Schluss mit der Ungerechtigkeit: Beschäftigte vom Berufsförderungswerk Heidelberg-Schlierbach wollen durchsetzen, dass der Tarifvertrag der Uniklinik auch für sie gilt.
Die Nähe spüren sie jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit, wenn sie über das Kopfsteinpflaster um das historische Gebäude der Orthopädischen Universitätsklinik in Heidelberg-Schlierbach herum zum Kurt-Lindemann-Haus spazieren: Die Beschäftigten des gemeinnützigen Berufsförderungswerks arbeiten auf dem gleichen Gelände, Haus an Haus, bekommen ihre Gehaltsabrechnung vom Krankenhaus nebenan. Allerdings deutlich weniger Geld. »Dieses Gefühl von Ungerechtigkeit stört uns latent seit Jahren«, sagt Berufsschullehrer Wanja C. Zumal der Abstand jedes Jahr etwas größer wird. Damit soll jetzt Schluss ein. Die Belegschaft des Tochterunternehmens des Klinikums hat sich innerhalb kurzer Zeit sehr stark in ver.di organisiert – und fordert, dass der Tarifvertrag der Universitätsklinik auch für sie gilt.
Im Kurt-Lindemann-Haus können Menschen mit psychischen und körperlichen Beeinträchtigungen eine Ausbildung oder Umschulung machen. In den 1960er Jahren handelte es sich zunächst um ein Modellprojekt vor allem für die berufliche Rehabili tation querschnittsgelähmter Menschen. »Durch die Kopplung an die Orthopädische Klinik wurden die Tarif verträge von dort schon immer für die Beschäftigten übernommen«, berichtet die zuständige ver.di-GewerkschaftssekretärinKathrin Biro. »Allerdings nicht voll und nicht dynamisch.« Mit anderen Worten: Die Regelungen zu Urlaubsanspruch oder Kündigungsfristen gelten auch für die Tochterfirma, nicht aber die Gehaltstabelle. »Da werden die Beschäftigten total abgehängt.«
Im Kurt-Lindemann-Haus arbeiten viele Pflegepersonen, aber auch Lehrkräfte, Ärzt*innen, Sozialarbeiter*innen und Verwaltungskräfte. Wanja C. berichtet, dass die Unterschiede vor allem in den unteren Entgeltgruppen hoch seien. Ein Pfleger verdiene ein paar Schritte weiter in der Klinik locker einige hundert Euro mehr pro Monat. »Es gab auch bei uns immer wieder Gehaltserhöhungen«, fügte der Betriebsrat hinzu. »Allerdings bei weitem nicht so hoch wie in der Klinik.« Hinzu kommt: »Wir waren immer auf den guten Willen unserer Geschäftsführungen angewiesen.« Im Krankenhaus nebenan hingegen verhandelt ver.di regelmäßig neu über die Tarifverträge, die Gehälter erhöhen sich jedes Jahr prozentual.
Das guckten sich die Beschäftigten des Berufsbildungswerks so lange an, »bis das Maß voll war«. Zunächst gab es in dem Betrieb nur wenige Gewerkschaftsmitglieder, die auf eigene Faust bei ver.di nachfragten, ob sich daran nicht etwas ändern lässt. Gerne, erwiderte Kathrin Biro von ver.di. Allerdings müssten sich dafür viel mehr Kolleginnen und Kollegen in ver.di organisieren. Das sei gerade bei so einer kleinen Belegschaft wichtig. »Nur so schaffen wir für die Mitglieder einen Schutz gegenüber dem Arbeitgeber.« Außerdem müsse klar werden, dass das Thema alle Beschäftigten etwas angeht.
Als Ziel setzten sie sich einen Organisationsgrad von 80 Prozent: »Hop oder Top.« Die Mitglieder teilten sich auf, wer wen im Betrieb anspricht. Nur zwei Monate später knackten sie die Marke. Inzwischen seien etwa 25 der 30 Beschäftigten organisiert, so Wanja C. »Wir haben die Dynamik genutzt.« In den Gesprächen sei schnell klar geworden: »Wenn wir uns organisieren, haben wir mehr Power.« Allerdings hätten sie schon etwas Mut aufbringen müssen, gesteht der Berufsschullehrer. »Das ist ja alles neu für uns.«
Die ver.di-Mitglieder haben eine Tarifkommission gewählt, ihre Forderungen aufgestellt – und fordern den Arbeitgeber zu Verhandlungen auf. Für Kathrin Biro ist es ein »totales Herzensprojekt«. Genau darum gehe es bei Gewerkschaft: »Sich gemeinsam mit Menschen auf den Weg zu machen, für gute Arbeitsbedingungen zu kämpfen.«
erschienen im biwifo-Report 01/2022, veröffentlicht/aktualisiert am 27. April 2022