Artikel 12 Grundgesetz
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.
Deine Arbeit lohnt sich für deinen Arbeitgeber. Er möchte mehr davon. Auf Kosten deiner Freizeit. Denn die Arbeitgeber haben nicht rechtzeitig für ausreichend Fachkräfte gesorgt. Jetzt reißt ihre Personaldecke, wieder und wieder. Da schielen sie auf deine Freizeit. Und sie scheuen sich nicht, übergriffig zu werden. Wir können ihre Sprechblasen schnell platzen lassen...
Arbeitgeber erzählen und vereinbaren mit der betrieblichen Interessenvertretung gerne: Die Beschäftigten dürfen freiwillig in ihren Feierabend hineinarbeiten. Sie können freiwillig an ihren planfreien Tagen zur Zusatzschicht einspringen. Doch falls die Vorgesetzten keine Freiwilligen finden, wenn alle Überredung versagt, greifen sie zum letzten Mittel: zur zwangsweisen Anordnung.
Im Märchen reißt sich der Wolf plötzlich die Maske der Verstellung herunter und zeigt seine Zähne. Doch die Arbeitgeber sind tatsächlich zahnlos.
Richtig ist: Im Arbeitsrecht meint »freiwillig« eine vertraglich nicht geschuldete, einseitige und vor allem jederzeit widerrufliche Leistung. Du darfst wie geplant frei machen. Du darfst am planfreien Tag arbeiten. Tust du das, sollte sich der Arbeitgeber erkenntlich zeigen.
Arbeitgeber schlagen vor: Alle sollen sich abwechselnd bereithalten. Als Ersatz, falls eine Kollegin kurzfristig ausfällt. Das sei fair. Weil jede und jeder mal dran wäre mit Einspringen. Ultrakurzfristig? Gesetzwidrige Arbeit auf Abruf? Nein. Das sei eben irgendwie eine besondere Form der Rufbereitschaft – eine Vario-Schicht, ein Jokerdienst, ein Vielleicht-Frei.
Richtig ist: Unsere Tarifverträge bestimmen recht genau, wofür Rufbereitschaften zulässig sind: »Der Arbeitgeber darf Rufbereitschaft nur anordnen, wenn erfahrungsgemäß lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfällt.« Der Arbeitgeber muss unerwartet durch Arbeit überrascht werden. Der Ausfall einer Kollegin – bei unverändertem Arbeitsanfall – rechtfertigt keine Inanspruchnah-me im Rufdienst! Nachzulesen in § 7.1 (9) TVöD; § 43 Nr. 4 (2) TV-L. Fast wortgetreu folgen: Anl. 31-33 § 5 (7) AVR Caritas; § 7 (4) BAT-KF; Anl. 8 (8) AVR.DD.
Arbeitgeber behaupten beständig, sie dürften Dienstpläne kurzfristig ändern. Denn diese legen zwar mitbestimmt die Schichten fest. Doch solche Vereinbarungen blieben für sie unverbindlich. Sie dürften kurzfristig widerrufen. Und aus solchen »Eilfällen« soll sich der Betriebsrat (der Personalrat, die Mitarbeitervertretung) heraushalten.
Richtig ist: Seit August 2022 regelt die EU-Richtlinie 2019 / 1152, Artikel 10, Abs. 3 die »Mindestvorhersehbarkeit der Arbeit – Erlauben die Mitgliedstaaten dem Arbeitgeber, einen Arbeitsauftrag ohne Entschädigung zu widerrufen, so ergreifen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen […], damit sichergestellt ist, dass der Arbeitnehmer Anspruch auf Entschädigung hat, falls der Arbeitgeber den zuvor mit dem Arbeitnehmer vereinbarten Arbeitsauftrag nach einer konkreten angemessenen Frist widerruft.« Im Juli 2022 hat die Bundesregierung dies in deutsches Arbeitsrecht umgesetzt. Sie erteilt bislang keinem Arbeitgeber die Erlaubnis, eine Schicht zu widerrufen oder zu verschieben. Sie legt darum keine angemessene Ankündigungsfrist für solche Übergriffe fest. Und auch keine Entschädigung.
