Soziale Arbeit im Umbruch

Fachtagung für Interessenvertretungen bei freien Trägern zeigt Probleme in der Branche, aber auch Möglichkeiten, Verbesserungen zu erreichen.
17.07.2023

Neue Anforderungen, zu wenig Personal, Probleme bei der Refinanzierung und oftmals fehlende Tarifbindung – das waren die zentralen Themen einer ver.di-Fachtagung für Betriebsräte und Mitarbeitervertretungen bei freien Trägern der Sozialen Arbeit Ende Juni 2023 in Berlin. Die rund 60 Teilnehmenden kamen aus den unterschiedlichen Arbeitsfeldern – von den Hilfen zur Erziehung über die Suchthilfe, Beratungsstellen und ambulante Angebote bis hin zur frühkindlichen Bildung, der Eingliederungshilfe und vielem mehr.

Die Professorin für Sozialpädagogik an der Alice Salomon Hochschule in Berlin, Prof. Dr. Ulrike Eichinger, betonte in ihrem Einleitungsreferat, die Soziale Arbeit sehe sich seit den 1990er Jahren vor veränderte Rahmenbedingungen und große Herausforderungen gestellt. Im Zuge der »Care-Krise« werde Sorgearbeit zunehmend professionalisiert. Zugleich werde auch dieser Bereich der Daseinsvorsorge immer stärker ökonomisiert, also an betriebswirtschaftlichen Kriterien ausgerichtet. Die Folgen sind wachsende soziale Ungleichheit und höhere Anforderungen, aber auch steigende fachliche Anerkennung der Sozialen Arbeit. Dies gehe mit einer zunehmenden Konfliktbereitschaft einher, die sich zum Beispiel in den Arbeitskämpfen des Sozial- und Erziehungsdienstes der vergangenen Jahre zeigte.

 
Teilnehmer*innen der Fachtagung Soziale Arbeit 2023

Auch ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler betonte die Veränderungen ab den 1990er Jahren, als die Träger der Soziale Arbeit in einen Wettbewerb miteinander getrieben wurden. Teil dessen war die Auflösung einheitlicher Tarifstandards: Früher richteten sich die Löhne und Arbeitsbedingungen weitgehend nach dem Flächentarifvertrag des öffentlichen Dienstes, heute sind etliche Träger tariflos. Die dort Beschäftigten arbeiten zu deutlich schlechteren Bedingungen als im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). »Der TVöD ist unsere Leitwährung«, sagte die Gewerkschafterin. Stück für Stück müssten die Bedingungen in der Branche wieder an diesen Standard angeglichen werden. Voraussetzung dafür ist, dass die Betroffenen dies selbstbewusst einfordern. Bühler betonte, dass beides nur zusammengeht: die Sorge um andere und das Einstehen für die eigenen Interessen.

Die Juristin Doreen Lindner erläuterte, welche Möglichkeiten die betrieblichen Interessenvertretungen haben, um bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Hierfür müssten sie ihre Mitbestimmungsrechte aktiv nutzen. Ein aktuelles Beispiel ist die jüngste Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, wonach Arbeitgeber verpflichtet sind, die tatsächlichen Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten zu erfassen (BAG-Entscheidung vom 13.9.2022 – 1 ABR 22/21). Die Art und Weise, wie dies geschieht, unterliegt der Mitbestimmung. Vertieft wurde die Debatte über die Arbeitszeiterfassung in Zusammenhang mit mobilem Arbeiten in einem Workshop. Weitere Arbeitsgruppen befassten sich mit dem Umgang mit Gewalt gegen Beschäftigte, dem Einsatz ehrenamtlicher Kräfte und den Instrumenten gegen Personalmangel.

Ein Tenor der Debatten auf der Fachtagung war die fehlende –auch finanzielle – Wertschätzung für die Beschäftigten in der Sozialen Arbeit. »Wir haben keinen Tarifvertrag und werden deshalb deutlich schlechter bezahlt als unserer Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst«, berichtete die Sozialpädagogin Eva-Maria Blum aus Braunschweig. »Unsere Kolleginnen und Kollegen haben eine hohe Identifikation mit ihrer Arbeit und dem Träger, aber die Rahmenbedingungen passen einfach nicht. Weder bei der Bezahlung noch bei der Ausstattung.«

Dies ist auch bei Sozialtherapie e.V. in Kassel ein Problem, dessen Beschäftigte psychisch erkrankte Menschen in ihrem Zuhause betreuen und ebenfalls nicht durch einen Tarifvertrag geschützt sind. Druck entstehe in vielen Einrichtungen vor allem dadurch, dass nach Fachleistungsstunden abgerechnet wird, so der Sozialpädagoge Axel Garbelmann. Es wird oftmals nur die tatsächlich geleistete Arbeit mit den Klient*innen vergütet. Kommen Termine nicht zustande – aus welchem Grund auch immer –, gibt es kein Geld. »Viele haben deshalb Schuldgefühle oder Angst um ihre Stelle, wenn sie zum Beispiel wegen Krankheit ihre Fachleistungsstunden nicht schaffen«, berichtete der Sozialpädagoge. Er kennt die Situation aus eigener Erfahrung. Allerdings hat sich bei Sozialtherapie e.V. die Situation jüngst geändert. Jetzt können auch ausgefallene Termine bei einer Absage von weniger als 24 Stunden mit vollem Zeitumfang gebucht werden.

»Es braucht in der Sozialen Arbeit eine verlässliche Finanzierung, die eine gute Unterstützung hilfsbedürftiger Menschen sowie gute und sichere Arbeitsbedingungen ermöglicht«, erklärte Sarah Bormann, die bei ver.di für die Soziale Arbeit zuständig ist. »Die Fachtagung hat gezeigt, was alles im Argen liegt – aber auch, wie Beschäftigte sich für bessere Bedingungen einsetzen können.«

 

Kontakt

  • Sarah Bormann

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