffentliche Unterstützung und Bündnisse mit anderen gesellschaftlichen Gruppen angewiesen.
Das hob auch die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Christine Behle hervor. »Wir führen diese Auseinandersetzung in und mit der Gesellschaft. Dafür müssen wir sichtbar sein und mit unseren Themen gehört werden.« Gezielt wollen die Gewerkschafter*innen deshalb in den kommenden Monaten bei Politiker*innen, Verbänden, Unternehmen und Einzelpersonen um Unterstützung werben.
Systematisch sollen die Kolleg*innen aus der Sozialen Arbeit informiert und mobilisiert werden. Dafür läuft noch bis zum 26. November eine aufsuchende Befragung, bei der die Beschäftigten direkt in den Betrieben nach ihren Forderungen gefragt werden – und nach ihrer Bereitschaft, zu deren Durchsetzung aktiv zu werden.
»Wir wollen die nächsten Wochen intensiv nutzen, um mit den Beschäftigten in die Debatte zu gehen«, erläuterte Behle. Auf Grundlage der Umfrageergebnisse werde die ver.di-Bundestarifkommission im Dezember die bisherigen Forderungen gegebenenfalls anpassen. Dabei geht es um die Tarifregelungen zur Entgeltordnung sowie zum Arbeits- und Gesundheitsschutz, die zum Ende des Jahres gekündigt sind. Die allgemeine Lohnentwicklung, Arbeitszeiten oder andere Themen sind hingegen nicht Gegenstand der Verhandlungen, die am 20. Januar beginnen sollen. »Lasst uns mutige Forderungen aufstellen, die den Leuten etwas bringen, die zugleich umsetzbar und in der Gesellschaft nachvollziehbar sind«, appellierte Behle.
Welches die zentralen Ziele der Tarifbewegung sein sollen, wurde in der einstimmig verabschiedeten »Kasseler Erklärung« festgehalten: Erstens steht die Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Fokus. Wie nötig das ist, hat unter anderem der Kita-Personalcheck dokumentiert, wonach fast 40 Prozent der befragten Beschäftigten über einen Stellenwechsel und rund 25 Prozent sogar über die Aufgabe ihres Berufs nachdenken. Der Personalcheck zeigt auch die Ursache der Probleme: den Personalmangel. So fehlen pro Kita-Team im Durchschnitt drei Vollzeitkräfte, um gut arbeiten zu können. Bei rund 57.600 Kitas in Deutschland sind dies knapp 173.000 fehlende Fachkräfte. Zweite zentrale Forderung ist daher, dass Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel ergriffen werden. Drittens fordern die Beschäftigten mehr finanzielle Anerkennung ihrer Arbeit – auch, um in Zukunft genug Menschen für die so wichtigen Sozial- und Erziehungsberufe gewinnen zu können.
Neben den kommunalen seien auch einige freigemeinnützige Einrichtungen an den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) gebunden und damit Teil der Tarifbewegung, betonte Sylvia Bühler, die im ver.di-Bundesvorstand für das Gesundheits- und Sozialwesen zuständig ist. Doch auch für die nicht unmittelbar betroffenen Beschäftigten in der Sozialen Arbeit sei die anstehende Auseinandersetzung von großer Bedeutung. »Der TVöD ist unsere Leitwährung«, stellte Bühler klar. Die Gewerkschaft strebe danach, das Niveau des Flächentarifvertrags überall zu erreichen. »Die Wohlfahrtsverbände sind zugleich Sozialverbände und Arbeitgeber. Auch bei ihnen müssen sich die Bezahlung und die Arbeitsbedingungen verbessern«, forderte die Gewerkschafterin. »Wir brauchen im gesamten Berufsfeld gleichwertige und gute Bedingungen.«
Dafür will ver.di in der Sozialen Arbeit trägerübergreifend aktiv werden und auch die nicht unmittelbar betroffenen Beschäftigten mobilisieren. »Es kann nicht sein, dass die einen zugucken, was die anderen erreichen. Dies ist unsere gemeinsame Tarifrunde«, betonte die Leiterin des ver.di-Fachbereichs Gesundheit und Soziales. Mit dabei werden sind auch die Beschäftigten in der Behindertenhilfe, die am 3. Dezember mit einem Aktionstag für gute Arbeitsbedingungen eintreten werden.
An Aktionsideen jedenfalls wird es nicht mangeln. Das wurde auf der Kasseler Tagung bei den landesbezirklichen Arbeitsgruppen deutlich, die sich mit der regionalen Aktionsplanung beschäftigten. Die Vorschläge reichten von der Vernetzung in Chatgruppen über die Ansprache von Kommunalpolitiker*innen, Eltern und Prominenten bis hin zu gemeinsamen Aktionen mit feministischen Gruppen am Weltfrauentag 8. März. Eine Kollegin aus Hessen brachte es auf den Punkt: »Wir haben massenhaft Ideen, die auch jede Menge Spaß machen – fangen wir an!«
Optimistisch zeigte sich auch der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke. In seinem Grußwort blickte er auf die Tarifrunde des öffentlichen Dienstes im Herbst vergangenen Jahres zurück, bei der die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst trotz widriger Umstände »eine Säule der Streikbewegung« waren. »Das ist ermutigend und eine gute Grundlage für die Auseinandersetzung, die wir jetzt beginnen.« In der Corona-Pandemie sei für alle deutlich geworden, welchen Stellenwert die öffentliche Daseinsvorsorge für die Gesellschaft habe. »Das stärkt uns für den anstehenden Tarifkonflikt«, zeigte sich der Gewerkschaftsvorsitzende überzeugt. »Wir gehen in diese Tarifrunde mit neuem Schwung und vielen Erfahrungen.«
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Sozial- und Erziehungsdienst