Im Projekt mendi.net bildet ver.di Weiterbildungsmentor*innen aus. Sie sollen ihren Kolleg*innen in den Betrieben Mut machen, sich für neue Aufgaben zu qualifizieren.
In der Stadtverwaltung bringt kaum noch jemand im Haus die Post von A nach B, Akten werden digital verschickt. Und auch bei Versicherungen wickeln Computer Schadensfälle längst weitgehend alleine ab. Die Folge: Ganze Abteilungen werden dichtgemacht. Stellt sich die Frage: Was passiert mit den Beschäftigten? Da spielt die Weiterbildung eine große Rolle. »Es geht darum, die Beschäftigten für andere Arbeitsplätze zu qualifizieren«, sagt Roman Jaich, bei ver.di zuständig für Bildungspolitik. In einem neuen Modellprojekt bildet die Gewerkschaft Betriebsräte und Vertrauensleute aus Unternehmen zu sogenannten Weiterbildungsmentor*innen aus.
Im ersten Schritt werden Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter aus Krankenhäusern, öffentlicher Verwaltung, Finanzdienst leistung sowie Ver- und Entsorgung in einer fünftägigen Qualifizie rung fit gemacht für ihre neue Aufgabe: Sie lernen, welche Arten der Weiterbildung es gibt, welche Rechte darauf Beschäftigte haben und was ihre eigene Rolle im Betrieb ist. »Zum einen sind sie Kümmerer«, erklärt Roman Jaich. »Sie sollen aktiv auf die Beschäftigten zugehen und mit ihnen über berufliche Perspektiven sprechen.« Dabe kommt ihnen zugute, dass sie die direkte Schnittstelle zur Unternehmensleitung sind. Im Idealfall wissen sie gut darüber Bescheid, ob ein Umbau von Arbeitsplätzen ansteht. Gibt es zum Beispiel einen Ausbildungsberuf nicht mehr lange, können sie Kolleg*innen auf freie Stellen in anderen Abteilungen hinweisen – und für die notwendige Qualifizierung werben. »Unsere Hoffnung ist«, sagt der ver.di-Bildungsexperte, »dass auch die Arbeitgeber großes Interesse daran haben.«
Die Betriebsratsvorsitzende der Dortmunder Energie- und Wasserversorgung GmbH, Carmen Kalkofen, berichtet, dass es in ihrem Unternehmen einen wachsenden Bedarf an qualifizierten Beschäftigten gibt. Allerdings fänden sich auf dem externen Arbeitsmarkt zum Teil keine geeigneten
Fachkräfte. »Was wir brauchen ist daher ein Instrument, unseren Fachkräftebedarf von innen zu decken«, meint Carmen Kalkofen. Es gelte, bei Stellenausschreibungen viel mehr auf interne Bewerbungen zu setzen. Hier bestehe großes Potenzial für die berufliche Weiterbildung. »Dafür müssen wir Mitarbeitern Mut machen, dass sie das schaffen können«, betont die Betriebsrätin. Von Weiterbildungsmentor*innen erwarte sie, dass sie die Schnittstelle zu den Beschäftigten stärken, »ein Ohr für deren Wünsche haben, aber vor allem auch motivieren«.
Roman Jaich von ver.di berichtet, dass die Weiterbildungsmentor*innen langfristig begleitet werden sollen, etwa durch Beratung und Coaching. »Sonst ist die Gefahr groß, dass das Projekt bald eingeschlafen ist.« Ziel sei es, einen Paradigmenwechsel in den Betrieben zu bewirken. »Wir wollen das Thema Weiterbildung ganz anders anpacken«, betont der Gewerkschafter. Der Zeitpunkt sei ideal. Die neue Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag angekündigt, die Möglichkeit einer Bildungsteilzeit einzuführen. Beschäftigte können ihre wöchentliche Arbeitszeit reduzieren, um an Weiterbildungen teilzunehmen. »Diesen Satz können wir als Steilvorlage für die Weiterbildung nutzen.«
Roman Jaich hofft, dass bald eine gesetzliche Regelung folgt – und Weiterbildungs mentor*innen im Betrieb so selbstverständlich dazu gehören wie Gleichstellungsbeauftragte. Jahrzehntelang hätten vor allem geringqualifizierte Frauen und Personen mit niedrigem Bildungsabschluss so gut wie gar nicht an Weiterbildungen teilgenommen. »Jetzt besteht die konkrete Chance auf Veränderungen«, meint er.
erschienen im biwifo-Report 01/2022, veröffentlicht/aktualisiert am 27. April 2022
Netzwerk für Weiterbildungsmentor*innen: https://verdi-mendi.net/