Im Jahr 2017 wurde § 8 des Bundes-Angestellten-Tarifvertrags in kirchlicher Fassung (BAT-KF) um einen Absatz 8 verschlimmert:
»Eine kurzfristige freiwillige Übernahme von Diensten ist gegeben, wenn die Übernahme des zusätzlichen Dienstes weniger als 96 Stunden vor dem zusätzlichen Dienst mit den Mitarbeitenden auf Veranlassung des Dienstgebers vereinbart wird […]. Kollegiale Absprachen zum Diensttausch oder zur Dienstübernahme stellen dabei keine Veranlassung des Dienstgebers im Sinne des Satzes 1 dar.«
§ 8 Abs. 8 BAT-KF: Je eingesprungene Schicht soll die MAV in einer Dienstvereinbarung mindestens 30 Euro aushandeln.
§ 20 b AVR.DD: »Für die freiwillige und kurzfristige Übernahme von Diensten an im Dienstplan mit Frei eingeplanten Tagen auf Anfrage des Dienstgebers erhalten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen Zuschlag von 60 Euro.«
§ 6 Abs. 9 TV KAH (Hamburger-TVöD-K-Variante): »Übernimmt ein Beschäftigter freiwillig auf Anforderung des Arbeitgebers aus dem ›Frei‹ mit einer Ankündigungsfrist von weniger als 24 Stunden einen für ihn nicht geplanten Dienst, gelten die im Rahmen dieses Dienstes geleisteten Stunden als Überstunden gem. § 7 Abs. 7. Dies gilt auch für Teilzeitkräfte. Diese Überstunden können in Freizeit oder Geld abgegolten werden. Abweichend von § 8 Abs. 1 Satz 5 kann der Zeitzuschlag auf Wunsch des Beschäftigten auch in Freizeit gewährt werden. Samstage, Sonntage und Feiertage bleiben bei der Ermittlung der Ankündigungsfrist unberücksichtigt.«
Asklepios (in einem Hamburger Betrieb, für ausgesuchte Arbeitsbereiche): Bei »Bereitschaft zur freiwilligen und jederzeit widerruflichen kurzfristigen AFK-Dienstübernahme« gibt es dann als »Leistungsbonus« 150 Euro je tatsächlich geleistetem AFK-Dienst, zudem das tarifliche Überstundenentgelt plus einen erhöhten Zuschlag von 35 Prozent.
§ 10 Abs 11 TV Ärzte VKA: 17,5 Prozent Verspätungsaufschlag, falls der Chef mit Ruf- und Bereitschaftsdiensten bei weniger als einem Monat Vorlauf überrascht. Und 17,5 Prozent Verspätungsaufschlag, falls der Plan einen Ruf- oder Bereitschaftsdienst mit einer Vorlauffrist unter drei Tagen »ändert«.
§ 13 TV Gesundheitsfachberufe Charité: »Zur Vermeidung von Belastungssituationen können die Mitarbeitenden i.S.v. § 1 Abs.1 […] auch zusätzliche Dienste (Stabilitätsdienste) auf freiwilliger Basis leisten. Das dafür erforderliche Verfahren und die entsprechende Vergütung wird auf Betriebsebene durch eine Dienstvereinbarung mit dem Klinikpersonalrat geregelt (tarifliche Öffnungsklausel).« Die Dienstvereinbarung Stabilitätsdienste ersetzt an der Charité seit September 2022 an solchen Tagen die tarifliche Vergütung durch Stundenentgelte von 50 oder 25 Euro, samt der darauf bezogenen Zeitzuschläge.
Kolleginnen und Kollegen können sich – hin und wieder – auf eine zusätzliche Schicht einlassen.